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Ein Erfahrungsbericht zur diesjährigen 12. Ökumenischen Dekade für Frieden in Gerechtigkeit
"Gewaltfreie widerstehen" - Widerstandsansage an herrschenden Trend
vonAm 20. November 1991 ging die 12. Ökumenische Dekade für Frieden in Gerechtigkeit, die in diesem Jahr unter dem Motto "Gewaltfrei widerstehen" stand, zu Ende. Die nachstehenden Überlegungen zum Dekadenverlauf spiegeln - das sei vorangestellt - meine Erfahrungen und meine Sicht als Koordinatorin wider.
Wenn Nachfragen nach Materialien ein Indiz für das Interesse an dem diesjährigen Angebot zur Dekade sind, dann können die Aufrufer und der breite Unterstützerkreis zufrieden sein. Der Aufruf "Gewaltfrei widerstehen" fand, gefördert durch den Versand über verschiedene Verteiler und den Nachdruck in einer Reihe von Zeitschriften, bundesweit eine breite LeserInnenschaft. Restlos ausverkauft war schon vor Beginn der Dekade am 10. November das in einer Auflage von 6000 Exemplaren gedruckte gleichnamige Materialheft. Auf Interesse stieß das Heft wohl vor allem, weil es über konkrete Auswirkungen des Golfkrieges informierte, aber auch "kleine Schritte der Umkehr" im Sinne eines konsequenten Handelns gegen Krieg und Gewalt sowie weiterführende Materialien und Kontaktadressen vorstellte.
Wider das Vergessen des Golfkriegs und im Zeichen des Widerstands gegen Krieg und Gewalt hatten die beteiligten Organisationen im Mai 1991 zur Novemberdekade aufgerufen: "Widersprecht der Rehabilitierung des Krieges, tretet weltweit für Gerechtigkeit ein, entdeckt Gewaltfreiheit als zukunftsfähige Alternative". Eine Ergänzung fand der Aufruf von der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Initiative Kirche von unten, Initiative "Schwerpunkt Gerechtigkeit", INKOTA, Pax Christi und Pro Asyl im Osten der Republik. Das Motto der dortigen Friedensdekade, die zeitgleich von der Kommission für Kirchliche Jugendarbeit beim Bund Evangelischer Kirchen in der ehemaligen DDR vorbereitet wurde, lautete "Verlasst Euch nicht auf Gewalt". Auch dieses Material wurde stark nachgefragt; auch dort wurde über Wege der Gewaltverminderung - "zwischen den Völkern, den Generationen, Männern und Frauen, in der Intimität, im Umgang mit der Natur" - nachgedacht.
Daß das Gewaltthema nichts an Brisanz und der Aufruf "Gewaltfrei widerstehen" auch im November 1991 nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist vor einem schon fast zynisch anmutenden Hintergrund zu sehen.
Wir wußten im Mai 1991 noch nicht, daß EinwanderInnen und Flüchtlinge im deutschen Herbst dieses Jahres einer Welle von brutaler Gewalt ausgesetzt werden. Wir wußten im Mai 1991 nicht, daß das Einstehen für ein Bleiberecht für Opfer von Kriegen, Bürgerkriegen, Menschenrechtsverletzungen, politischer Verfolgung solch erheblichen Widerstand bei Politikern herausfordern wird, die seit diesem Sommer ständig und wiederholt das Bild vom übervollen Boot heraufbeschwören. Wir wußten nicht, daß die Konflikte in Jugoslawien in kriegerische Gewalt eskalieren werden, daß Haß und Zwietracht die Zukunft der Völker Jugoslawiens zerstört.
Die Friedensdekade im November stellte für viele Menschen eine Gelegenheit dar, diese drängenden Themen aufzugreifen und vor Ort über gewaltfreie Lösungswege zu diskutieren. Darin liegt auch die Stärke der "Aktionsform Friedensdekade", wie sie in der Zeitschrift "Kreuz und quer" des Ökumenischen Netzes Mittelrhein zutreffend charakterisiert wurde.
Denn diese zehn Tage sind an der Basis verankert. Aktive und engagierte Gemeinden und Gruppen nutzen seit Jahren diesen Zeitraum für Veranstaltungen - die Themenauswahl erfolgt dabei durchaus unabhängig von dem Aufruf oder Material der aufrufenden Organisation. Das zentral erstellte Material stellt "nur" ein Angebot dar, das vor Ort kritisch gesichtet und - wenn es brauchbar ist - benutzt wird. Lokale Veranstaltungskalender und Anfragen nach ReferentInnen zeigten das diesjährige Interesse vor allem an folgenden Themen: Vor Ort wurde über Fragen im Zusammenleben mit Muslimen diskutiert und spielte der Dialog zwischen Christentum und Islam wie auch der Dialog zwischen der bundesdeutschen Friedensbewegung und Israel eine wichtige Rolle. Das Thema Rüstungsexportverbot stieß bei vielen Gruppen auf großes Interesse. Aufgezeigt wurde der Zusammenhang von bundesdeutschen Rüstungsexporten und kriegerischen Auseinandersetzungen im Golfkrieg, in der Dritten Welt und aktuell in Jugoslawien. Der Bogen spannte sich bis hin zur Asyldiskussion, wenn als Fluchtursache thematisiert wurde, daß Menschen in der Bundesrepublik um Asyl nachsuchen, weil in ihren Heimatländern mit "Hilfe" deutscher oder anderer Rüstungsexporteure Leib und Seele bedrohende kriegerische Auseinandersetzungen geführt werden. Das Thema Rüstungsexporte ermöglichte andererseits auch den Einstieg in weitere entwicklungspolitische Themen. Darin zeigt sich, daß die Verknüpfung von Themen im Bewusstsein globaler Verantwortung für gerechten Frieden in der Einen Welt längst zum Veranstaltungsrepertoire lokaler Gruppen gehört. Žhnlich wurde auch das Thema "Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten" von der aus Genf eingeladenen Expertin Dorothea Woods von der UNESCO angegangen.
Weiteres Interesse galt dem Thema "Kriegssteuern verweigern" als Beispiel für zivilen Ungehorsam des einzelnen, der darin besteht, dem Staat mindestens Teile der Lohn- bzw. Einkommenssteuer zu entziehen. Darüber hinaus war schon im letzten Jahr zu beobachten, daß ökologische Fragen wie die des Erhalts bestehender Lebensräume für die folgenden Generationen hier wie in der Dritten Welt diskutiert werden. Gut besucht waren nach Auskunft fast aller von mir Befragten vor allem aber Veranstaltungen, die die aktuelle Situation in Jugoslawien beleuchteten oder Gesprächsangebote zum Thema Rassismus und wachsendem Nationalismus in Deutschland in den Vordergrund rückten.
Daß es in den letzten Jahren gelungen ist, Gruppen über das christliche Spektrum hinaus für die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aus dem konziliaren Prozeß heraus einander näher zu bringen, spiegelt sich auch in der Organisationsstruktur des diesjährigen Aufruferkreises wider: Gruppen aus der Friedens-, Gerechtigkeits- und Flüchtlingsarbeit haben erstmalig gemeinsam zur Dekade aufgerufen. Unabhängig davon haben viele Initiativen und Gruppen aus diesem breiten Spektrum am ersten bundesdeutschen Aktionstag am 9. November 1991 ein deutliches Zeichen "gegen Haß und Gewalt, für eine Gesellschaft gleichberechtigter BürgerInnen verschiedener Herkunft und Kultur, für Demokratie und Menschenrechte" gesetzt.
Diese Erfahrungen lassen hoffen, daß die "Friedensdekade" im November auch zukünftig von einem breiten Kreis von Menschen getragen wird, die sich für Frieden, für Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.
"Gewaltfreiheit ist eine Kraft aktiver Veränderung", heißt es im Aufruf. Das Eintreten für weltweit gerechten Frieden, das den "Frieden mit der Erde" einschließt, beansprucht unsere gemeinsame Kraftanstrengung und das Entwickeln phantasievoller Aktionsformen für gewaltfreien Widerstand auch im nächsten Jahr.