Gewaltsam in ein fremdes Land verfrachtet

von Ursula Trescher
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Nachfolgend dokumentieren wir den erschütternden Bericht von Ursula Trescher aus Bremervörde über die Abschiebung einer alleinerziehenden libanesischen Mutter und ihren fünf Kindern im letzten Herbst. Nach 13-jährigem Aufenthalt wurde hier die Abschiebung einer schwerkranken Frau und ihrer Kinder generalstabsmäßig geplant und umgesetzt, ohne dass Rechtsanwalt und UnterstützerInnen noch Gelegenheit gegeben wurde einzuschreiten.

Die Ausländerbehörde des Landkreises Rotenburg veranlasste im September 2008 die Abschiebung einer alleinerziehenden Libanesin mit ihren fünf jüngeren Kindern in die Türkei, obwohl die Mutter krank und selbstmordgefährdet ist und obwohl keiner der Abgeschobenen türkisch spricht. Um die Abschiebung erfolgreich durchführen zu können, wurde äußerst gewaltsam und ohne Rücksicht auf die geltende Rechtslage vorgegangen.

Familie Bulut ist eine Mahalmi-Familie, die früher im Libanon lebte. Von dort floh sie in die Türkei, später nach Deutschland. Seit etwa 13 Jahren lebte die Familie in Deutschland, die jüngste Tochter ist in Deutschland geboren.

Es gab seit 2002 Versuche, die Familie in die Türkei abzuschieben. Sie scheiterten an Selbstmordversuchen der Mutter. Beim ersten Abschiebeversuch war der Vater untergetaucht. Die Mutter ist seither alleinerziehend. Sie war zudem an Krebs und Bluthochdruck erkrankt. Zur Familie gehören sieben Kinder. Die beiden ältesten haben ein Bleiberecht. Abgeschoben wurde die kranke Mutter und fünf Kinder zwischen 12 und 18 Jahren, ein Junge und vier Mädchen.

MitschülerInnen und LehrerInnen der Kinder hatten sich an die Härtefallkommission gewandt. Der Antrag wurde aber wegen des schon existierenden Abschiebetermins nicht angenommen.  Eine schon früher eingereichte Petition war wegen des noch laufenden Gerichtsverfahrens noch nicht behandelt worden.

Das Gesundheitsamt stellte die Reisefähigkeit von Frau Bulut fest, obwohl es sich nie die Akte von Frau Bulut von deren Psychiater hatte schicken lassen.

Wegen der drohenden Abschiebung hatte der Anwalt einen Eilantrag für die Mutter gestellt, begründet mit der gesundheitlichen Gefahr. Die Ablehnung dieses Eilantrages konnte wegen einer Erkrankung des Anwaltes diesem nicht zugestellt werden, war also nicht rechtskräftig geworden. Ein weiterer Eilantrag, der sich auf die Rechte der Kinder bezog, war noch gar nicht entschieden. Inzwischen wurde dieser Eilantrag abgelehnt, mit der Begründung, dass die Kinder schon abgeschoben seien.

In der Nacht zwischen 3 und 4 Uhr öffneten Polizisten die Tür von Familie Bulut gewaltsam mit einem Rammbock, ohne vorher zu klingeln. Polizisten sind hereingestürmt und fesselten die Mutter an Händen und Füßen. Mutter und Kinder mussten in Schlafanzug und T-Shirt, teilweise barfuss, das Haus verlassen. Die Psychopharmaka, die die Mutter regelmäßig einnahm, blieben zuhause liegen. Als die Mutter hinausgeführt wurde, bekam sie ein Tuch vor den Mund gepresst, so dass sie kaum Luft bekam. Sie verlor das Bewusstsein, vermutlich infolge eines Betäubungsmittels. Die Mutter wurde ohne die Kinder mit einem Krankenwagen wegtransportiert.  Fast alle Tabletten nahm man ihr weg. Sie wurden auch später nicht wieder ausgehändigt. Bis zum Flughafen blieb Frau Bulut gefesselt.

Die Kinder wurden ohne Mutter im Polizeiwagen transportiert. Der 14-jährigen wurde gedroht, sie bekäme eine Spritze, wenn sie nicht aufhöre zu weinen und zu schreien. Die jüngste war so geschockt, dass sie erst im Flugzeug wieder ansprechbar war. Bis heute ist ihr Verhalten im Vergleich zu früher stark verändert. Sie bleibt immer im Haus bei der Mutter, will niemanden kennenlernen und redet kaum.  

Die Familie wurde im Rahmen einer Sammelabschiebung von Düsseldorf  aus nach Istanbul abgeschoben. Am Flughafen wurden die Kinder nicht in die Wartehalle gebracht, sondern etwa zwei Stunden in einem Polizei-Bus beim Rollfeld festgehalten. Sie durften nicht telefonieren. Die Mutter kam etwas später dazu.

Die andernorts lebenden Angehörigen der Familie wurden von Nachbarn über die Abschiebung informiert. Auch auf Nachfrage bei Polizei und Ausländeramt erhielten sie keine Auskunft, wo sich ihre Familie befand, wohin sie gebracht werden sollte und wohin sie abgeschoben werden.

In Istanbul standen die Buluts dann weinend auf dem Flughafen. Von einer ärztlichen Betreuung während des Fluges und 24 Stunden danach (laut Entscheidung zum Eilantrag Bedingung für die Zulässigkeit der Abschiebung der Suizidgefährdeten) merkte die Familie nichts. Frau Bulut wusste nichts davon, dass ein Arzt im Flugzeug dabei gewesen sein soll.

Glücklicherweise wurde sie von einer Familie aus Izmir, die aus dem Urlaub zurückkam, angesprochen. Der Sohn der Familie sprach deutsch. Diese Familie nahm sich der Buluts an. Dort lebte die Familie bis Ende November. Die sechs Personen mußten sich zwei Matratzen teilen.

Ihre Medikamente hat Frau Bulut erst im November erhalten. Freunde aus Gnarrenburg hatten die Medikamente für sie besorgt und nachgeschickt. Das Paket wurde aber erst nach Wochen ausgehändigt, weil die Medikamente für Drogen gehalten worden waren.

Erst durch Spenden aus Gnarrenburg hat die Familie Bulut kürzlich etwas Geld erhalten. Damit hat sie jetzt eine Zwei-Zimmer-Wohnung angemietet. Die erste Miete konnte mit der Spende bezahlt werden. Es ist immer noch völlig ungeklärt, wovon die Familie leben soll und wie die Kinder die Schule besuchen sollen, da sie kein türkisch sprechen. Ohne die zufällige Hilfe der Familie aus Izmir hätten die Frauen und Mädchen in Istanbul auf der Straße nächtigen müssen. Angehörige in der Türkei gibt es keine, nur in Deutschland.

Spenden
Kirchenkreisamt Bremervörde, Kto-Nr. 110882 bei der Kreissparkasse Rotenburg-Bremervörde, BLZ 241 512 35, Stichwort: Kinder Bulut

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Ursula Trescher ist Mitglied im Flüchtlingsrat Niedersachsen und im Flüchtlingsnetzwerk Stadt und Landkreis Cuxhaven. Außerdem ist sie in der Friedensbewegung aktiv, aktuell bei einer Mahnwache gegen Krieg, Blockade und Besatzung in Gaza.