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Grundgesetzänderung zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr - Am Beginn einer neuen Ära deutscher Machtpolitik
vonVor dem Hintergrund der Golfkrise haben am 3. September im Hafen von Chania (Kreta) drei Minensuchboote der Bundesmarine festgemacht. Das Bild zeigt einen griechischen Admiral der zusammen mit deutschen Marine-Offizieren die modernen Boote besichtigt.
Herrschende Politik in der BRD nimmt den Golfkrieg zum Anlaß, bisher gültige Beschränkungen des Einsatzes deutscher Streitkräfte über Bord zu werfen. Künftig sollen auch deutsche Soldaten dabei sein, wenn Krisen in aller Welt mit militärischen Mitteln nach dem Vorbild des Golfkriegs "gelöst" werden.
Deutsche Machtpolitik im westeuropäischen Verbund
Herrschende Politik kann sich dabei darauf berufen, daß "die Anderen" das "schlappe" Beiseitestehen Deutschlands im Golfkrieg heftig kritisierten und "uns" drängen, doch bitte endlich mehr "Verantwortung" für die Erhaltung des Weltfriedens zu übernehmen - und zwar auch militärisch. (Am Rande sei vermerkt, daß die BRD ganz erheblichen Anteil an der Kriegführung gegen den Irak hatte: als Nachschubbasis und Drehscheibe für den Transport der US-Truppen und ihrer Verbündeten in die Kriegsregion, als Finanzier des Krieges und auch mit eigenen Streitkräften im Randbereich der Kriegsregion (Türkei, östliches Mittelmeer) zur Rückendeckung und Flankensicherung des Kriegseinsatzes der Verbündeten). Hinter diesem Drängen der "Anderen" kann deutsche Politik bequem eigene machtpolitische Ansprüche verstecken.
Spätestens seit der Angliederung der DDR ist die Zurückhaltung, die sich Deutschland in Folge der Niederlage im Zweiten Weltkrieg außen- und militärpolitisch auferlegte (bzw.: die Deutschland von außen auferlegt wurde), Vergangenheit. Die vergrößerte BRD will endlich "ein Staat wie jeder andere" werden, d.h. eine ihrem wirtschaftlichen Potential und ihren als global definierten Interessen entsprechende weltpolitische Rolle spielen. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära deutscher Machtpolitik.
Das deutsche "Ausgreifen in die Weltpolitik" vollzieht sich allerdings nicht im nationalen Alleingang, sondern im Rahmen der westeuropäischen Integration, wobei Deutschland aufgrund seiner (wirtschaftlich, finanziell, demographisch usw.) starken Position in Europa eine führende Rolle beansprucht. Es geht also nicht um eine Neuauflage chauvinistischer Weltmachtpolitik eines großdeutschen "Vierten Reiches" im Alleingang, sondern um die Herausbildung einer Großmacht EG-Europa unter deutscher Hegemonie.
Die deutsche Machtpolitik im westeuropäischen Verbund soll auch auf militärische Mittel abgestützt werden können. Militär wird folglich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht überflüssig, sondern bekommt neue Aufgaben übertragen und wird entsprechend reorganisiert. An die Stelle der "Bedrohung aus dem Osten" tritt zusehends eine angebliche "Bedrohung aus dem Süden", der mit hochmobilen, flexibel einsetzbaren Streitkräften begegnet werden soll. Bundeswehr-Generalinspekteur Wellershoff forderte bereits im letzten Herbst "hochpräsente bewegliche Kräfte... weil die Beteiligung an internationalen oder gar multinationalen Aktionen an den Flanken Europas, und eines Tages möglicherweise darüber hinaus, notwendig wird. Deshalb muß man mobil sein, deshalb nimmt die relative Bedeutung von Seestreitkr„ften zu, auch von hochbeweglichen Land- und Luftstreitkräften, die ich an Krisenherde transportieren kann. Auch die Bedeutung des Lufttransportes wird sicherlich zunehmen."(1) Die Planungen im Verteidigungsministerium zur Aufstellung deutscher schneller Eingreiftruppen sind z.Z. der deutlichste Ausdruck dieser Reorganisation der Streitkräfte entlang der Vorgaben Wellershoffs.
Auch die militärische Abstützung des "Ausgreifens in die Weltpolitik" wird nicht im nationalen Alleingang durchgesetzt, sondern in Abstimmung mit den Verbündeten: Wenn von offizieller Seite für deutsche Streitkräfte mit globalen Aufgaben geworben wird, so stets im Rahmen "multinationaler" Einheiten. Die Pläne für die Aufstellung europäischer Eingreifverbände - sei es im Rahmen der WEU oder der EG - zeigen, wohin die Reise gehen soll. Die westeuropäischen Staaten streben offensichtlich nach eigenen Fähigkeiten zu weltweiter militärischer Machtentfaltung auch unabhängig(er) von den USA, die ja nicht nur militärpolitischer Verbündeter, sondern auch wirtschaftlicher Konkurrent auf dem Weltmarkt sind.
In die Auseinandersetzungen um die Machtverteilung in der "neuen Welt(un)ordnung" nach dem Ende des Ost-West-Systemgegensatzes will herrschende deutsche Politik nicht mit militärpolitischen (Selbst-)Beschränkungen hineingehen. Das wäre sowohl für die Konkurrenz innerhalb Westeuropas um Rang, Einfluß und Positionen in der sich herausbildenden Großmacht Westeuropa als auch für die Konkurrenz dieser Großmacht Westeuropa mit den USA, Japan u.a. auf der Weltbühne eine lästige Fessel. Zwar hat sich Deutschland bisher weitgehend auf nicht-militärische (wirtschaftliche) Instrumente bei der Einflußnahme und Interessendurchsetzung in der Welt abgestützt und ist damit recht gut gefahren (und wird daher wohl auch künftig überwiegend weiter so verfahren wollen), aber so zurückhaltend wie bisher können und sollen die militärischen Instrumente dann doch nicht mehr gehandhabt werden.
Die geplante Grundgesetzänderung
Um aber die eigene Machtpolitik auch militärisch abstützen zu können, müssen nicht nur die materiellen Voraussetzungen geschaffen (d.h. die Streitkräfte entsprechend aus- und umgebaut) werden, sondern auch die politischen und rechtlichen Voraussetzungen. Und in dieser Hinsicht bildet das Grundgesetz bzw. präziser: die herrschende Interpretation des Grundgesetzes in Recht und Politik ein ernsthaftes Problem. Nach (noch) herrschender Meinung nämlich verbietet das Grundgesetz (GG) - insbesondere Artikel 87a und 85a - den Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Vertragsgebiets (das durch Artikel 6 des Nordatlantikvertrags geographisch beschränkt wird auf Europa, Nordamerika, den Nordatlantik bis zum Wendekreis des Krebses). Diese Position wurde in einem Beschluß des Bundessicherheitsrates vom 3.11.1982 eindeutig fixiert, alle großen Parteien in der BRD und die herrschende Meinung in Verfassungs- und Völkerrecht teilen (noch) diese Auffassung. Bundeskanzler Kohl stellte bereits anläßlich der seinerzeitigen Debatte um die Beteiligung deutscher Einheiten an den Einsätzen von US-Marine und westeuropäischen Flotten während des iranisch-irakischen "Tankerkriegs" 1987 eindeutig fest: "Ich habe im Vorfeld deutlich erklärt, Kriegsschiffe und Soldaten in den Golf zu entsenden, ist indiskutabel. Unsere Verfassung verbietet das".(2)
Auch in der aktuellen Debatte während Golfkrise und -krieg wurde diese Position aus dem Regierungslager immer wieder bekräftigt. Wenn man also die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr über die bisherigen Einschränkungen hinaus erweitern will, so muß man das Grundgesetz ändern. Kohl und Co. haben diese Absicht seit Ausbruch der Golfkrise wiederholt bekundet.
Die Grundgesetzänderung wird (wenn es sie geben sollte) ein Doppelgesicht haben: zum einen wird mit ihr der Beginn einer neuen Phase deutscher Machtpolitik parlamentarisch abgesegnet, sie ist insofern Symbol dafür, daß Deutschland aus der Phase relativ zurückhaltender Außenpolitik endgültig heraustreten will und beansprucht, die Durchsetzung eigener Interessen auch über den europäischen Raum hinaus militärisch abzustützen, zum anderen wird sie so gestaltet werden, daß nach außen ein bescheidenes Einfügen eigener militärischer Macht in internationale Zusammenhänge bekundet wird. Die Debatte in herrschender Politik geht z.Z. denn auch vornehmlich darum, wie man eine Grundgesetzänderung so faßt, daß sie einerseits "moderat" genug erscheint, um im In- und Ausland keine allzu heftigen Proteste zu provozieren, andererseits aber doch die Einsatzmöglichkeiten deutschen Militärs merklich ausweitet.
Es ist zu befürchten, daß für die Grundgesetzänderung eine Formulierung vorgeschlagen wird, die internationale "Friedensmissionen", insbesondere "im Rahmen der UNO" (s. dazu unten), besonders herausstellt, aber auch die Möglichkeit für andere "multinationale" Einsatzformen - z.B. im Rahmen von NATO, WEU oder EG - offenläßt.(3)
Ob die Regierungskoalition mit einer solchen Operation durchkommt, hängt sehr stark vom Verhalten der SPD ab. Denn für eine Grundgesetzänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, und dazu braucht es die SPD bzw. einen Teil der SPD-Bundestagsabgeordneten. Auf ihre Haltung kommt es somit ganz wesentlich an.
Und die SPD?
Die Beschlußlage der SPD ist eindeutig. Auf ihrem Parteitag in Münster im September 1988 wurde nach kontroverser Debatte folgender Antrag angenommen: "Jeglicher militärischer Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsbereichs des Bündnisses ist verfassungsrechtlich unzulässig. Die SPD wird sich jedem Versuch widersetzen, den bisher in dieser Frage bestehenden Konsens aller Parteien und Regierungen in Frage zu stellen. Selbst die Beteiligung der Bundeswehr an friedenssichernden Aktionen der Vereinten Nationen würde eine Ergänzung der Verfassung erfordern. Wir lehnen eine solche Beteiligung ab".(4)
Im Vorfeld des Münsteraner Parteitags hatte eine Gruppe von SPD-MdBs um Gansel, Bahr und Voigt einen Versuch gestartet, die SPD-Bundestagsfraktion auf eine GG-Änderung festzulegen, die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der UNO möglich machen sollte. Dagegen gab es seinerzeit innerhalb der SPD erheblichen Widerspruch, und auf dem Parteitag in Münster wurde die Kontroverse im Sinne der GegnerInnen einer GG-Änderung entschieden. Für diese hatte K. Fuchs ihre ablehnende Haltung u.a. wie folgt begrndet: "Gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte...muß klar bleiben: Wir wollen der Welt keine deutschen Soldaten als Friedensboten zumuten. Wir wollen vor allem verhindern, daß die Konservativen eine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an UNO-Friedensmissionen als Vorwand und als einen ersten Schritt nutzen könnten, Bundeswehreinsätze außerhalb des NATO-Gebietes allgemein und überhaupt möglich zu machen".(5)
Im Zusammenhang mit der aktuellen Golfkrise brach auch die Diskussion in der SPD wieder auf. Gansel und Co. sahen die Chance, den Beschluß von 1988 zu kippen und ihre Position in der SPD doch noch durchzusetzen. Das Hin und Her der Debatte in der SPD im Winter 1990/91 konzentrierte sich vor allem auf die Variante: "Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Vertragsgebiets (nur) im Rahmen der UNO".Die Schwäche dieser Position ist ihre Unbestimmtheit. "Im Rahmen der UNO" sind nämlich sehr verschiedene Einsatzformen möglich:
erstens militärische Aktionen einzelner UNO-Mitglieder aufgrund von UN-Resolutionen, die sie zur Anwendung militärischer Gewalt autorisieren (= der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak);
zweitens kollektive militärische Sanktionen unter UN-Oberkommando, die die UN als globales System Kollektiver Sicherheit gemäß Kapitel VII der UN-Charta gegen einen Aggressor beschließen und durchführen können; und
drittens sog. friedenserhaltende Maßnahmen - peace keeping operations - , das sind Einsätze der UN-peace-keeping forces (=Blauhelme), die in der Charta der UN gar nicht vorgesehen sind und die sich im Laufe der Jahre praktisch-faktisch entwickelt haben.
Bei den peace keeping operations sind die UN-Friedenstruppen (bisher) neutrale Vermittler, die auf Wunsch und mit Zustimmung aller am Konflikt beteiligten Seiten für sehr eng begrenzte Aufgaben eingesetzt werden, z.B. für die Überwachung von Waffenstillständen oder die Bildung von "Pufferzonen" zwischen den streitenden Parteien.
In den beiden erstgenannten Fällen dagegen sind Mitgliedsstaaten der UN (autorisiert von der UNO) oder die UNO selbst Kriegspartei.
Man sieht: Einsatz "im Rahmen der UNO" kann auch heißen die Beteiligung deutscher Soldaten an einem "richtigen" Krieg (wie gegen den Irak) überall auf der Welt - wenn er denn von den Vereinten Nationen autorisiert worden ist.
Die Vertreter der Regierungsparteien haben sich für eine deutsche Beteiligung an allen Formen von UN-Aktionen ausgesprochen (so u.a. Kohl, Stoltenberg, Kinkel, Rühe, Genscher) , ebenso einige prominente Sozialdemokraten (Bahr, Gansel, Voigt, Verheugen).
Im Gegensatz dazu hat der SPD-Parteivorstand in einem Leitantrag für den SPD-Parteitag in Bremen im Mai , auf dem der Münsteraner Beschluß gekippt werden soll, eine GG-Änderung befürwortet, die den Einsatz deutscher Streitkräfte auf den o.g. dritten Fall - peace keeping operations - beschränken will.
"Blauhelm-Option" - harmlos?
Auch gegen diese scheinbar sehr restriktive Position lassen sich mehrere Argumente anführen:
Erstens akzeptiert man damit die von der Regierungsseite vorgegebene Prämisse, Deutschland müsse künftig auch militärisch für den Weltfrieden "Verantwortung" übernehmen, bereits diese Prämisse aber ist zurückzuweisen;
zweitens gibt es keinen Bedarf bei den "Blauhelmen" ausgerechnet für deutsche Einheiten; traditionell werden "Blauhelme" von kleineren neutralen Staaten (Finnland, Fidschi-Inseln,...) gestellt, die keine eigenen Interessen in der jeweiligen Konfliktregion haben;
drittens ist eine klare Trennung zwischen peace keeping operations und anderen - offensiven - Einsatzformen kaum in jedem Fall zu gewährleisten. Gerade in der jetzigen Situation, in der die UN sich in einer Umbruchphase befinden, ist nicht garantiert, daß peace keeping auf die bisher blichen Einsatzarten beschr„nkt bleiben wird, in künftigen Konflikten sind fließende Übergänge zwischen peace keeping und Kriegführung nicht auszuschließen (wie es bereits bei der UN-Aktion im Kongo 1960-1964 der Fall war), zumal - wie bereits gesagt - peace keeping operations in der UN Charta überhaupt nicht fixiert sind;
viertens besteht die Gefahr, daß Deutschland in Situationen, in denen deutsche "Blauhelme" bei ihren Einsätzen unter Druck geraten (z.B. durch Terroranschläge) anders als neutrale Keinstaaten eher zur Eskalation des Konflikts als zur Deeskalation tendieren dürfte und damit der Ausweitung der UN-Einsätze Vorschub leisten würde;
fünftens schließlich ist auf die weitergehenden Ambitionen herrschender Politik zu verweisen (vgl. die auch heute noch gültige Argumentation K. Fuchs auf dem SPD-Parteitag in Münster -s.o.): Die Beteiligung deutscher Einheiten an UN-Friedenstruppen kann zum Türöffner für den Fronteinsatz der Bundeswehr bei künftigen kriegerischen Konflikten werden.
Aus allen diesen Gründen ist selbst die "Blauhelm-Option" abzulehnen. Die SPD täte gut daran, auf dem Parteitag in Bremen an ihrem Münsteraner Beschluß festzuhalten und im Bundestag jegliche Grundgesetzänderung in diesem Punkt mit ihrer Sperrminorität (zusammen mit PDS und Bündnis 90/Grüne) zu verhindern.
Auch unter taktischen Gesichtspunkten bringt eine "Blauhelm"-Position nichts: Die Regierungsparteien streben ber den UN-Friedenstruppen- ja sogar den UN-Rahmen generell hinaus, sie werden sich folglich auf eine "Nur-Blauhelm"-Position bei der GG-Änderung nicht einlassen.(6) Die SPD würde für eine solche Position nie und nimmer eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag bekommen - was also soll die ganze Operation, wenn man nicht doch letztlich auf dem Wege der Kompromißfindung mit dem Regierungslager bereit ist, die strikte "Nur-Blauhelm"-Position fallenzulassen?!(7) Die Gefahr eines solchen "Umfallens" der SPD besteht nicht zuletzt deswegen, weil sie sich (so auch wieder im Leitantrag des Parteivorstands für den Bremer Parteitag im Mai) positiv zur Herausbildung einer westeuropäischen Politischen Union inklusive "europäischer Verteidigung" stellt. Eine solche Union aber würde auf weltweit einsetzbare militärische Kräfte kaum verzichten wollen, und die Deutschen würden dann mittun(müssen). Solange also die SPD die militärpolitische westeuropäische Integration befürwortet, wird sie auch keine eindeutig ablehnende Haltung zu out-of-area-Einsätzen deutschen Militärs beziehen können.
Weltweiter Bundeswehr-Einsatz ohne Grundgesetzänderung?
Für den Fall, daß eine GG-Änderung nicht zustande kommen sollte, wurden von herrschender Politik bereits Rückfallpositionen aufgebaut. So vertritt eine Minderheit von Politikern und Juristen bereits seit geraumer Zeit die Auffassung, daß die GG-Interpretation der Bundesregierung falsch sei, daß bereits heute ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebiets verfassungsrechtlich zulässig und eine GG-Änderung mithin unnötig sei.
R. Scholz z.B., Ex-Verteidigungsminister und Völkerrechtler, leitete im Oktober letzten Jahres in einem Artikel unter der Überschrift "Pflicht zum Beistand auch im Persischen Golf" aus Artikel 24, Absatz 2 GG, demzufolge der Bund sich "zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen" könne, ab, daß "rechtlich schon heute keine Vorbehalte gegen einen Einsatz etwa der Bundesmarine im Rahmen einer Friedensmission des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erhoben werden können".(8) Die UNO sei nämlich ein solches System Kollektiver Sicherheit, und deren Charta habe die BRD bei ihrem UNO-Beitritt 1973 ohne Vorbehalte akzeptiert. Im Kapitel VII der UN-Charta sei die Pflicht aller UN-Mitglieder zur Teilnahme auch an kollektiven militärischen Sanktionen der UNO festgelegt.(9) Dieser Position schlossen sich zusehends mehr Politiker aus dem Regierungslager an, und angesichts der öffentlichen Widerstände gegen eine GG-Änderung scheint man z.Z. in der herrschenden Politik verstärkt die Variante: "Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr ohne GG-Änderung" zu erwägen.(10) Mit dem gegenwärtig laufenden Einsatz der Bundesmarine im Persischen Golf zum Minenräumen sollen bereits Fakten in dieser Hinsicht geschaffen werden.(11)
Allerdings würde man sich mit einer solchen Neu-Interpretation des GG vollends unglaubwürdig machen: jahre- ja jahrzehntelang hat man den USA und den anderen Verbündeten gegenüber argumentiert, daß man in der Dritten Welt militärisch nicht mittun könne wg. GG - und jetzt soll das gar nicht wahr sein?! Da müssen sich die Freunde in den USA ganz schön verschaukelt vorkommen! Und die eigene Bevölkerung, der dasselbe erzählt wurde , nicht minder.
Da sich Kohl, Genscher u.a. führende Exponenten der Regierungskoalition in der Frage GG-Änderung sehr weit "aus dem Fenster gehängt" haben ( eine GG-Änderung sei unumgänglich), sollte sich die Friedensbewegung in diesem Punkt auf die herrschende Meinung in Politik und Recht beziehen und alle Kräfte auf eine Verhinderung der GG-Änderung konzentrieren, wohl wissend, daß mit einer solchen Verhinderung nur ein Teilerfolg erzielt wäre. Denn herrschende Politik wird auch unabhängig von einer GG-Änderung Mittel und Wege suchen, deutsche Soldaten im Bedarfsfalle in alle Welt aussenden zu können. Dies zu verhindern aber muß das eigentliche Ziel der Friedensbewegung
Anmerkungen:
(1) Interview mit Wellershoff in: Die Zeit, 5.10.1990
(2) Interview mit Kohl in den ARD-Tagesthemen 11.6.1987
(3) Ein eher plumper Formlierungsvorschlag kommt von der CSU: "Der Einsatz der Bundeswehr zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im multilateralen Rahmen ist zulässig" (zit.n.: taz 15.3.1991, S.4). Diese Formulierung ist so weitgefaßt, daß sie deutschen Streitkräften quasi alles in aller Welt erlaubt, wenn es nur im "multilateralen" Rahmen (z.B. zusammen mit den USA, Großbritannien und Frankreich) geschieht. Dasselbe gilt auch für den Formulierungsvorschlag in einem vertraulichen Arbeitspapier des Verteidigungsministeriums: "Die Streitkräfte können aufgrund einer Entscheidung der Bundesregierung auch zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens eingesetzt werden, wenn dies ein internationales Organ beschließt, welchem die Bundesrepublik beigetreten ist" (zit.n.: Der Spiegel, 25.3.1991, S. 92).
(4) Protokoll vom Parteitag der SPD in Münster, 30.8.-2.9.1988, 3 Tag Donnerstag 1.9.1988, S. 410.
(5) Ebd., S. 392
(6) Ablehnend zu einer Beschränkung auf "Blauhelm-Missionen" haben sich sowohl die Spitzen der FDP als auch der CDU/CSU geäußert
(7) Für solche Kompromißbereitschaft der SPD-Spitze spricht, daß sie die "Blauhelm"-Beschränkung nur so lange gelten lassen will wie sowjetische Streitkräfte in Deutschland stehen, danach könne neu diskutiert werden (taz, 20.3.1991, S.6). Diese Verknüpfung ist logisch und politisch genausowenig nachvollziehbar wie das Argument der SPD-Führung, man müsse den Münsteraner Beschluß heute revidieren, weil Deutschland z.Z. dieses Beschlusses noch zweistaatlich war und nunmehr durch die Wiedervereinigung eine neue Lage gegeben sei; s. zu diesen merkwürdigen Argumentationen das Engholm-Interview in: Der Spiegel, 25.3.1991, besonders S.24.
(8) Scholz, Rupert: Einsatz der Bundeswehr für die UNO? Pflicht zum Beistand auch im Persischen Golf, in: Europäische Wehrkunde/WWR, 39.Jg., 1990, Heft 10, S. 580-582, hier: S. 582.
(9) Ebd., S.580f. - Dort werden flugs auch noch NATO und WEU zu Systemen Kollektiver Sicherheit erklärt, was eindeutig falsch ist (bei ihnen handelt es sich um militärische Beistandspakte)
(10) Vgl. dazu Der Spiegel, 25.3.1991, S.21
(11) Damit wird erstmals in der Geschichte der BRD die Bundesmarine out-of-area militärisch eingesetzt (und zwar auf Ersuchen der USA, nicht der UNO!). Bezeichnend ist allerdings, daß dieser Einsatz öffentlich als als "humanitäre Hilfe" deklariert wird - solche "humanitären Hilfsaktionen" out-of-area sind nach herrschender Auffassung auch heute schon verfassungskonform (weil es sich nicht um militärische Einsätze handelt) und in der Regierungskoalition - insbesondere zwischen BMVg und Auswärtigem Amt - nicht umstritten. Daß es sich bei dieser Etikettierung nur um einen juristischen Winkelzug handelt (um die nach wie vor herrschende GG-Interpretation aufrechterhalten zu können) liegt auf der Hand: "Humanitäre Hilfe" bezieht sich auf Naturkatastrohen (so auch bisher die Auffassung der Bundesregierung), die Mienenräummaßnahmen der Bundesmarine im Golf aber stehen im direkten Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen.
aus: FriedensForum 3/91 Bezug: Büro Netzwerk Friedenskooperative