Die Friedensbewegung der 1980er Jahre

Größte Friedensdemos der bundesdeutschen Geschichte

von Mani Stenner

Das Engagement der Vielen gegen Krieg wirkt noch heute nach. Mehr als eine Million Menschen protestierten am 22. Oktober 1983 in der Bundesrepublik gegen die Stationierung neuer Atomraketen und die Blockkonfrontation. Einen Monat vor der Beschlussfassung im Bundestag waren die parallelen Demonstrationen in Berlin, Bonn, Hamburg und die 108 km lange Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm Höhepunkt des Aufbegehrens gegen einen real drohenden Atomkrieg und die Logik der Abschreckung seit dem NATO-Doppelbeschluss von 1979.

Das Netzwerk Friedenskooperative gibt unter www.friedenskooperative.de/netzwerk/histo000.htm einen Überblick über die Geschichte der deutschen Friedensbewegung. Dort zu finden auch Links auf die Berichterstattung zum Jahrestag in einigen Medien - im Bonner Generalanzeiger z.B. wurde gut recherchiert über die auf das ganze Stadtgebiet verteilte Kundgebung vom 22. Oktober 1983 berichtet. Das allgemeine Gefühl damals: Wir sind so viele, da können die im Bundestag doch nicht gegen uns entscheiden! Mir selbst ist der Vortag noch viel deutlicher in Erinnerung, als wir mit einigen tausend Bonner Menschen, strikt gewaltfrei in Bezugsgruppen organisiert, gegen vier Uhr früh zum Hardtberg pilgerten und das Verteidigungministerium für einen Tag blockierten, eigentlich durchaus erfolgreich - einige Bedienstete kamen nicht mehr durch. Wir setzten uns ordentlich vor die Polizeigitter und bildeten nachmittags Spalier für die nach ihrer Schicht abziehenden BMVg-Mitarbeiter, die ihren Dienst schon in der Nacht angetreten hatten. Das Bonner Stadtmagazin „Schnüss“ schrieb danach süffisant: „Hätten sie uns die Gitter vor unsere eigene Haustür gestellt, wären wir schon dort sitzengebliebenen“. Einen Monat später am Bundestag war es dann ein wenig stressiger. Die Bonner und viele andere Aktionsgruppen liefen trotz versammlungsrechtlich-pflichtgemäßer Aufforderung von Jo Leinen an der Kundgebung am „Bonn-Center“ vorbei und besetzten die Kreuzung zur Heussallee an der Bannmeile. Geräumt wurde mit Wasserwerfern inklusive beigemischtem Tränengas. So was wie Taksim light. Am nächsten Tag stimmte der Bundestag für die Stationierung und wir wurden alle kurzzeitig depressiv.

Dennoch: Die deutsche Gesellschaft hat durch die Friedensbewegung der 1980er Jahre enorm gewonnen. Der damals propagierte Anspruch auf Mitsprache bei wichtigen Fragen wirkt in vielen Bürgerinitiativen nach, und es gibt eine tief verankerte Skepsis gegen Krieg und Militär. Auch wenn Protestaktionen etwa zum Afghanistankrieg oder gegen die skandalösen Rüstungsexporte an autokratische Regime wie Saudi-Arabien keine vergleichbare Beteiligung mehr haben, sind in solchen Sachfragen die Umfragen eindeutig auf unserer Seite.

Auf und Ab
Seit den damaligen Großdemonstrationen gab es viel „Auf und Ab“ bei der Beteiligung an Aktionen der Friedensbewegung. Zunächst hatten viele resigniert, als am 22. November 1983 der Bundestag trotz aller Hoffnungen die Stationierung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles beschloss. Weitere waren froh, als 1987 mit dem INF-Vertrag zwischen Gorbatschow und Reagan die Mittelstreckenraketen abgezogen wurden und dann sogar die Mauer fiel. Gründe für den Protest gegen Atomwaffen schienen wegzufallen, obschon Friedensgruppen bis heute in vielen Aktivitäten die Ächtung aller Nuklearwaffen fordern.

Die „Pazifismusdebatte“ nach dem Massaker von Srebenica und der Bruch mit den aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen nach der Beteiligung am Krieg um den Kosovo haben in den 1990er Jahren die Reihen der Aktiven weiter gelichtet.

Das Potential für massiven Protest gegen Krieg hat sich aber seither immer wieder gezeigt, so etwa beim ersten Krieg gegen Irak 1991 und dann auch bei der mit dreisten Lügen begründeten Irak-Invasion 2003. Und längst haben die Friedensorganisationen eine eigene Expertise für die Alternativen zu militärischem Eingreifen bei Krisen und Gewalt mit Möglichkeiten Ziviler Konfliktbearbeitung entwickelt.

Lasst uns weiter daran arbeiten, dass die weltweiten Einsätze der Bundeswehr auf Protest stoßen und eine an wirtschaftlichen Interessen orientierte Außen- und Militärpolitik wie auch die Rüstungsexporte mehrheitlich abgelehnt werden. Die Erinnerung an die „Hochzeit“ der Friedensbewegung vor 30 Jahren, aber auch der jetzt anstehende Rückblick „1914-2014“ auf die lange Geschichte des pazifistischen Widerstands gegen Krieg kann uns dazu ermutigen.

Aus Friedensforum 6/2013.

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