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Sicherheitspolitik
Grenzenlose Interessen, grenzenloser Krieg
vonDieses Jahr erscheint das neue Weißbuch der Bundeswehr. Vor einem Jahr, zu Beginn der Debatte, begründete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen es so: „Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen haben sich seit der Veröffentlichung des letzten Weißbuches signifikant verändert“. Neben den Umstrukturierungen infolge der Aussetzung der Wehrpflicht nannte sie zahlreiche Bedrohungen, denen wir uns ausgesetzt sähen. Dau gehörten Gefahren aus dem Cyber-Raum, durch den Terror des IS und Ebola, auch infolge des Arabischen Frühlings und der Machtpolitik des Kremls. Diese Erzählung entspricht der Politik der ersten beiden Amtsjahre von der Leyens. Alles und jedes Thema scheint gerade recht, um die Entsendung der Bundeswehr zu rechtfertigen.
Von der Leyen bekommt dabei in der inszenierten Weißbuch-Debatte eifrig Hilfe von ihren FraktionskollegInnen. Florian Hahn, Sprecher der CSU-Landesgruppe für Auswärtiges und Verteidigung, führte eine neue Universalbedrohung ein. „Für Deutschland“, so Hahn, „hat mit der Flüchtlingswelle ein neues geopsychologisches Zeitalter begonnen. Innere und äußere Sicherheit sind für die Bürgerinnen und Bürger heute sichtbarer als sonst miteinander verbunden“.
Einig ist sich Hahn mit seiner Ministerin: Die erfolgreiche Erzeugung von irrationalen Ängsten in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen ist kein Problem, sondern eine Chance. So habe die Debatte im Januar 2014 noch anders ausgesehen. Bundespräsident Joachim Gauck musste sich mit Vorwürfen der Kriegshetze auseinandersetzen, als er sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz für eine neue deutsche Verantwortung in der Weltpolitik aussprach. Doch „kaum zwei Jahre später“, so Hahn, „mischen sich Diskussionen über notwendige außenpolitische Maßnahmen und deutsches Engagement zwischen Gespräche über Fußball und Rentenpolitik. Dieses Momentum müssen wir nutzen … Wir [müssen] das Weißbuch als eine Möglichkeit nutzen, um die deutsche Gesellschaft auf die Notwendigkeit einer aktiven Sicherheitspolitik und ihrer Instrumente einzustellen.“
Hahn spricht aus, worum es beim Weißbuch vorrangig geht: Um eine militaristische PR-Offensive zur Rechtfertigung immer neuer, offensiver Auslandseinsätze. Und damit verbunden die Forderung nach einer deutlichen Aufrüstung der Bundeswehr. Dem „Weißbuch-Prozess“ liegt keine breite gesellschaftliche Diskussion zugrunde, wie von der Leyen gerne sagt. Es handelt sich vielmehr um eine inszenierte Debatte, bei der das Ergebnis schon vor Beginn feststeht. Dafür wollte die LINKE kein Alibi hergeben, deshalb haben wir uns an diesem „Prozess“ nicht beteiligt.
Ebola
Stattdessen haben wir es uns zum Ziel gesetzt, eine Kritik an den im Weißbuchprozess diskutierten Annahmen und Thesen zu entwickeln. Nehmen wir den Kampf gegen Ebola. Als von der Leyen mit einem Tagesbefehl am 22. September 2014 um Freiwillige zum Bundeswehreinsatz gegen Ebola in Liberia geworben hat, wer mochte sich dagegen aussprechen? Schließlich ist es besser, wenn die Bundeswehr heilt statt kämpft. Und so gingen in kürzester Zeit mehr als 5000 Anfragen zur freiwilligen Mitarbeit bei der "Task Force Ebola" des Kommandos Sanitätsdienst in Koblenz ein, von denen 150 in den Einsatz gingen.
Das Problem: Warum unterstützt die Bundesregierung nicht mit demselben Aufwand eine nachhaltige zivile medizinische Unterstützung in den armen Ländern Westafrikas? Die Bundeswehr ist eine Armee und als solche nicht für solche Einsätze geeignet. Erst stellte das Ministerium fest, dass sie über gar kein geeignetes Flugzeug für mögliche Rücktransporte infizierter Soldaten verfügt. Dann musste das Deutsche Rote Kreuz um Unterstützung gebeten werden. Als schließlich nach drei Monaten eine medizinische Einrichtung in der liberischenHauptstadt Monrovia eröffnet werden konnte, da war ein Großteil der Erkrankungswelle schon wieder abgeebbt. Ebola wurde genutzt, um einen weiteren Bundeswehr-Einsatz ins Spiel zu bringen, der tatsächlich rein humanitär ausgerichtet war. Doch er hat im Kampf gegen die Epidemie keine Funktion gehabt.
Afghanistan
Die Wirkung der militärischen Intervention in Kriegsgebieten wie Afghanistan oder Irak und Syrien ist ungleich schlimmer. Dort ist die Bundeswehr Teil des Problems. In Afghanistan hat die Bundeswehr seit 2002 einen Kampfeinsatz in der US-geführten Koalition durchgeführt, der zu Beginn mit der Beendigung der Gewaltherrschaft der Taliban gerechtfertigt wurde. Die Taliban sind heute stärker denn je seit ihrem Sturz infolge der US-geführten Invasion von 2001. Im letzten Jahr haben sie in einem Überraschungsangriff sogar für eine kurze Zeit die Stadt Kundus einnehmen können.
Der Krieg droht sich ewig hinzuziehen. Für dieses Ergebnis wurden Milliarden ausgegeben und mussten Hunderttausende sterben. Die Bundesregierung stand und steht in einem Bündnis mit Kriegsfürsten, die selbst kein bisschen besser sind als die Taliban. Sie unterstützt aktiv den US-Drohnenkrieg, der abseits der Weltöffentlichkeit Gegner hinrichtet und Tausende Unschuldige trifft. Und schließlich trägt die Bundeswehr selbst die Verantwortung für einen mörderischen Bombenangriff auf über Hundert ZivilistInnen, die sich im September 2009 bei Kundus um einen steckengebliebenen Tanklastzug sammelten.
Irak und Syrien
Seit einem Jahr nun überstrahlt der „Islamische Staat“ (IS) als alles rechtfertigende Drohszenario die Debatte. Dabei gehen von der Leyen und die Bundesregierung nach dem bewährten Schema vor. Es wird nicht die Frage gestellt, warum eine Organisation wie der IS überhaupt entstehen konnte. Und auch nicht, welche Langzeitwirkung die militärische Intervention hat. Stattdessen rechtfertigt die allgemeine Verunsicherung einen Bombenkrieg, den die Bundeswehr erneut an der Seite der USA führt.
Den Preis muss die Zivilbevölkerung bezahlen. Die Befreiung vom IS ist mit der nahezu völligen Zerstörung der Ortschaften verbunden. Um die Zentralbank von Mosul zu zerstören, ließ die US-Luftwaffe im Januar mitten über dem Stadtzentrum der Millionenstadt zwei 2000-Pfund Bomben detonieren, die jeweils einen Wirkradius von 800 Metern haben. Die Folgen für die Bevölkerung müssen verheerend gewesen sein: Deshalb bekommen wir davon keine Bilder zu sehen.
Über Irak und Syrien warf die US-geführte Allianz im ersten Jahr der Luftkampagne mehr Bomben ab als in Afghanistan in den fünf Jahren zuvor. Bündnispartner in Bagdad ist ein Regime, das sich nur mithilfe radikal-schiitischer Milizen halten kann, die den Kampf gegen den IS zur ethnischen Säuberung von Ortschaften nutzen. Amnesty International beklagt, dass diese Milizen in einem Klima völliger Straflosigkeit Verbrechen begehen können, die jenen des IS in nichts nachstehen. Der Krieg der intervenierenden Mächte befördert die dauerhafte Zerstörung der Lebensgrundlagen der sunnitischen Bevölkerungsteile im Irak.
Im benachbarten Syrien stehen sich derweil internationale Mächte mit entgegengesetzten Interessen gegenüber. Als im vergangenen Jahr der NATO-Staat Türkei einen russischen Bomber abschoss, stand die Welt am Rand einer „sicherheitspolitischen Großkatastrophe“, räumte Wolfgang Ischinger ein, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Er resümiert: „Wir haben zu Beginn des Jahres 2016 die gefährlichste Weltlage seit dem Ende des Kalten Kriegs.“
Die Antwort, die Ischinger und die an der Anti-IS-Koalition beteiligten Staaten geben, verschärft die Probleme indessen. Indem die eigene Seite immer mehr aufrüstet, wird nicht mehr Sicherheit geschaffen. Die Aufrüstung der einen Seite ist die Bedrohungslage auf der anderen Seite. So sind wir derzeit Zeuge eines neuen globalen Rüstungswettlaufes, in dem selbst die atomaren Arsenale der Großmächte modernisiert und aufgestockt werden. Der Bundeswehreinsatz im Mittleren Osten ist nur Teil einer internationalen Eskalation, deren Ende nicht abzusehen ist, und die sehr schnell in einen Krieg zwischen den Regional-oder Großmächten umschlagen kann.
Grenzenlose Interessen, grenzenloser Krieg
Ein Blick in die Details zeigt: Keiner der Einsätze hat das gehalten, was am Anfang versprochen wurde. Aber viele Probleme wurden schlimmer gemacht. Ungeachtet dessen werden die ständig neuen Einsätze als Begründung für Aufrüstung und schließlich auch zur Aufstockung des Personalbestandes herangezogen.
Auf der Konferenz zur Eröffnung des Weißbuchprozesses sprach von der Leyen selbst aus, was ihre Motivation ist. Sie sagte: „Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ.“ Für das internationale Engagement Deutschlands müsse gelten: „Kein Zugzwang, aber auch kein Tabu.“
Weil die wirtschaftlichen Interessen grenzenlos sind, müssen auch die Drohszenarien grenzenlos sein, um Bundeswehreinsätze in immer neuen Gebieten der Erde durchzusetzen. Einsätze wie in Mali oder Syrien waren vor nicht allzu langer Zeit noch völlig undenkbar. Nun werden sie zum Normalzustand gemacht. Das Weißbuch wird das rechtfertigen.
Allerdings: Es ist so, dass diese weltweite Interessen Gegner haben. Es sind nicht „Terroristen“, die die größte Gefahr für den Einfluss des deutschen Kapitals darstellen. Es sind die Interessen der anderen Mittel- und Großmächte, die vermeintlichen Partner.
Der aktuelle Konflikt zwischen NATO und Russland in der Ukraine verdeutlicht dies. Es handelt sich um einen Konflikt um die Neuverteilung der Einflusszonen in Osteuropa. Von der Leyen drängelte sich dabei regelrecht nach vorn, um im Rahmen der NATO Führungsstärke zu zeigen. Erst übernahm die deutsche Marine die Leitung eines NATO-Flottenverbandes in der Ostsee. Es folgte die verstärkte Beteiligung an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum, schließlich die Übernahme der Verantwortung beim Aufbau einer „superschnellen“ Eingreiftruppe im Rahmen der Nato Response Force, der sogenannten Nato-Speerspitze.
Mit Blick auf Russland sollen deshalb die Panzerbestände wieder verstärkt werden. So kam es im vergangenen November zu einem ersten Nachrüstungsbeschluss. In den Schlussberatungen zum Haushalt 2015 war plötzlich die Beschaffung von 131 zusätzlichen Radpanzern des Typs Boxer vorgesehen. Viele weitere Aufrüstungsprojekte stehen in allen Teilbereichen der Streitkräfte stehen an.
Die vorgeschlagenen Lösungen werden unser Leben nicht sicherer machen. Im Gegenteil: Sie befördern selbst einen globalen Wettlauf um immer mehr Waffen und Rüstungsgütern. Das ist die eigentliche Bedrohung, der wir uns gegenüber sehen.