No a la violencia, si a la justicia

Gibt es eine Friedensbewegung in La­teinamerika?

von Werner Huffer-Kilian
Schwerpunkt
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Im Februar 91 gab es in vielen Ländern Lateinamerikas ähnliche Aktio­nen gegen den Golfkrieg, wie wir sie bei uns in der BRD beobachten konnten: Mahnwachen, Protestschreiben, Friedensdemonstrationen, "Volksabstimmungen" Ja oder Nein zum Krieg. Es gab breite Koalitio­nen gegen den Krieg, und sehr unterschiedliche Gruppierungen fanden zum ersten Mal zu gemeinsamen Positionen.

Die Sorge um diesen weltweiten "Frieden" führte allerdings nicht zu ei­ner "Friedensbewegung" im westeuro­päischen Sinn, da die Menschen in La­teinamerika durch die Probleme im ei­genen Land zu einer ganz anderen Art von "Friedensarbeit" herausgefordert sind. Die tägliche Erfahrung der Violen­cia (strukturelle und direkte Gewalt) prägt alle Bereiche des Lebens und ruft immer wieder konkreten Widerstand hervor: sowohl den bewaffneten Kampf gegen Unrechtsregime als auch das un­bewaffnete Engagement für soziale Ge­rechtigkeit. Beide Formen haben sich, ob gewollt oder nicht, gegenseitig be­einflußt. VertreterInnen beider Über­zeugungen versichern, daß sie um so­ziale Gerechtigkeit, die Wahrung der Menschenwürde und die Durchsetzung der Menschenrechte kämpfen. Die Er­fahrung des täglichen Unrechts führt für die LateinamerikanerInnen zu einem ganz konkreten Friedensbegriff: Frieden kann es nur in enger Verbindung mit Gerechtigkeit geben; Frieden besteht in der Verwirklichung der Menschen­rechte.

Seit in den 60er Jahren in Lateinamerika mit der Doktrin der Nationalen Sicher­heit viele Militärs an die Macht putsch­ten und jede Opposition brutal unter­drückten, entstanden verschiedene Gruppen, die eine positive Alternative zur herrschenden Gewalt suchen und Menschenrechtsverletzungen anklagen.

-  In allen Ländern Lateinamerikas gibt es Menschenrechtsgruppen, die ge­gen Mord, Folter, Verschwinden-Lassen, willkürliche Verhaftung ar­beiten. Viele solcher Gruppen sind schon über 30 Jahre intensiv tätig und zu gut organisierten Institutionen ge­worden, die neben den fundamenta­len Rechten auch die wirtschaftli­chen, kulturellen und sozialen Men­schenrechte beachten. Verschiedene dieser Gruppen haben sich zu regio­nalen Netzwerken zusammenge­schlossen (z.B. CODEHUCA).

-  Im Kampf gegen das systematische Verschwinden-Lassen von Menschen existieren Gruppen von Familienan­gehörigen von Verschwundenen in fast allen Ländern Lateinamerikas. ACAFADE ist der zentralamerikani­sche Zusammenschluß dieser Grup­pen; darüber hinaus sind sie heute im kontinentalen Netzwerk FEDEFAM organisiert.

-  Die Verbreitung der Vision einer ge­waltfreien Gesellschaft und der Me­thoden der gewaltfreien Aktion hat sich SERPAJ zum Ziel gesetzt. Aktu­elle Schwerpunkte (in mittlerweile 11 Ländern) sind u.a.: Menschenrechts­erziehung, Friedenspädagogik, parti­zipative Demokratieformen, gewalt­freie Konfliktlösung, Kriegsdienst­verweigerung.

-  Eine der Hauptaufgaben der Men­schenrechtsgruppen ist die educación popular, die bewußtseinsbildende Arbeit, die sich auf die Pädagogik Paulo Freires stützt. Zur Fortbildung und Weiterentwicklung gibt es CEAAL als kontinentales bildungs­politisches Netzwerk.

Viele der erwähnten Gruppen beschäf­tigten sich in den letzten Jahren mit fol­genden übergreifenden, kontinental re­levanten Themen:

-  Als echte Gefahr für die Demokratie wurde die Straflosigkeit (Impunidad) von MenschenrechtsverbrecherInnen während der Diktaturen erkannt (vgl. die Nürnberger Kriegsverbrechertri­bunale). Eine kontinentale Koalition verschiedener Menschenrechtsgrup­pen organisierte nationale Tribunale gegen die Impunidad. Im April 91 fand in Bogot , Kolumbien, das ab­schließende kontinentale Tribunal statt, das neben der US-Invasion in Panama auch den Staatsterrorismus von Militärdiktaturen und die brutale Gewalt der peruanischen Guerilla Sendero Luminoso verurteilte.

-  Die ökologische Problematik wird zunehmend diskutiert und in den weiteren Rahmen der Verteidigung der Menschenrechte gestellt: Das Recht auf Leben und Land des ar­men, oft landlosen Campesino, der sorgsam mit seinem Land umgeht, muß gegen den Großgrundbesitz verteidigt und eingefordert werden.

-  Für alle Gruppierungen sind die De­batten um echte Demokratie und wirtschaftliche Gerechtigkeit (Mas­senarmut und Verschuldung) zentrale Anliegen.

-  500 Jahre europäische Invasion in Lateinamerika und die Folgen, das ist aktuelles Thema aller Gruppen. Um ein Gegengewicht zu offiziellen Ju­belfeiern zu bilden, gibt es nun ein weiteres kontinentales Netzwerk: 500 años de resistencia ind¡gena, negra y popular (500 Jahre indianischer, schwarzer und Volks-Widerstand).

Die Menschen, die die Basis der Men­schenrechtsgruppen bilden, gehören überwiegend der breiten Schicht der Armen an, und sie organisieren sich, weil sie direkt Betroffene sind. Auf einen Nenner gebracht könnte man sa­gen: "Friedensbewegung" in Lateiname­rika ist "organización popular" mit dem Ziel, Überlebensstrategien zu entwic­keln und die Menschenrechte umfassend durchzusetzen.

P.S.: Daß im 500sten Jahr der europäi­schen Invasion in Amerika ein Europäer diesen Artikel schreibt, ist schade, und soll deshalb nicht wieder vorkommen! Perdón, compañeros y compañeras.

Glossar:
CODEHUCA - Zentralamerikanische Menschenrechtskommission
FEDEFAM - Föderation der Familien­angehörigen von Verschwundenen
ACAFADE - Zentralamerikanische Vereinigung der Familienangehörigen von Verschwundenen
SERPAJ - Dienst für Frieden und Ge­rechtigkeit
CEAAL - Rat für Erwachsenenbildung in Lateinamerika

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