UNO verhandelt erstmals über Verbot von Atomwaffen

Großer Erfolg für die internationale Friedensbewegung

von Andreas Zumach

Im März dieses Jahres kommen die Mitgliedsstaaten der UNO in New York zur ersten Verhandlungsrunde über ein Abkommen zum Verbot von Atomwaffen zusammen.  Laut dem Ende Oktober 2016 von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Verhandlungsmandat sollen die Herstellung, der Besitz und der Einsatz von Atomwaffen verboten werden. Künftige Vertragsstaaten sollen sich zudem verpflichten,  die Stationierung von Atomwaffen fremder Mächte auf ihrem Territorium zu beenden, den Transport von Atomwaffen  über ihr Land, durch ihren Luftraum und ihre Hoheitsgewässer zu unterbinden und sich in militärischen Bündnissen mit anderen Staaten nicht mehr an Nuklearwaffenpolitik und -planung beteiligen. Die zweite Verhandlungsrunde ist für Juni/Juli angesetzt.

Dass derartige Verhandlungen auf UNO-Ebene 72 Jahre nach dem verheerenden ersten Einsatz von Atomwaffen gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 endlich zustande kommen, ist ein großer Erfolg aller FriedensaktivistInnen, die sich seit Jahrzehnten weltweit für die Abrüstung dieser Massenvernichtungswaffen und ihr vollständiges Verbot engagieren: Mit Ostermärschen und anderen Demonstrationen, Kundgebungen und Petitionen an die PolitikerInnen; mit Aufrufen zur Dienst-und Befehlsverweigerung an für einen eventuellen Atomwaffeneinsatz verantwortliche SoldatInnen; sowie mit  Blockaden und anderen gewaltfreien Aktionen vor Atomwaffenstandorten oder gar  durch das Eindringen in militärische Anlagen und die symbolische Beschädigung von Trägerraketen für atomare Sprengköpfe, womit zum Beispiel die Brüder Dan und Phillip Berrigan Anfang der 80er Jahre in den USA großes Aufsehen erregten.

In den letzten Jahren beteiligten sich viele Initiativen und Organisationen der Friedenbewegung an der „"Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen“ (ICAN-International Campaign for the abolition of nuclear weapons), die gezieltes Lobbying gegenüber den Regierungen der UNO-Mitgliedsstaaten betrieb. Erster Erfolg dieses Lobbying war, dass die Generalversammlung im Oktober 2015 auf Antrag von Österreich, Brasilien  und einiger weiterer Länder eine Arbeitsgruppe einsetzte, die eine Beschlussvorlage für ein Verhandlungsmandat über ein Abkommen zum Atomwaffenverbot erarbeiten sollte. Im August 2016 legte die Arbeitsgruppe ihre Beschlussvorlage vor.

Der  endgültige Durchbruch erfolgte Ende Oktober 2016, als die UNO-Generalversammlung mit einer fast Zwei-Drittel-Mehrheit von 123 ihrer 193 Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zum Atomwaffenverbot beschloss. 38 Länder, darunter fast sämtliche NATO-Staaten und Russland, votierten mit Nein, 16 Länder enthielten sich.

Das Abstimmungsergebnis macht deutlich, dass das Lager der 34 Staaten, die entweder selber Atomwaffen besitzen oder aber als Mitglieder der NATO an der atomaren Abschreckungsdrohung  und der Einsatzplanung beteiligt sind, keineswegs mehr geschlossen ist: von den fünf seit dem atomaren Nichtweiterverbreitungsvertrag  (NPT) von 1970 als „legitim“ anerkannten „offiziellen“ Nuklearmächten votierten die USA, Frankreich, Großbritannien und Russland mit „Nein“ ,während China sich enthielt. Unter den vier seit 1970 hinzugekommen Atomwaffenbesitzern stimmten Israel mit „Nein“, Indien und Pakistan mit Enthaltung und Nordkorea mit "Ja“.

In der NATO folgten fast alle anderen 27 Mitglieder der dringenden Aufforderung der Bündnisvormacht USA, die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot abzulehnen. Lediglich die Niederlande enthielten sich. Eine Enthaltung war im Vorfeld der Abstimmung auch von Norwegen erwartet worden, nachdem das Parlament in Oslo die Regierung sogar mit großer Mehrheit zur Abgabe einer „Ja"-Stimme aufgefordert hatte. Doch die konservative Regierung beugte sich dem Druck aus Washington und votierte mit „Nein“.

In einem vertraulichen Brief, der der Schweizer Friedenszeitung vorliegt, hatte die Obama-Administration ihre militärischen Verbündeten innerhalb der NATO sowie außerhalb (Australien, Japan, Südkorea) wenige Tage vor der Entscheidung in der UNO-Generalversammlung aufgefordert, „gegen die Beschlussvorlage zu stimmen“ und, falls diese eine Mehrheit erhalten sollte, „an künftigen Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot nicht teilzunehmen“. In ihrem Schreiben warnte die US-Regierung, ein Verbotsabkommen würde – selbst wenn  nur einige wenige der in die US-Atomwaffenstrategie eingebundenen 30 Verbündeten unterschrieben –, „zu einem Ende der gemeinsamen Nuklearpolitik der NATO sowie der atomaren Schutzgarantien der USA für ihre Verbündeten in Europa und in der Pazifikregion  führen“. Überdies würde die weitere Geschäftsgrundlage für die NATO in Frage gestellt.

Die Position und das Vorgehen der USA steht in eklatantem Widerspruch zu der Haltung, die die Obama-Administration zu Beginn ihrer Amtszeit Anfang 2009 eingenommen hatte. Als erster Präsident in der Geschichte der USA seit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki formulierte Barak Obama Anfang 2009 in einer Rede die „Vision einer atomwaffenfreien Welt“. Auch deshalb erhielt Obama noch im selben Jahr den Friedensnobelpreis. Wie unverdient diese Auszeichnung war, bewies Obama zum Ende seiner Amtszeit noch einmal, indem er selbst den ersten konkreten Schritt auf dem Weg zu dieser atomwaffenfreien Vision zu verhindern suchte.

Die USA und fast alle anderen NATO-Staaten hatten auch schon im Oktober 2015 gegen die Einsetzung der Arbeitsgruppe gestimmt, die die Beschlusslage für die Generalversammlung erarbeiten sollte. Und  bei der Verabschiedung der Beschlussvorlage durch die Arbeitsgruppe im August 2016 votierten ebenso fast alle NATO-Staaten mit „Nein". Zur Begründung ihrer Haltung erklärten die NATO-Regierungen, sie wollten den seit 1970 bestehenden Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen  (NPT) „vor Verwässerung schützen“. Tatsächlich wird der NPT-Vertrag immer mehr geschwächt, je länger die fünf seit diesem NPT-Vertrag offiziellen anerkannten Atomwaffenmächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien ihre vertraglichen Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllen und an ihrem fragwürdigen Privileg festhalten.

Allerdings war/ist auch in den sozialdemokratisch/sozialistischen, christdemokratischen oder liberalen Parteien, die an den Regierungen vieler europäischer NATO-Staaten beteiligt sind, die Haltung zu Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot keineswegs einheitlich. Die Abgeordneten dieser Parteien im Europäischen Parlament votierten am Vorabend der Entscheidung in der UNO-Generalversammlung mit großer Mehrheit für eine Resolution, die die Regierungen der EU-Staaten aufforderte, für die Verhandlungen zu stimmen. 

Ähnlich massiven Druck wie auf die 30 Verbündeten innerhalb und außerhalb der NATO übte die Obama-Administration auch auf die 54 Staaten der Afrikanischen Union aus. Doch dieser Druck wirkte kontraproduktiv. Die afrikanischen Staaten stimmten – ebenso wie die Länder Latein-und Mittelamerikas - fast geschlossen für die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot. Lediglich Sudan, Mali und Nicaragua enthielten sich der Stimme.

Unter den zwölf neutralen Staaten Europas, die weder der NATO noch dem früheren Warschauer Pakt angehör(t)en, stimmten zehn Länder  mit „Ja“, Finnland und die Schweiz enthielten sich. Die Schweizer Enthaltung war ein Kompromiss: Der für Militär und Verteidigung zuständige und besonders USA-hörige SVP-Bundesrat Guy Parmelin hatte für ein „Nein“ plädiert, während die Berner UNO-Diplomaten und EDA-Vorsteher Didier Burkalter  für eine Zustimmung der Schweiz waren.

Für die „Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“ (ICAN) kam das Abstimmungsergebnis in der UNO-Generalversammlung „ einer abrüstungspolitischen Revolution gleich“. Denn „noch nie zuvor“ hätten es „die atomwaffenfreien Staaten gewagt, die Atomwaffenstaaten und ihre Alliierten in einer solchen Frage zu überstimmen“. ICAN sieht in der Entscheidung auch „eine neue weltpolitische Weichenstellung“ . Angesichts der Spannungen zwischen NATO und Russland, „die zunehmend auch zu einer Verschärfung der nuklearen Rhetorik und Aufrüstung geführt haben“, sei das Votum in New York „von herausragender geopolitischer und diplomatischer Bedeutung“.

Es ist sehr wichtig, dass die Friedensbewegung die im März beginnenden Verhandlungen in der UNO-Generalversammlung genau und kritisch beobachtet. Denn es besteht die Gefahr, dass sich zumindest Deutschland und andere NATO-Staaten sowie US-Verbündete wie Australien, Japan und Südkorea an den Verhandlungen beteiligen werden, mit den Ziel, ein möglichst schwaches Verbotsabkommen mit zahlreichen Ausnahmen und Schlupflöchern durchzusetzen. Das läge  auch im Interesse der Trump-Administration in Washington, die sich mit größter Wahrscheinlichkeit nicht an den Verhandlungen beteiligen wird. Eine entsprechende Strategie verfolgten die NATO-Staaten bereits – wenn auch vergeblich – mit ihrer Teilnahme an den Verhandlungen in der Arbeitsgruppe der Generalversammlung. Bei den Vertragsverhandlungen ab März dieses Jahres werden die teilnehmenden NATO-Staaten möglicherweise durchzusetzen versuchen, dass die Stationierung von Atomwaffen auf fremdem Territorium  nicht ausdrücklich verboten wird und auch nicht der Transport von Atomwaffen über ausländische Seehäfen, Lufträume und Landterritorien, oder dass sogar die Beteiligung an der Einsatzplanung von Atomwaffen im Rahmen von Militärbündnissen wie der NATO und die nukleare Teilhabe erlaubt bleiben. An derartigen Lücken in einem künftigen Abkommen dürften in erster Linie, aber nicht nur, die USA ein Interesse haben. Auch die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland haben seit Bestehen des NATO-Bündnisses immer ausdrücklich auf der „nuklearen Teilhabe“ bestanden, die im Spannungsfall auch die Bestückung von Kampfflugzeugen der Bundesluftwaffe mit in Deutschland stationierten US-amerikanischen Atomwaffen vorsieht. 1987 gefährdete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem  Beharren auf der „nuklearen Teilhabe“ sogar zeitweise den Abschluss des INF-Vertrages zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion über den Abzug sämtlicher atomaren Kurz-und Mittelstreckenraten aus Europa. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass die westdeutsche Bundesrepublik den NPT 1973 nur mit dem Vorbehalt zumindest einer deutschen Mitverfügung über Atomwaffen im Rahmen einer künftigen gemeinsamen europäischen Militär-und Sicherheitspolitik unterzeichnete.

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