Grundgedanken ziviler Konfliktbearbeitung

von Detlef Beck
Schwerpunkt
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So wie der Begriff Zivilgesellschaft schon in den letzen Jahren Karriere gemacht hat, deutet einiges darauf hin, dass der Begriff Zivile Konfliktbearbeitung auf gutem Weg ist, ebenfalls ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit zu gelangen. Zunehmend wird der Begriff nun auch als "Sammelbegriff" für Programme, Methoden und Aktivitäten, die sich auf die Austragung und Bearbeitung von Konflikten in der Gesellschaft beziehen, benutzt.

Mir scheint der Begriff noch so etwas wie eine leere Tüte zu sein und je nach dem, was hineingetan wird, zeigt sich, was jeweils unter ziviler Konfliktbearbeitung verstanden werden soll. An diesem "Füllungsprozess" beteiligt sich dieser Artikel, indem er Konzepte und Erfahrungen aus der aktuellen Trainingspraxis zu den Themen Konflikt, Gewaltfreiheit und Gewalt aufnimmt und in einer ersten Modellskizze dem Begriff der zivilen Konfliktbearbeitung zuordnet.

Im Mittelpunkt: Die "Galtungsche" Idee der Konflikttransformation und die Idee der konstruktiven Konfliktlösung
Jede Konfliktlösung ist nach Galtung nichts anderes als eine Konflikttransformation, d.h. jede "Lösung" eines Konflikts ist letztlich nur temporär. Genauso, wie alte Widersprüche wieder aufbrechen oder neue entstehen können, ist es möglich, dass sich die gefundene Lösung als stabil und dauerhaft herausstellt. Konfliktlösungen sind danach nichts Statisches, nichts was ein für allemal gewonnen ist. Basis für erfolgreiche Konfliktbearbeitung ist deshalb nicht so sehr, dass eine Lösung in Sicht ist, sondern dass "Transformationskapazität" vorhanden ist, also die Fähigkeit, Konflikte in gegenseitigem Respekt, in Achtsamkeit auszutragen und in eine tragfähige und akzeptable Form zu bringen. Die Suche nach Konfliktlösungen ist ein Prozess, in dem die beteiligten Konfliktparteien oder KonfliktpartnerInnen unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Ziele so verhandeln, dass das gemeinsam gefundene Ergebnis für beide Seiten von Vorteil ("Gewinn") ist.
 

Das Konfliktdiagramm in Abbildung 2 (siehe nächste Seite) skizziert die grundlegende Idee konstruktiver Konfliktlösungen ("win-win"-Lösungen). Destruktive Konfliktaustragung führt für die eine oder andere Seite oder für beide zu unbefriedigenden Ergebnissen: P1 - beide Seiten verlieren (Blockade, gegenseitige Verletzungen bis hin zur Vernichtung); P2 - eine Seite setzt sich ohne Rücksicht auf die andere Seite durch; P3 - eine Seite vermeidet den Konflikt zum einseitigen Vorteil der anderen Seite. Der Kompromiss ist dadurch gekennzeichnet, dass beide Konfliktparteien einige Forderungen aufgeben oder Zugeständnisse machen (P4).

Eine konstruktive Konfliktlösung bedeutet im günstigsten Fall, dass beide Seiten 100% ihrer Interessen verwirklichen, jede Seite gewinnt und begnügt sich nicht mit weniger. Zentrale These ist nach diesen Denkmodellen, dass Konfliktaustragung und -bearbeitung sowie Strukturen in und zwischen Organisationen wie auch im zwischenmenschlichen Bereich so ausgerichtet werden können, dass das bewusste Streben nach Interessenausgleich Vorrang hat vor der Frage, wer Recht hat oder mehr Macht besitzt. Der Blick auf die Interessen der Konfliktparteien ermöglicht eine Konfliktaustragung, an deren Ende im Idealfall beide Konfliktparteien ihre Ziele erreichen. Die Erfahrungen zeigen, dass der Vorteil des Interessenausgleichs schlicht darin liegt, dass diese Form der Konfliktregelung häufig zu zufriedenstellenderen Ergebnissen, besseren Beziehungen, dauerhafteren Lösungen und potentiell auch zu geringeren Konfliktkosten führt.

Drei Perspektiven ziviler Konfliktbearbeitung
Es macht Sinn, das, was unter ziviler Konfliktbearbeitung verstanden werden kann, aus drei Perspektiven zu betrachten. Diese Perspektiven weisen gleichzeitig auf die Handlungsfelder der Konfliktbearbeitung in der individuellen, sozialen und gesellschaftspolitischen Praxis.

Auf der individuellen Ebene geht es darum, die persönlichen Konfliktfähigkeiten und Konfliktlösungskompetenzen zu erweitern. Nach einem vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW, dem Landesverband der Volkshochschulen und dem Bund für Soziale Verteidigung (BSV) entwickelten Curriculum für den Bereich der Erwachsenenbildung sind dies unter anderem folgende Kompetenzbereiche:
 

  •  Konfliktverhalten: Kompetenzen, in Konflikten deeskalierend und gewaltmindernd zu agieren und eine konstruktive Konfliktbearbeitung zu initiieren.
     
  •  Konflikt- und Problemmanagement in Gruppen: Kompetenzen, Gruppen so zu konstituieren und Gruppenprozesse so zu gestalten, dass die Fähigkeiten aller Beteiligten optimal genutzt werden und konstruktive Entscheidungen, Problemlösungen und Konfliktbearbeitungen ermöglicht werden.
     
  •  Konflikttheorie und Konfliktanalyse: Kompetenzen, Konflikte zu erkennen, zu analysieren und konflikttheoretisch einzuordnen.
     
  •  Konfliktbearbeitungsmethoden: Kompetenzen, standardisierte Konfliktbearbeitungsmethoden auszuwählen und anzuwenden, sowie Kompetenzen, spezifische Konzepte für eine Konfliktbearbeitung zu entwickeln.
     

Im Kinder- und Jugendbereich beinhaltet die Arbeit an der persönlichen Konfliktkompetenz vor allem die Themen Selbstwert, Kommunikation, Kooperation und Konfliktaustragung, die im Schaubild (Abbildung 3) stichwortartig beschrieben sind.

Auf der sozialen Ebene ziviler Konfliktbearbeitung geht es darum, Veränderungsprozesse für eine konstruktive Konfliktkultur in den verschiedenen Organisationen und Bereichen des Gemeinwesens zu initiieren und zu unterstützen. Das heißt zum einen die Verankerung und Institutionalisierung von Verfahren interessensorientierter Konfliktbearbeitungsverfahren in den verschiedensten sozialen Lebensbereichen, in der Schule, in Kindergärten, in Unternehmen, in der Jugendarbeit in der Kommune usw. Die Einrichtung von Streitschlichterprogrammen in Schulen oder Mediationsstellen beispielsweise für Nachbarschaftskonflikte in Stadtteilen sind hierfür praktische und erprobte Beispiele. Zum anderen geht es um die Entwicklung von Netzwerken, die einen Rahmen herstellen, in dem Handlungspotenziale erschlossen und verknüpft werden können. Ein Beispiel hierfür ist das Netzwerk Gewaltprävention im Kreis Gütersloh. Das Netzwerk entwickelte sich aus der Grundidee einer der Projektskizzen des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung mit dem Titel "Konstruktive Konfliktbearbeitung durch Kooperation in der Region - ein Projekt zur Gewaltprävention und Demokratiefähigkeit in Familie, Schule und Gemeinwesen". Im wesentlichen beinhaltete das Projekt:
 

  •  den Aufbau konstruktiver Kommunikationsstrukturen zwischen schon existierenden Institutionen, Gruppen und Einzelnen, die sich mit dem Aufbau von Konflikt- und Kommunikationskompetenzen in ihrem Handlungsfeld befassen;
     
  •  bedarfsorientierte Qualifizierungsmaßnahmen für MultiplikatorInnen in den verschiedenen Handlungsfeldern, die es ermöglichen, Ansätze und Verfahren der konstruktiven Konfliktbearbeitung zielgruppenspezifisch umzusetzen;
     
  •  die Ermöglichung eines selbstgesteuerten Qualitätsentwicklungsprozesses verschiedener pädagogischer Bereiche im Hinblick auf Gewaltprävention und die Förderung von Konflikt- und Demokratiefähigkeit.
     

Damit sollte im Kreis Gütersloh ortsübergreifend ein Veränderungsprozess hin zur Verbreitung konstruktive Konfliktbearbeitungsansätze in verschiedenen Organisationen und Arbeitsbereichen initiiert, unterstützt oder begleitet werden. Zur Projektkoordination wurde eine Steuerungs- und Planungsgruppe eingerichtet. Mitglieder waren und/oder sind der Kreisdirektor, die Abteilung Bildungs- und Schulberatung und die Abteilung Jugend und Familie des Kreises, das Jugendamt der Stadt Gütersloh, die Koordinationsstelle für Suchtprävention, die Gleichstellungsbeauftragte, die Kreispolizeibehörde/Kommissariat Vorbeugung, das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, der Bund für Soziale Verteidigung.

Das Projekt lässt sich rückblickend grob in drei Phasen gliedern:

Phase I - 1999: Schwerpunkt waren Fortbildungen in den Grundlagen konstruktiver und gewaltfreier Konfliktaustragung im Rahmen von fünf einrichtungsübergreifenden Qualitätszirkeln und Unterstützung einer Schule in der Entwicklung eines Programms zur konstruktiven Konfliktbearbeitung im Rahmen der Schulprogrammentwicklung.

Phase II - 2000: Kern dieser Phase waren vertiefende Qualifizierungsangebote zu den Themen Mediation und Geschlechterpädagogik und die Organisation und Durchführung von "Vernetzungstagen" zur Entwicklung von Praxisprojekten. Im Rahmen von zwei Vernetzungstagen konnten 10 Projektgruppen zu verschiedenen Themen der Gewaltprävention gebildet werden. Hinzu kam eine Vielzahl von Schulen, die ein Streitschlichterprogramm in ihrer Schule einführen wollten. Streitschlichterprogramme wurden schon vor Beginn der Arbeit des Netzwerkes systematisch und sehr erfolgreich vom Kreis Gütersloh gefördert und unterstützt.

Phase III - 2001: Im Mittelpunkt des Jahres 2001 standen und steht der Praxistransfer der Fortbildungsinhalte und anderer Ideen zur Gewaltprävention in die berufliche Praxis der NetzwerkteilnehmerInnen. Das Spektrum der Projekte reicht von Streitschlichtungsprogrammen über Selbstbehauptungstrainings für Mädchen und Coolness-Trainings für Jungen bis hin zu Programmen zur Gewaltminderung in Schulbussen und u.a. ein Projekt zur Erhöhung der Konfliktkompetenzen in den Klassen 1 und 2 in einer Erziehungshilfeschule.

Auf der gesellschaftspolitischen Ebene stehen die Entwicklung und Verbreitung von Grundgedanken und Konzepten ziviler Konfliktbearbeitung neben der Unterstützung und Förderung der Konfliktkompetenzen von Bürgern und BürgerInnen gegenüber politischen und administrativen Entscheidungen von Staat und Regierung im Vordergrund. Im Zentrum einer demokratischen Gesellschaft steht ihre Fähigkeit zur geregelten, diskursiven und gewaltfreien Konfliktaustragung, was nicht nur im Rahmen politischer Bildung zu Anknüpfungspunkten für Aktionen, Programme, Fortbildungen und Projekte etc. zur Stärkung demokratischer Einstellungen und Verfahren bildet, sondern auch zur aktiven Wahrnehmung und Verteidigung demokratischer Rechte ermutigt. Beispiele für Aktivitäten in diesem Bereich sind neben vielen anderen die Aktionen und Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen im Menschenrechts- und entwicklungspolitischen Bereich, wie auch die von Bürgerinitiativen für kommunalpolitische Themen oder die gewaltfreien Aktionen im Wendland gegen die Atomkraft.

Literatur:
*Galtung, Frieden mit friedlichen Mittel, Leske + Buderich: Opladen, 1998,
 

*Beck, Auf dem Weg ins freundliche Klassenzimmer, Dokumentation eines Projektes zur gewaltfreien Konfliktaustragung in einer 4. Grundschulklasse, BSV (Hg.), Ringstr. 9a, 32437 Minden, Hintergrund- und Diskussionspapiere Nr. 4, 1999 (132 S.)
 

*Fischer/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept: Sachgerecht verhandeln erfolgreich verhandeln, Campus, 1993
 

*Körner, Projektskizze: "Konstruktive Konfliktbearbeitung durch Kooperation in der Region - ein Projekt zur Gewaltprävention und Demokratiefähigkeit in Familie, Schule und Gemeinwesen", Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW, 1998
 

*Prutzmann, P. u.a., Das freundliche Klassenzimmer, Weber, Zucht & Co: Kassel, 1996
 

*Walker, Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Sekundarstufe I, Cornelsen: Frankfurt, 1995
 

*Ury/Brett/Goldberg, Konfliktmanagement, Heyne: München, 1996, S.41
 

*Bunte/Bläsi/Südmersen, Dokumentation des Mindener Projektes: Kreative Konfliktbearbeitung im kommunalen Zusammenhang, BSV (Hg.), Ringstr. 9a, 32437 Minden, 1998
 

*Blum/Beck, Kurzdokumentation "Netzwerk Gewaltprävention im Kreis Gütersloh) - noch unveröffentlicht

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Detlef Beck ist Geschäftsführer des BSV/Bildungsbereich.