Im Spiegel von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Geschlechterdimensionen von Krieg und Frieden

von Claudia von Braunmühl

Am diesjährigen Reformationstag, dem 31. Oktober 2010, ist der 10. Jahrestag der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedeten Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Damit hatte der Jahre währende Kampf internationaler Frauen- und Menschenrechtsorganisationen um ein effektives Gender Mainstreaming in Angelegenheiten von Krieg und Frieden einen wichtigen Zwischenerfolg erzielt. Die Resolution listet einen Katalog von Schutz- und Partizipationsrechten für Frauen und Mädchen in allen Konfliktphasen und in allen Einrichtungen von Konfliktbearbeitung und Friedensförderung auf, fordert umfassendes Datenmaterial zu den Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen und Mädchen und verlangt ein Ende der Straflosigkeit bei jeder Art von sexualisierter Gewalt.

Regierungen wie auch der UN-Generalsekretär sind zu regelmäßiger Berichterstattung verpflichtet, in der Regel begleitet von den Schattenberichten nationaler und internationaler NRO-Monitoring-Netzwerke; in Deutschland ist das der Frauensicherheitsrat. Der Schwerpunkt von 1325 liegt auf der durchgehenden Beteiligung von Frauen an post-Konflikt-Aktivitäten. Das entspricht, argumentiert die Resolution, prinzipiellen Gleichheitsrechten. Zudem müssen Frauen als die Mehrheit der von Kriegen Betroffenen ihre besonderen Erfahrungen und Perspektiven in den Nachkriegsprozess einbringen können.

Es bleibt noch viel zu tun
2002 kritisierte eine erste von UNIFEM, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen, veranlasste Evaluierung Verkürzungen in Diktion – Gender ist praktisch gleichgesetzt mit Mädchen und Frauen – und analytischer Tiefe – die Dynamiken von Machtungleichgewichten kommen nicht vor –, bemängelte das Fehlen anwendungsorientierter Richtlinien und vor allem die viel zu geringen Umsetzungsaktivitäten. Seitdem liegt eine beträchtliche Anzahl von UN- und NRO-Berichten vor, haben nahezu alle Organisationen Aktionspläne, Richtlinien, Trainings- und Handbücher etc. entwickelt, sind SonderberaterInnen, Genderbeauftragte und AnsprechpartnerInnen berufen, haben Geschlechterordnungen vorsichtigen Eingang in die Argumentation gewonnen.

Was den Anteil von Frauen an den unterschiedlichen UN-Einheiten im Rahmen von Friedenskonsolidierung betrifft, bleibt allerdings viel zu tun. In offiziellen Verhandlungsdelegationen sind unter 10 Prozent Frauen vertreten, und bis heute wurden nur zwei von insgesamt 17 Peacekeeping Missionen von Frauen geleitet (Liberia und Ost-Timor). Bei den Polizeikräften liegt der Anteil von Frauen bei 8 Prozent, bei Militärexperten 4, bei den Truppeneinheiten 2,5 Prozent. Gleichwohl, Resolution 1325 wurde, in 30 Sprachen übersetzt, rasch zum wesentlichen Bezugspunkt frauenpolitischer Forderungen an nationale, regionale und internationale Organisationen.

Resolution 1325, wie die ihr nachfolgenden Resolutionen, fällt nicht unter Kapitel VII der UN-Charta, in der es um verbindliche Schritte zur Aufrechterhaltung der kollektiven Sicherheit geht. Die Umsetzung der Resolution bleibt insofern auf die Bereitschaft der politischen Akteure angewiesen. UNIFEM und frauenpolitische Zusammenschlüsse wie die ‚Koalition der Friedensfrauen’ und ‚die Freunde der Resolution 1325’ haben sich daher zur Aufgabe gemacht, durch Begleitstudien und intensives Lobbying auf die Durchsetzung der in der Resolution angesprochenen Zielsetzungen und Maßnahmen auf den verschiedensten Ebenen (UN, Regionalorganisationen, Mitgliedsstaaten, EU) hinzuwirken. Ein Ergebnis ihrer Anstrengungen ist Sicherheitsratsresolution 1889 vom 5. Oktober 2009.

Resolution 1889 (Oktober 2009)
Diese Resolution steht explizit schon im Zeichen des 10. Jahrestages von Resolution 1325 und den zu erwartenden Bestandsaufnahmen. Sie gibt ihrer „tiefen Sorge“ über den geringen Anteil von Frauen in allen Stadien von Friedensprozessen Ausdruck. Dabei spricht sie organisatorisch gefasste Prozesse ebenso an wie gesellschaftliche Marginalisierung überhaupt. Von da aus finden wir eine Fülle von Forderungen, die tief in den gesellschaftlichen Wandel hineinreichen, der notwendig ist, um die Situation von Frauen in Nachkriegsgesellschaften strukturell zu verbessern und damit zugleich eine günstigere Ausgangslage für ihre Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Institutionen herzustellen. Deutlicher noch als vordem werden alle Instanzen aufgefordert, das Spannungsverhältnis zwischen Schutz und Empowerment nicht einseitig zugunsten des Opferstatus von Frauen und Mädchen aufzulösen, sondern sie als Akteure voll einzubeziehen, einschließlich der auf lokalen Ebenen tätigen Frauenorganisationen. An die Berichte des Generalsekretärs wird die Forderung gestellt, Indikatoren für die Umsetzung von 1325 zu erarbeiten und mit ihrer Hilfe systematischer als bislang (Nicht-)Fortschritt in der Umsetzung zu dokumentieren. Schließlich werden UN und Regierungen erneut und dringlicher aufgefordert, hinreichende Mittel für die Implementierung unterstützende Maßnahmen bereitzustellen.

Resolution 1820 zu sexueller Ausbeutung und Missbrauch (Juni 2008)
Resolution 1325 spricht zwar von der besonderen Schutzbedürftigkeit von Frauen und Mädchen und erwähnt auch sexualisierte Gewalt, der eigentliche Schwerpunkt aber liegt bei Partizipation. Umgekehrt setzt Resolution 1820 vom 19. Juni 2008 überwiegend auf Schutz. Vor dem Hintergrund der systematischen Terrorisierung der Zivilbevölkerung in den ‚neuen Kriegen’, der horrenden Zahl von zivilen Opfern, Vertriebenen und Flüchtlingen und von sexualisierter Gewalt als Teil des Waffenarsenals – so im zerfallenden Jugoslawien, Kosovo, Ruanda, Uganda Kongo, Darfur – finden wir eine deutlich schärfere Sprache, wenn auch nicht die genderanalytische Klarheit, die eine vorangegangene Resolution der Generalversammlung vom 30. Januar 2007 kennzeichnet. Immerhin, es lohnt eine genaue Lektüre: Der Sicherheitsrat:

„betont, dass sexuelle Gewalt, wenn sie als vorsätzlich gegen Zivilpersonen gerichtete Kriegstaktik oder im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung eingesetzt wird oder andere damit beauftragt werden, Situationen bewaffneten Konflikts erheblich verschärfen und die Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behindern kann, erklärt in dieser Hinsicht, dass wirksame Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung solcher sexuellen Gewalthandlungen in erheblichem Maße zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen können, und bekundet seine Bereitschaft, bei der Behandlung der Situationen, die auf der Tagesordnung des Rates stehen, erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen zu beschließen, um gegen ausgedehnte oder systematische sexuelle Gewalt vorzugehen.“

Hier winkt die Diktion mit härteren der UN zur Verfügung stehenden Bandagen. Sexualisierte Gewalt wird kategorisch aus Nach-Kriegs-Amnestien ausgeschlossen und damit erneut das Ende der Straflosigkeit ausgesprochen. Für alle Konfliktparteien, vorrangig aber auch für das Personal der UN-Friedensoperationen selber, gilt das Prinzip von Null-Toleranz. Entsprechende Trainings- und Sensibilisierungsmaßnahmen werden dringend angeraten. Ein in Jahresfrist vorzulegender Bericht des Generalsekretärs und eine darauf basierende Diskussion im Sicherheitsrat werden festgelegt. Wieder verfolgen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen die Umsetzung und legen ihrerseits Vorschläge und Forderungen vor. Innerhalb des UN-Systems haben sich 12 Unterorganisationen in der „UN-Aktion gegen sexuelle Gewalt in Konflikten“ zusammengeschlossen, um der Resolution auf allen Ebenen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Resolution 1888 (Oktober 2009)
Gut ein Jahr später schon, am 30. 10. 2009, wird auch zu 1820 nachgelegt. Unter zusätzlichem Bezug auf Resolution 1325 und die im August 2009 vom Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 1882 zum Schutz von Kindern, äußert Resolution 1888 sich „zutiefst besorgt über das Ausbleiben von Fortschritten hinsichtlich der Frage der sexuellen Gewalt in Situationen bewaffneten Konflikts, die insbesondere gegen Frauen und Kinder, namentlich Mädchen, verübt wird.“ Es werden noch einmal alle Argumente der vorherigen Resolutionen angeführt, neue eingebracht und der Sicherheitsrat sowie alle anderen Akteure in die Verantwortung genommen, da „Untätigkeit das Signal aussenden kann, dass sexuelle Gewalt in Konflikten geduldet wird“. Der Forderung der Resolution entsprechend wurde Margot Wallström, vordem schwedische EU-Kommissarin, im Februar 2010 zur UN-Sonderbeauftragten zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Frauen in Konfliktgebieten ernannt.

Keine der hier vorgestellten Resolutionen ist denkbar ohne die Jahrzehnte von frauenpolitischen Kämpfen, die in feministischer Theoriebildung gewonnenen Erkenntnisse und die ebenso zäh wie kreativ verfolgten frauenpolitischen Netzwerk- und Lobbystrategien. Längst haben die Debatten zu den Geschlechterdimensionen gewalttätig ausgetragener Konflikte die Konstruktion von Männlichkeit, die maskuline Strukturiertheit von Gesellschaften und Institutionen, insbesondere die der – legalen oder illegalen – Gewaltakteure, und die Bedingungen, unter denen geschlechtspezifische Gewalt entsteht, erkundet. Ein insgesamt kleinerer, aber nicht unerheblicher Teil sexualisierter Gewalt richtet sich gegen Männer und Jungen. Diese als zutiefst entmännlichend empfundenen Erfahrungen werden noch kaum in Worte gefasst. Von militarisierter Männlichkeit auf der einen Seite, entwürdigter und gedemütigter Männlichkeit auf der anderen finden wir nichts in den hier vorgestellten Resolutionen. Denkbar und zu hoffen, dass die um den 10. Jahrestag von 1325 erwartbaren Studien, Berichte und Diskussionen hier ein Stück weiterführen.

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Hintergrund
Prof. Dr. Claudia von Braunmühl, geb. 1944, studierte Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und ist seit 1968 sowohl an verschiedenen Hochschulen (zuletzt als Lehrstuhlvertretung in Bielefeld) wie als unabhängige entwicklungspolitische Gutachterin und Beraterin tätig.