Gibt es Erfolge der Friedensbewegung?

von Ute Finckh-Krämer

Die Antwort auf die Frage, ob die Friedensbewegung der letzten Jahrzehnte erfolgreich war, hängt entscheidend davon ab, wie „Erfolg“ definiert wird. Eine gängige Definition ist es, mit „Erfolg“ die Erreichung eines vorher definierten Zieles zu bezeichnen. Und wenn ich mir da z.B. das doppelte Motto des Bundes für Soziale Verteidigung ansehe, sieht es schlecht aus: Das Ziel „Konflikte gewaltfrei austragen - Militär und Rüstung abschaffen“ haben wir ganz offensichtlich bisher nicht erreicht. Nun beginnt aber bekanntlich auch der längste Weg mit dem ersten Schritt - vorausgesetzt, der führt in die richtige Richtung. Entscheidend ist für mich daher die Frage, ob wir es schon geschafft haben, dem Ziel der gewaltfreien Konfliktaustragung und der Abschaffung von Militär und Rüstung näher zu kommen.

Was haben die Friedensbewegung und die damit oft eng verbundenen anderen sozialen Bewegungen (Umwelt-, Frauen-, Dritte-Welt-Bewegung) in Deutschland und international in den letzten Jahrzehnten erreicht?

  • Die Akzeptanz von physischer Gewalt als Mittel der Erziehung und der Auseinandersetzung mit Menschen im persönlichen Umfeld ist in vielen Ländern drastisch gesunken - wobei ein paradoxer Effekt zu beobachten ist: Weil Gewalt gegen Kinder, Ehepartner, Klassenkameraden nicht mehr als gesellschaftliche Normalität gilt, wird in den Medien mehr darüber berichtet, so dass der falsche Eindruck entsteht, dass es eine Zunahme von Gewalttaten gebe.
  • Zahlreiche Methoden der gewaltfreien Konfliktaustragung wurden entwickelt und etabliert, von der klassischen Gewaltfreien Aktion über Mediation und Streitschlichtung bis hin zu gewaltfreiem Schutz von bedrohten Personen (Peace Brigades International) oder gewaltfreiem Peacekeeping (Nonviolent Peaceforce).
  • Die Rolle von Frauen in Entwicklungs- und Friedensprozessen wurde nicht nur erkannt und betont (UN-Resolution 1325), sondern findet zunehmend Beachtung.
  • Es sind zahlreiche neue Institutionen und Organisationen entstanden, die sich mit der Erforschung, Realisierung, Beschreibung oder Finanzierung von Methoden und Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung bzw. der gewaltfreien Konflikttransformation befassen. Dazu gehören nicht nur zivile Friedensdienste wie der deutsche ZFD, Förderprogramme wie zivik, Friedensforschungsinstitute wie das Berghof Center in Berlin oder Zusammenschlüsse wie EPLO, sondern auch Forschungsinstitute wie das Centre for Conflict Resolution (CCR) in Kapstadt/Südafrika oder das Peace Research Institute in the Middle East in Beit Jalah/Palästina oder Begegnungsorte wie das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem.
  • In zahlreichen Ländern wurden autoritäre oder diktatorische Regime durch gewaltfreie Aufstände oder Revolutionen abgelöst, oft mit (gewaltfreier) Unterstützung von außen.
  • Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst.
  • Die Wehrpflicht wurde in den meisten NATO-Ländern abgeschafft, in Deutschland zögert man damit im Wesentlichen deswegen, weil der Zivildienst sich vom Ersatzdienst zum gesellschaftlich angesehenen sozialen Einsatz entwickelt hat. Die Zeiten, wo die Ableistung des Zivildienstes bei Bewerbungen negativ gewertet wurde, sind lange vorbei.
  • Die Zahl der in Europa stationierten Atomwaffen ist drastisch gesunken, die Vision einer atomwaffenfreien Welt hat die offizielle Politik erreicht.
  • Ein umfassendes Verbot der Produktion und Stationierung von Chemiewaffen wurde international vereinbart, die vorhandenen Bestände wurden fast komplett vernichtet.

Schwerer messbar ist das, was wir möglicherweise verhindert haben. Die Gefahr eines „Atomkriegs aus Versehen“ bestand während des Kalten Krieges zweifellos. Welchen Anteil hatten die Friedens- und Bürgerrechtsgruppen in Ost und West daran, dass die gegenseitigen Feindbilder nicht so heftig wurden, dass bei einem der Fehlalarme (von denen wir inzwischen wissen) Atomraketen gestartet wären? Hätte es in Kenia 2008 einen Bürgerkrieg gegeben, wenn sich nicht auf allen Ebenen in- und ausländische Akteure für eine friedliche Lösung der durch den knappen Ausgang der Präsidentschaftswahlen hervorgerufenen Konflikte eingesetzt hätten? Niemand kann diese Fragen beantworten.

Fast hilflos klingt das, was US-Verteidigungsminister Robert Gates Ende Februar auf einem Strategieforum zur Zukunft der NATO in Washington formulierte: „Die Entmilitarisierung von Europa, wo große Teile der Öffentlichkeit und der politischen Klasse den Einsatz von Militär und die damit verbundenen Risiken scheuen, hat sich von einem Segen im 20. Jahrhundert zu einem Hindernis bei der Erlangung wirklicher Sicherheit und dauerhaften Friedens im 21. Jahrhundert entwickelt“ (Frankfurter Rundschau, 25.2.2010). Heißt es doch zu gut deutsch, dass sich viele Europäer weit vom militärisch geprägten Konzept der „pax americana“ entfernt haben und zur Erkenntnis gelangt sind, dass dauerhafter Frieden nicht mit militärischen, sondern nur mit zivilen Mitteln erreicht werden kann.

Kein Zweifel, für uns bleibt da noch viel zu tun – aber wir können und sollen uns durch das, was wir schon erreicht haben, dazu ermutigen lassen, uns weiter für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ (so die kirchlich-ökumenische Formulierung) einzusetzen.

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