Konflikt - Macht – Geschlecht

Gendersensible Perspektiven auf bewaffnete Konflikte

von Rita Schäfer

Kriege und bewaffnete Konflikte haben multiple Ursachen, die sich oft wechselseitig verstärken und zu massiver Gewalt führen. In der Kriegsursachenforschung mit Fokus auf afrikanische Länder wird von ethnischen, politischen oder religiösen Motiven der jeweiligen Konfliktparteien ausgegangen, etwa in Burundi, der Zentralafrikanischen Republik oder in Somalia, wo exzessive Gewalt und Vertreibungen in unterschiedlichen Zeithorizonten zu Massenflucht führen. Teilweise werden diese Ursachen auch mit gravierenden ökonomischen Problemen und sozialen Ungleichheiten in Beziehung gesetzt. Exemplarisch dafür sind Studien zur DR Kongo, denn in unterschiedlichen Landesteilen eskalieren seit Jahrzehnten Konflikte immer wieder gewaltsam.

Doch zum Verständnis schwelender Konflikte, zum Verlauf bewaffneter Auseinandersetzungen sowie zur Erarbeitung nachhaltiger Friedensstrategien ist es notwendig, Gender-Dimensionen in Verbindung zu setzen mit Faktoren wie Ethnizität, Politik und Religion; zudem ist es notwendig, Strukturprobleme nicht nur direkt vor Beginn eines gewaltsamen Konflikts zu erfassen, sondern in längerfristige und komplexe Machtdynamiken einzuordnen. Schließlich waren etliche Gesellschaften über mehrere Generationen durch koloniale Gewalt- und Ausbeutungsstrukturen geprägt, die vorkoloniale Männlichkeitsvorstellungen, variable Geschlechterbeziehungen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse drastisch einschränkten. Patriarchale Dominanz wurde durch gesetzliche Vorgaben manifestiert, Variationen im Ehe- und Erbrecht wurden offiziell abgeschafft. Martialische Männlichkeit wurde zum Leitbild, teilweise in Reaktion auf die exzessive Brutalität von Kolonialsoldaten, wie anti-kolonialer Widerstand in Kenia, Mosambik oder Angola in den 1950er bis 1970er Jahren dokumentiert. Dies waren SiedlerInnenkolonien, die - zusätzlich zu der  Ausbeutung der lokalen Bevölkerung durch Hütten- und Kopfsteuern, die Zwangsarbeit und die massenhafte Vertreibung von regenreichen und fruchtbaren Anbau- und Weideflächen in aride und unfruchtbare Gebiete - mit einem ausgeprägten Rassismus der SiedlerInnen verbunden waren.

Siedlerrassismus und Verfügungsmacht über Männer- und Frauenkörper
Weiße SiedlerInnen traten vielfach mit einer Herrenmenschenattitüde auf und behandelten afrikanische Männer herablassend als Boys – als unmündige Kinder, was kategorisch gegen Respektregeln verstieß und vor allem – aber keineswegs nur – verheiratete ältere Familienväter entwürdigte. Durch umfassende Enteignungen von Land und Vieh raubten die Kolonialherren auch jungen Männern die Möglichkeit, sich gemäß gesellschaftlicher Erwartungen als verantwortungsvolle Ehemänner und junge Väter zu etablieren. So waren es nicht nur die Rechtlosigkeit und die fehlende politische Mitsprache, die Männer unterschiedlichen Alters motivierte, anti-koloniale Unabhängigkeitsbewegungen zu unterstützen bzw. darin aktiv mitzukämpfen, sondern auch Demütigungen und systematische Erniedrigungen durch die weißen Plantagenbesitzer und Farmer, die ähnlich wie die Kolonialbeamte mit Auspeitschungen Untertänigkeit erzwangen.

Die SiedlerInnenkolonie Südafrika war über mehrere Jahrhunderte eine Sklavenhaltergesellschaft, doch mit der offiziellen Abschaffung der Sklaverei 1838 endete der Mißbrauch an früheren Sklaven und Sklavinnen keineswegs; sexuelle Verfügungsmacht der Farmer dauerte an, ohne dass die Frauen und Mädchen sich dagegen rechtlich wehren konnten. Sexualisierte Übergriffe durch die Apartheidarmee und Apartheidpolizei, etwa beim Aufstand der SchülerInnen in Soweto 1976 und anschließenden Protesten, setzten koloniale Gewaltpraktiken in einem neuen politischen Kontext fort. Nun sollten sowohl die politischen Aktivistinnen als auch deren Brüder, Väter und Freunde gedemütigt werden, indem sie damit konfrontiert wurden, dass sie ihre weiblichen Familienangehörigen bzw. Partnerinnen vor der umfassenden Verfügungsmacht durch die staatlichen Sicherheitskräfte nicht schützen konnten.

Sexualisierte Gewalt in der DR Kongo
Solche Gewaltmuster sind auch in den Kivu-Provinzen im Osten der DR Kongo verbreitet. Sexualisierte Gewalt betrifft Männer dort aber nicht nur indirekt, sondern auch direkt. Denn etliche Milizen nutzen zusätzlich zur Zerstörung von Häusern, Speichern, Vieh und landwirtschaftlichem Gerät sexuelle Mißhandlungen von Männern als Eroberungs- und Vertreibungsstrategie, etwa um Zugang zu Land, Weiden oder mineralischen Ressourcen zu erhalten. Während es für vergewaltigte Frauen und Mädchen inzwischen einige medizinische, psycho-soziale und ökonomische Hilfsprogramme gibt, fehlen diese für Männer vielerorts gänzlich. Nicht selten ist sogar das medizinische Personal ignorant gegenüber den Qualen, die vergewaltigte Männer erleiden. Hilfsorganisationen haben oft einen einseitigen Gender-Bias, das heißt: obwohl sie Gender-Gerechtigkeit auf ihre Fahnen schreiben, blenden sie sexualisierte Gewalt gegen Männer als Kampfstrategie aus und betrachten Männer ausschließlich als Täter. Auch LGBTI-Menschen1 werden in vielen Hilfsprogrammen für Opfer sexualisierter Gewalt nicht als Zielgruppe wahrgenommen. Das liegt an der isolierten Ausrichtung auf vergewaltigte Frauen und am Negieren von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten, die nicht heterosexuellen Normen entsprechen. Es ist oft nicht einmal eine reflektierte Entscheidung der MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen, LGBTI-Menschen nicht direkt und öffentlich zu adressieren, Gefährdungen zu vermeiden, zumal in etlichen Ländern Homosexualität ein schwerer Straftatbestand ist. Vielmehr hindern unreflektierte Gender-Stereotypen und Polarisierungen die Verantwortlichen daran, überhaupt wahrzunehmen, dass es in jeder Gesellschaft LGBTI-Menschen gibt, die wegen eskalierender Homophobie in gewaltsamen Konflikten in besonderer Weise zu Zielscheiben werden.

Straflosigkeit
Sexualisierte Kriegsgewalt bleibt oft unberücksichtigt, wenn es um Friedensschlüsse und die Ahndung von Kriegsverbrechen geht. Viele Postkonfliktländer haben keine expliziten Vergewaltigungsgesetze, die zur Strafverfolgung genutzt werden könnten, oder die Justiz war schon vor Beginn der Gewaltkonflikte dysfunktional, korrupt, frauenfeindlich und homophob. Selbst wenn Justizreformen angegangen werden, neigen Amtsrichter dazu, die Fälle zu bagatellisieren. Das betrifft insbesondere Vergewaltiger, die ranghohe Posten im Militär bekleiden, etwa in der DR Kongo. Manche Amtsrichter drängen die teilweise minderjährigen Opfer zur Eheschließung mit dem jeweiligen Täter, um Ordnung zu schaffen. Solche Entscheidungen, die in Liberia und Sierra Leone bekannt wurden, skandalisieren nationale Frauenorganisationen. Vielfach erfahren sie aber gar nicht davon, weil die Betroffenen keine Kommunikationsmöglichkeiten haben und schwer traumatisiert sind.
Etliche LGBTI-Menschen (Abkürzung für die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexuell/Transgender und Intersexual), die sexualisierte Misshandlungen überlebten, enden als billige Prostituierte auf dem Straßenstrich in den Hauptstädten, wo nicht nur Einheimische zu den Freiern zählen, sondern auch humanitäre Helfer und Friedenskräfte in ihrer Freizeit sexuelle Abenteuer suchen und zur Etablierung neuer geschlechtsspezifischer Ausbeutungs- und Machtmuster beitragen.

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Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin. Sie forscht über Gender in den Post-Konfliktländern Südafrika und Simbabwe. Zu ihren Publikationen zählen: „Frauen und Kriege in Afrika“ (2008) und „Im Schatten der Apartheid“ (2. Auflage 2008) sowie diese Webseiten www.liportal.giz.de/suedafrika www.liportal.giz.de/simbabwe www.africanclimatevoices.com