Zu den juristischen Verfahren wegen Zivilen Ungehorsams in Büchel

Gewaltfreie Aktionen aus Protest gegen Atomwaffen

von Martin Otto
Hintergrund
Hintergrund

Seit nunmehr 25 Jahren gibt es Aktionen des Zivilen Ungehorsams am Atomwaffen-Stützpunkt Büchel (siehe FriedensForum 2/2021, S. 8). Inzwischen sind es mindestens 96 Aktivist*innen, die damit Strafverfahren auf sich geladen haben. Einige von ihnen sind mehrfach angeklagt worden. Hinzu kamen etliche Ordnungswidrigkeitsverfahren, Polizeieinsatzkosten-Bescheide, Ingewahrsamnahmen, Ermittlungsverfahren ohne spätere Anklage, Verfassungsbeschwerden von Verurteilten und anderes mehr. (Zur rechtlichen Legitimierung von Zivilem Ungehorsam siehe FriedensForum 1/2021, S. 21.) Zwischen 1998 und 2019 haben 13mal Menschen, die wegen gewaltfreier Aktionen in Büchel verurteilt wurden, Haftstrafen abgesessen.

Auch in jüngster Zeit haben mehrere Strafverfolgte ihre Absicht geäußert, im Falle ihrer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe diese nicht zu bezahlen, sondern stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten. Mit weiteren demonstrativen „Mahnwachen hinter Gittern” wollen sie ihren Zivilen Ungehorsam aus Protest gegen die nukleare Teilhabe Deutschlands fortsetzen – also über ihre Aktionen am Bücheler Fliegerhorst hinaus. Aber die Strafverfolgungsbehörde macht jetzt einigen von ihnen wegen der Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Vor der Krise kam es oft vor, dass Personen, die ihre Strafe nicht bezahlen wollten, ersatzweise in den Knast gesperrt wurden, ohne dass vorher genau überprüft wurde, ob sie tatsächlich zahlungsunfähig waren. Das hat sich geändert. Menschen, die zu Geldstrafen von weniger als 90 Tagessätzen verurteilt wurden (was wegen Büchel-Aktionen meistens der Fall ist), und die dann nicht zahlen, werden zur Zeit nicht zum Haftantritt geladen. Es heißt, das Infektionsrisiko im Gefängnis sei für das Personal und die Gefangenen bei Vollbelegung zu hoch. Bis zu einer gewissen Anzahl von Tagessätzen würden Menschen ja keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen (!). Statt Zahlungsunwillige einzusperren, wird nun genau geprüft, ob die Geldstrafen tatsächlich „uneinbringlich” sind. Das geht bis zur Kontopfändung. So werden „Mahnwachen hinter Gittern” nach Abklingen der Pandemie wohl nur noch für Aktive möglich sein, bei denen wegen ihrer relativ niedrigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht gepfändet werden darf.

Weiterhin wird den meisten Angeklagten Hausfriedensbruch bei Go-In-Aktionen vorgeworfen. Wegen des Go-Ins vom 15.7.2018 laufen noch Prozesse gegen sechs Angeklagte, wegen des Go-Ins vom 30.4.2019 gegen acht Angeklagte. Je ein Strafverfahren läuft wegen der Go-In-Aktionen vom 6.8.2018 und 16.7.2019. Nicht vorbestrafte Aktivist*innen werden in der Regel zu Geldstrafen von 30 Tagessätzen verurteilt, „Wiederholungstäter” zu 40 bis 100 Tagessätzen. Dass „Wiederholungstäter” gar nicht mehr zu Geldstrafen, sondern gleich zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden und „sitzen” mussten, ist inzwischen schon rund zwei Jahrzehnte her. Drei Aktiven ist es damals so ergangen (einem von ihnen zweimal). Sie konnten also nicht durch Aktionen vieler solidarischer Menschen aus dem Knast „freigekauft” werden, wie es bei Aktiven, die wegen nicht gezahlter Geldstrafen eingesperrt waren, oft der Fall war. Aber auch heute, da in der Regel nicht zu Ersatzfreiheitsstrafen geladen wird, funktioniert vielfach die Solidarität von Leuten, die den gewaltfreien Widerstand in Büchel gutheißen: Es wurden Soli-Konten eingerichtet und manche Verurteilte haben Tagessätze „verkauft”. Das heißt: An ihrer Stelle haben Sympathisierende Geld in die Justizkasse eingezahlt – und diese haben oftmals solche „legale Strafvereitelung” auch in Briefen an die Strafvollstreckungsbehörde kundgetan.

In zwei Strafprozessen, die noch nicht abgeschlossen sind, wurden Aktivisten nicht wegen Teilnahme an Go-In-Aktionen angeklagt, sondern wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz bzw. wegen Aufrufs zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Letzteres wird Hermann Theisen zur Last gelegt. Wie in FriedensForum 3/2021 auf Seite 21 zu lesen war, ist er von dem Vorwurf, er habe sich strafbar gemacht, indem er Militärangehörige öffentlich aufgefordert hat, über Hintergründe der atomaren Teilhabe Deutschlands aufzuklären, freigesprochen worden. Gegen diesen Freispruch hat allerdings die Staatsanwaltschaft inzwischen Revision eingelegt; hier steht noch die Entscheidung eines Oberlandesgerichts aus. Der andere Prozess (wg. Versammlungsgesetz) soll im November im Landgericht Koblenz neu aufgerollt werden.

Bisher haben 16 Aktivist*innen, die rechtskräftig verurteilt worden sind, Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Alle diese Verfassungsbeschwerden sind abgewiesen worden, zuletzt im Mai 2021 diejenige von zwei Go-In-Aktivistinnen. Diese beiden wollen die Sache jetzt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

 

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