Guatemala: Zwischen Terror und Hoffnung

von Claudia Virginia Samayoa

In Guatemala ging 1996 ein sechsunddreißig Jahre währender Bürgerkrieg zu Ende, der schätzungsweise 200.000 Menschen das Leben kostete und 1.250.000 zu Flüchtlingen oder Vertriebenen machte. (Zum Vergleich: Die Gesamteinwohnerzahl Guatemalas beträgt nur ca. 13 Millionen.) Der von den Vereinten Nationen vermittelte Friedensvertrag sorgte für die Beendigung der Kampfhandlungen. Es gelang jedoch nicht, eine volle Demokratisierung und die restlose Aufarbeitung der zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die in der Kriegszeit begangen worden waren, durchzusetzen. Mit dem Amtsantritt von Präsident Alfonso Portillo im Jahr 2000 und dem anhaltenden Einfluss von General R¡os Montt hat sich die Menschenrechtssituation wieder deutlich verschlechtert. (Siehe Amnesty Jahresbericht 2003.) Im folgenden Beitrag beschreibt die Autorin einen Fall, der in Guatemala für viel Aufsehen gesorgt hat, und bei dem es um die Strafverfolgung von Mordtaten durch Regierungsbeamte unter dem alten Regime geht.

Am 13. und 14. Mai dieses Jahres fand in Guatemala ein Auswertungstreffen der,Konsultationsgruppe für die Friedensverträge` statt. Dieses Organ von mulilateralen Institutionen, Banken, befreundeten Ländern und dem Staat Guatemala hatte sich nach seinem regulären Treffen im Februar 2002 15 Monate gegeben, um die defizitäre bis nicht-existierende Implementierung der Friedensverträge zu untersuchen. Das Treffen dieses Jahr hatte nicht die finanzielle Unterstützung Guatemalas zum Ziel, sondern die Verpflichtungen der Regierung zu bewerten.

Das Bild, das sich der internationalen Gemeinschaft bot, war enttäuschend. Mit Ausnahme der Regierung drückten alle Akteure ihre Ablehnung des Urteiles des Berufungsgerichtes zum Fall Myrna Mack aus, das am 7. Mai gefällt wurde. Diese kollektive Manifestation fasst die fragile Situation des Friedensprozesses und der Demokratisierung Guatemalas zusammen.

Die Bedeutung des Freispruchs
Am 11. September 1990 ermordete Noe de Jesús Beteta, Spezialist der Sicherheitspolizei (Dirección de Segruidad del Presidente, DSP) des Generalstabs des Staatspräsidenten (EMP) die Ethnologin Myrna Mack Chang. Betata wurde als Durchführender des Verbrechens verurteilt, und zwölf Jahre später fand in erster Instanz der Prozess gegen die Anstifter des Verbrechens statt: General Edgar Godoy Gaytán (Chef des Generalstabs), Coronel Juan Valencia Osorio (Chef der DSP) und Teniente Coronel Guillermo Oliva Carrera (Vize der DSP).

Die Entscheidung der ersten Instanz war von historischer Bedeutung. Zum ersten Mal wurde vor Gericht die Wahrheit bestätigt. Die Richter stellten fest, dass in Guatemala vom Militär die Nationale Sicherheits-Doktrine angewendet wurde, und dass guatemaltekische BürgerInnen als innere Feinde engestuft wurden. Es wurde festgestellt, dass der Generalstab - durch die DSP, die auch als "Archiv" bekannt war - Geheimdienstoperationen gegen diese inneren Feinde durchführte. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass Myrna Mack als innere Feindin eingestuft wurde, weil sie nachgewiesen hatte, dass die Aufstandsbekämpfungspolitik der Regierung unmittelbar für die Vertreibung der indigenen Bevölkerungsgruppen Guatemalas verantwortlich war. Die DSP hatte den Befehl zur Ermordung gegeben, die durch Herrn Beteta ausgeführt wurde.

Dieses Urteil war insofern widersprüchlich, als dass Coronel Valencia Osorio schuldig, aber sowohl sein Vorgesetzter wie sein Untergebener freigesprochen wurden. Dies führte zu mehreren Berufungsklagen: Von der Nebenklägerin Helen Mack, der Schwester der Ermordeten, von der Staatsanwaltschaft, die wollte, dass die anderen Angeklagten auch verurteilt würden, und durch Coronel Valencia Osorio, der seinen Freispruch suchte.

Zur Überraschung aller sprach das Berufungsgericht Osorio mit der Begründung frei, dass nicht bewiesen worden sei, dass der Generalstab Myrna Mack ermordet habe, und deshalb Osorio als Mitglied des Generalstabs nicht verurteilt werden könne. Das Urteil enthält enorme technische, konzeptionelle und Form-Fehler. Es entspricht dem Willen der verborgenen Mächte, der guatemaltekischen Gesellschaft, der Gemeinschaft der Menschenrechtsverteidiger und der internationalen Gemeinschaft, wie sie in der Konsultationsgruppe organisiert ist, eine klare Nachricht zu übermitteln: "Die Friedensverträge nützen nichts, in Guatemala haben sie - das Militär - den Krieg gewonnen und es sind sie, die unsere Zukunft bestimmen." Für die Familie von Myrna Mack bedeutete das Urteil, ihre Mutter, Schwester und Tochter ein zweites Mal ermordet zu sehen.

Eine klare Nachricht
Diese Nachricht, wie sie im Urteil zum Ausdruck kam, wird durch mehr als 350 Angriffe gegen MenschenrechtsverteidigerInnen in den letzten drei Jahren reflektiert, in "sozialen Säuberungsaktionen", die Arme und Jugendliche kriminalisieren, in der Entschädigungszahlung, die den Patrullas de Autodefensa Civil [paramilitärischen Todesschwadronen] für Dienste am Vaterland zugesprochen wurde, in der fehlenden Förderung und Respektierung der Rechte der indigenen Bevölkerungen, in dem Widerstand gegen die Erfüllung der Empfehlungen der,Kommission zur historischen Aufklärung` und in der Rücknahme der Friedensvereinbarungen bezüglich der Stärkung der zivilen Macht und der Entmilitarisierung.

Die verborgene militärische Macht ist mit General Rios Montt - dem Mörder - an die Kontrolle des Staates zurückgekehrt. Die Republikanische Front und der Populismus von Alfonso Portillo und seinen Verbündeten auf der Rechten ist ihre Fassade, die Unregierbarkeit ihr Mittel, die Korruption, der Drogenhandel und der Schmuggel ihre zentralen Interessen und die illegalen Corps und geheimen Sicherheitsapparate ihre repressive Macht.

Heute sind die Friedensabkommen Teil der Landschaft. Die Menschenrechtsverletzungen zeigen den Niedergang des Befriedungsprozesses. Die herrschende Straffreiheit demonstriert das Fehlen eines Rechtsstaates, der das Kernstück jeder Demokratie darstellt. Heute verliert sich die Hoffnung im Terror, i krankhaften Skandalen und der Konfrontation zwischen den militärischen Mächten und der Oligarchie.

Eine starke Reaktion
Angesichts dieser Situation ist die Menschenrechtsbewegung nicht am Ende. Der einzige Möglichkeit, auf den Weg des Schutzes von Menschenrechten zurückzukehren, ist, die Straflosigkeit zum Sturz zu bringen, mit der die verborgenen Mächte handeln. Deshalb wurde, zusammen mit dem Ombudsman für Menschenrechte, die Schaffung einer,Kommission für die Ermittlung über illegale Corps und geheime Sicherheitsapparate` (CICIACS) vorgeschlagen. Aufgrund internationalen Drucks sah sich die Regierung Guatemalas gezwungen, diesen Vorschlag anzunehmen. Die Kommission wird den Raum schaffen, um die Verwaltung zu säubern, Strafverfolgungen einzuleiten und das Justizsystem zu stärken, indem die Zahl und die Form dieser Corps und Apparate enthüllt werden.

Der andere gemeinsame Nenner in der Konsultationsgruppe war die Einigkeit über die Notwendigkeit, dass die Kommission mit allen Kräften bis zum Ende dieses Jahres arbeitet. Dies stellt ein unzweifelhaftes Zeichen der Hoffnung dar, mit dem wir in Guatemala arbeiten können.

Übersetzung aus dem Spanischen: Red. Zur Menschenrechtssituation in Guatemala siehe auch den Amnesty International Jahresbericht, zu finden im Internet unter www.amnesty.de.

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Claudia Samayoa ist leitende Mitarbeiterin der Rigoberta Menchú Stiftung in Guatemala und Vorsitzende der Nonviolent Peaceforce.