Heckler & Koch

Gemeinsam Licht ins Dunkel bringen – in Mexiko und weltweit

von Jürgen Grässlin
Schwerpunkt
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21. September 2018. Ein Szenario, das es so in Deutschland noch nicht gegeben hat. Vorne auf dem Podium im Rottweiler „Badhaus“ im Südwesten der Republik agiert die Führungsriege des Unternehmens, das europaweit die meisten Opfer des Exports und Einsatzes seiner Kriegswaffen verantwortet: der Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft Heckler & Koch AG (H&K AG).   

Im Auditorium sitzen in drei breit aufgestellten Bankreihen rund vierzig Aktionärinnen und Aktionäre, allesamt MitbesitzerInnen des Unternehmens. Doch anders als bei den üblichen Jahreshauptversammlungen rüstungsproduzierender und -exportierender Unternehmen sind die Vertreter der Kapitalseite diesmal nicht in der Mehrheit, schon gar nicht mit Wortbeiträgen. Denn zwanzig TeilnehmerInnen geben sich schnell als Mitglieder der jüngst gegründeten Kritischen AktionärInnen Heckler & Koch zu erkennen. Mit nur einer Aktie können sie Fragen stellen und Gegenanträge auf Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat einbringen. Sie vertreten zahlreiche pazifistische Organisationen der bundesdeutschen Friedensbewegung: vom RüstungsInformationsBüro über die DFG-VK, Ohne Rüstung Leben, die Ärzteorganisation IPPNW, das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE  bis hin zur bundesweiten Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit seinen rund 150 Mitgliedsgruppierungen.

Um zu verstehen, welch einmaliges Szenario sich an diesem Septembertag bei der 4. Jahreshauptversammlung der Heckler & Koch AG abspielte, muss man die blutige Historie von Deutschlands führendem Kleinwaffenproduzenten kennen. Heckler & Koch, hatte sich in den Jahrzehnten nach seiner Gründung 1949 zum führenden Gewehr- und Pistolenexporteur Europas entwickelt.

Ebenso hemmungslos wie skrupellos wurden seit den 60-ger Jahren des vorigen Jahrhunderts – wohlgemerkt ganz legal mit zustimmender Unterstützung der jeweiligen Bundesregierungen – Millionen von G3-und G36-Gewehren sowie MP5-Maschinenpistolen in Krisen- und Kriegsgebiete in aller Welt exportiert. Fünfzehn Lizenznehmer produzierten und produzieren seither die Todesprodukte aus Oberndorf, die zuhauf auf den Schlachtfeldern in Asien, Afrika und Lateinamerika zum Einsatz kommen.

Das Ergebnis: Bis heute sind mehr als zwei Millionen Menschen durch Kugeln aus dem Lauf von H&K-Waffen erschossen worden. Mehr als sechs Millionen Menschen überlebten – verstümmelt, verkrüppelt und traumatisiert. Doch berührt uns mehr als jede Zahl das Leben und Sterben von Menschen, deren Schicksal wir näher kennen. So wie das von Pädagogikstudenten in Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero.

Mit in der Nacht vom 26. zum 27. September 2014 – nahezu genau vier Jahre vor besagter 4. Hauptversammlung der Heckler & Koch AG – attackierten Polizisten und weitere Bewaffnete einen Bus, in dem sich junge Lehramtsstudenten der Pädagogischen Hochschule von Ayotzinapa auf dem Weg zu einer Demonstration für mehr Bildung befanden. Sechs der Studenten starben, 40 wurden teilweise schwer verletzt, 43 gefangen genommen und sind seither verschwunden.

Beschossen wurden die Studenten mit Waffen mehrerer Bautypen, auch mit G36-Gewehren von Heckler & Koch. Mehr als 8000 dieser Sturmgewehre durften mit Genehmigung der Bundesregierung nach Mexiko-City und in vermeintlich sichere Regionen geliefert werden, keinesfalls aber in die verbotenen Unruheprovinzen Chihuahua, Chiapas, Jalisco und eben Guerrero.

Nachdem mir ein Whistleblower von Heckler & Koch umfangreiches Material über diesen illegalen Export von Kriegswaffen zur Verfügung gestellt und ich dieses auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft hatte, stellte ich im April 2010 über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige gegen mehrere Mitarbeiter von Heckler & Koch – unter ihnen zwei Geschäftsführer. 2015 endlich erhob die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anklage, seit Mai dieses Jahres läuft das Strafverfahren vor dem Landgericht Stuttgart. Das Urteil wird noch für den Herbst erwartet.

In eben diese Zeit des Strafverfahrens fiel die 4. Heckler & Koch-Hauptversammlung. So weit möglich, versteckte sich die H&K-Führung hinter dem Satz: „Zu einem laufenden Gerichtsverfahren sagen wir nichts.“ Spannend wurde es dennoch, nachdem der Vorstandsvorsitzende Jens Bodo Koch, der erst seit Mai im Amt ist, die schlechten Bilanzahlen des Unternehmens kundtat und der Aufsichtsratsratsvorsitzende Dieter John anschließend die Generaldebatte eröffnete. Zu Wort meldeten sich dreizehn Rednerinnen und Redner. Wie sich schnell herausstellte, allesamt Mitglieder der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (oder ihnen zumindest nahe stehend).

Das Feuerwerk der rund 200 kritischen Fragen brachte die H&K-MitarbeiterInnen im Backoffice mächtig zum Schwitzen, mehrfach musste die Beantwortung der Fragen durch Koch und John unterbrochen werden, denn die Antworten fielen vielfach schwer.
Ein erster und wahrlich gewichtiger Erfolg der Strafanzeige im G36-Mexiko-Verfahren war bereits zuvor offenbar geworden: Heckler & Koch hatte seine „Grüne-Länder-Strategie“ veröffentlicht, wonach zukünftig ausschließlich „grüne Länder“ in der NATO, NATO-assoziierte oder EU-Staaten mit Waffen beliefert werden. Demnach darf zukünftig keine Kriegswaffe von Heckler & Koch jemals mehr nach Mexiko oder Lateinamerika exportiert werden.

Ob diese Vorgabe stimmt, die Koch und John auf der Hauptversammlung nachdrücklich bekräftigten, muss kritisch überprüft werden. Denn dank der Recherchen des RüstungsInformationsBüros konnte in der Hauptversammlung wiederholt belegt werden, dass die H&K-Geschäftsführung aktuell neue Waffenexporte in „gelbe“ oder gar „rote“ Länder vollzogen hat. So erhalten Indonesien, Malaysia und Südkorea H&K-Waffen als „Altaufträge“. Topaktuell genehmigte der Bundessicherheitsrat unter Führung von Bundeskanzlerin Merkel  sogar den Export von Rohren für MP5-Maschinenpistolen von H&K nach Indien und Hongkong.

Auch die Antworten auf die Fragen kritischer Aktionäre nach den G36-Exporten nach Mexiko wecken massive Zweifel an der Seriosität und Ernsthaftigkeit der H&K-Unternehmensführung. „Wir bedauern diese Verbrechen“, verkündete Jens Bodo Koch – ohne jegliche Entschuldigung für die Beihilfe zum Morden in Mexiko durch den Export Abertausender G36-Sturmgewehre. H&K-Waffen seien dazu da, in den Händen von Polizisten „Opfer zu schützen“. Bei Exporten würde sich das Unternehmen immer „streng an Recht und Gesetz halten“ – was für Phrasen angesichts des tödlichen Einsatzes von H&K-Gewehren in den Händen mexikanischer Polizisten und Drogenbanden. 

Was bleibt zu tun? Die Aktivisten der Friedens- und Menschenrechtsbewegung in Mexiko und Deutschland müssen sich verbünden, um gemeinsam Licht ins Dunkel der Machenschaften von Heckler & Koch und weiterer Rüstungskonzerne zu bringen. Hierbei hilft uns das neue GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, siehe  https://www.gn-stat.org/espa%C3%B1ol/caso/

In Deutschland müssen wir massiv den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, die bisher eine Rüstungsexport-Förderungspolitik betreibt. Und wir müssen intensiv mit Bundestagsfraktionen der Parteien zusammenarbeiten, die an einer ernsthaften Exportkontrolle interessiert sind. Der Fall Mexiko belegt, dass das System von Endverbleibszertifikaten bis heute nicht das Papier wert ist, auf dem diese Vereinbarungen gedruckt werden.

Jürgen Grässlin ist Strafanzeigenerstatter gegen H&K im Fall der illegalen G36-Gewehrexporte nach Mexiko, Sprecher mehrerer Friedensorganisationen in Deutschland, Träger zahlreicher Friedenspreise und – topaktuell – Mitbegründer des GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT).

Wichtige Websites: www.gn-stat.org siehe CASO 02, www.rib-ev.de, www.aufschrei-waffenhandel.de, www.dfg.vk.de

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).