Journalismus und Frieden

„Gute Medien - böser Krieg? Was Journalismus zum Frieden beitragen könnte“

von Andreas Zumach
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Ende Februar 1979 habe ich angefangen als Journalist zu arbeiten, zunächst bei der Westberliner Zeitung „Die Neue“, die damals zeitgleich mit der „tageszeitung“ (taz) gegründet wurde. Seitdem beschäftige ich mich überwiegend mit Kriegen und anderen internationalen Konflikten, ihren Ursachen und möglichen Lösungsstrategien. Dabei gilt mein Interesse vorrangig zivilen Instrumenten zur Bearbeitung von Konflikten und ihrer Stärkung – von der Früherkennung und Prävention, über die Diplomatie zur Beendigung gewaltförmiger Eskalation bis hin zur Nachsorge für die oftmals schwer traumatisierten Opfer, die Versöhnungsbemühungen zwischen den vormalig kriegsführenden Parteien und den Wiederaufbau.

Wenn Sie mich fragen, was der Journalismus in diesen Jahren zum Frieden beigetragen hat, fällt mir nicht viel ein. Ich könnte einige wenige Kolleginnen und Kollegen nennen, wie zum Beispiel Anton Andreas Guha, den früheren langjährigen Redakteur der Frankfurter Rundschau. Doch die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientiert sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs.

Einige wenige unter den mit internationalen Themen befassten Journalisten beteiligen sich ganz bewusst am Aufbau von Feindbildern und an Kriegspropaganda. Ich denke zum Beispiel an die Berichterstattung des ZEIT-Redakteurs Josef Joffe vor und während des letzten Irakkrieges oder an seine Leitartikel zum „Islamischen Faschismus“, in denen die 1,3 Milliarden Muslime dieser Welt kurzer Hand mitverantwortlich gemacht wurden für die Gewalttaten einiger tausend islamistischer Terroristen. Im Falle des Irakkrieges hat auch die renommierte „New York Times“ die Propaganda-Lügen der Bush-Administration zunächst ungeprüft verbreitet. Die „New York Times“ hat diese schwerwiegenden journalistischen Fehler ein Jahr nach Kriegsende wenigstens öffentlich eingestanden und sich dafür bei ihren LeserInnen entschuldigt. Die für die irreführende Irakberichterstattung wesentlich verantwortliche „New York Times“-Redakteurin Judith Miller musste gehen. Entsprechende Selbstkritik und Maßnahmen der ZEIT stehen bis heute aus.

Insofern kann ich die auch in der Friedensbewegung weitverbreitete Unzufriedenheit und Kritik an den Medien durchaus verstehen. Ich glaube allerdings, dass pauschales Geschimpfe über „die Medien“ nicht weiterhilft und beharre daher immer wieder darauf, die politischen Gründe und strukturellen Ursachen für die beschriebene journalistische Misere zu benennen. Denn nur auf dieser Basis ließen sich ja - wenn überhaupt - vielleicht die notwendigen Schritte für eine Korrektur zum Besseren entwickeln.

Vier Ursachen
Es gibt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vier politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen, die vielleicht erklären können, warum der Beitrag des Journalismus zum Frieden so gering ausfällt.

1) Regierungs- und Eliten fixierter Meutenjournalismus bei außen-und sicherheitspolitischen Themen.
Die Unabhängigkeit und professionelle Distanz von JournalistInnen zu den politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs ist schon in Friedenszeiten sehr gering. Wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt oder gar Krieg beteiligt ist, existieren Unabhängigkeit und professionelle Distanz oft überhaupt nicht mehr. Analysen oder Konfliktlösungskonzepte aus der Zivilgesellschaft haben dann kaum eine Chance, von den Medien beachtet zu werden.
2) Immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung.

Das Pentagon hat für das Vietnam-Kriegsdesaster der USA die „mangelnde Unterstützung“ durch die US-Medien verantwortlich gemacht und aus dieser Erfahrung immer raffiniertere Medien-und Öffentlichkeitsstrategien für künftige Kriege entwickelt. Bis hin zur „Einbettung“ von über 700 JournalistInnen in die Vorbereitung und Führung des letzten Irakkrieges.

3) Die Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien.
Die JournalistInnen und KorrespondentInnen im Ausland stehen auf Grund der heute verfügbaren schnellen und leicht transportablen Kommunikationstechnologien (Digitalkamera mit Soundsystem plus Satellitentelefon) unter großem Druck ihrer Heimatzentralen, schnell Filme/Bilder/Töne in die Zentralen zu schicken ohne die notwendigen journalistischen Recherchen zu unternehmen.

4) Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck.
Die infolge der Privatisierung seit Ende der 70er Jahre über ARD, ZDF und die Dritten Programme hinaus entstandenen zusätzlichen elektronischen Medien haben zu einem verschärften Konkurrenzdruck geführt und zu einer Absenkung der journalistischen Qualität auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist davon besonders stark betroffen.

Widerspruch und Widerständigkeit
Alle diese Rahmenbedingungen, so übermächtig und bedrückend wir sie als JournalistInnen und als MedienkonsumentInnen auch erleben, sind weder ein Naturgesetz, noch gottgewollt oder Schicksal. Sie sind sämtlich von Menschen geschaffen und können daher auch von Menschen wieder korrigiert werden. Das wird allerdings nicht von außen geschehen durch neue Gesetze, politische Rahmenrichtlinien und Ähnliches, sondern nur durch Widerspruch und Widerständigkeit innerhalb der Medien. Nur dann, wenn möglichst viele JournalistInnen in ihrer alltäglichen Arbeit die heute scheinbar selbstverständlichen Abläufe und Prioritätensetzungen in den Medienhäusern wieder in Frage stellen; wenn sie bei der Beschaffung und Verbreitung von Informationen und Kommentaren selber Entschleunigung sowie mehr Recherche und Sorgfalt praktizieren und dies auch von ihren KollegInnen einfordern. Es geht um nicht mehr und um nicht weniger, als die Rückbesinnung auf journalistische Grundtugenden.

Ich bin skeptisch gegenüber dem Begriff von Johan Galtung geprägten Begriff „Friedensjournalismus“. Zu oft habe ich erlebt, dass JournalistenkollegInnen ihn missverstehen – oder bewusst missverstehen wollen - als Aufforderung, sie sollten Teil der Friedensbewegung werden, für die Friedensbewegung agitieren o.ä. Dieses Missverständnis schafft unnötige Blockaden.

Konfliktsensitive Berichterstattung
Ich bevorzuge daher den Begriff „konfliktsensitive Berichterstattung“, den meine Kollegin Nadine Bilke von der Online-Redaktion des ZDF geprägt hat.

„Konfliktsensitiv“ heißt in erster Linie, als JournalistIn alle an einem Konflikt Beteiligten und von ihm betroffenen Gruppen und Personen wahrzunehmen und nicht nur wie so häufig diejenigen, die auf militärische Mittel setzen und darüber verfügen, oder diejenigen, die über Propagandainstrumente verfügen zur aktiven Einflussnahme auf die Medien.

Das heißt nicht, als JournalistIn „überparteilich“ zu berichten, sondern „allparteilich“. Das setzt allerdings voraus, dass sich JournalistInnen zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sind. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vom Mediensystem vorgeprägt, ihre Informationen werden von EntscheidungsträgerInnen ihrer Gesellschaft gefiltert. Aber selbst, wenn sie frei von derartigen Einflüssen und Prägungen wären und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. 100-prozentige Objektivität, die viele, insbesondere männliche Journalisten gerne für sich oder ihre Medien reklamieren, gibt es nicht. Es kann immer nur darum gehen, der Wahrheit eines Ereignisses so nahe wie möglich zu kommen. Dabei spielt der subjektive Faktor immer eine Rolle und ist nicht auszuschließen. Sich als JournalistIn diese Bedingungen der Informationsbeschaffung und Berichterstattung immer wieder bewusst zu machen und sie auch gegenüber den LeserInnen, ZuhörerInnen und ZuschauerInnen immer möglichst transparent zu machen, ist ein wesentlicher Maßstab für konfliktsensitiven und damit für verantwortlichen Journalismus.

Ausrichtung an drei Grundorientierungen
Ausrichten sollte sich dieser Journalismus an drei Grundorientierungen: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Nach meiner Meinung gelten diese drei Grundorientierungen universell und kulturübergreifend – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung historisch und kulturell bedingter unterschiedlicher Interpretationen und Verständnisse dieser drei Begriffe.

Aus diesen drei Grundorientierungen lassen sich für die praktische Arbeit von JournalistInnen die folgenden professionellen Kriterien ableiten: Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Relevanz und die Form der Vermittlung.
Der Journalismus steht in den kommenden Jahren vor einer sehr großen Herausforderung. Erstmals in der Geschichte der Menschheit werden Rohstoffe, von deren Nutzung fast die ganze Weltbevölkerung in den letzten 175 Jahren abhängig geworden ist, in globalem Maßstab zu Ende gehen. Öl in den nächsten 30 bis 40 Jahren, Gas bis etwa zum Jahr 2.070 und Kohle bis Anfang des nächsten Jahrhunderts. Dramatische Folge der extensiven Nutzung dieser fossilen Energieträger ist der globale Klimawandel. Und der immer schärfere Verteilungskampf um knapper werdende Ressourcen droht militärisch zu eskalieren. In der Logik dieser Entwicklung liegen eines Tages auch Ressourcenkriege nicht nur wie bislang schon im Nahen und Mittleren Osten, sondern zwischen dem Westen und China oder Indien oder selbst zwischen den USA und Europa. Welche Rolle spielen JournalistInnen und Medien in diesem Zusammenhang? Werden sie die Verteilungskämpfe und die Konfrontation schüren? So wie der SPIEGEL 2008 mit seiner Titelgeschichte „Weltkrieg um Ressourcen“, in der der wachsende Energiebedarf Chinas und Indiens als „Bedrohung aus Fernost“ für unsere gesicherte Energieversorgung dargestellt wurde. Oder werden JournalistInnen und Medien auf eine umfassende Energiewende drängen mit dem Dreiklang: Erhöhung der Energieeffizienz, drastische Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Energie sowie Nutzung von Sonne, Wind und Wasser und anderen nachhaltigen und umweltfreundlichen Energieressourcen? Und werden JournalistInnen und ihre Medien dazu beitragen, dass globale Klimagerechtigkeit und Energiegerechtigkeit zur zentralen Handlungsmaxime von Außen- und Sicherheitspolitik wird? Diese Fragen werden eine der großen Herausforderungen für JournalistInnen bleiben.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt