Buchbesprechung

Handbuch Friedensethik

von Christine Schweitzer

Wie bespricht man ein fast 1000-seitiges Buch, das 70 Aufsätze verschiedener AutorInnen enthält? Eigentlich nur, indem man eine Empfehlung gibt, ob es sich lohnt, das Buch anzuschaffen (bzw. in der Bibliothek auszuleihen) oder ob man es getrost ignorieren kann. Um die Antwort vorwegzunehmen: Das „Handbuch Friedensethik“ ist es wert, in der Friedensforschung und der Friedensbewegung Beachtung zu finden. Mit dem Buch haben Ines-Jacqueline Werkner, Friedenforscherin an der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, und Klaus Ebeling vom Institut für Theologie und Frieden in Hamburg ein Mammutwerk vorgelegt, das kaum ein Thema im Bereich Frieden und Konflikt auslässt, von dem sich ein Bezug zu ethischen Fragen herstellen lässt. Die AutorInnen kommen aus verschiedenen Disziplinen, und an Friedensforschung interessierte Friedensbewegte werden sicher eine Reihe von Namen wiedererkennen.

Dieses Handbuch bietet eine umfassende, systematische Übersicht zu zentralen Aspekten der Friedensethik, einen interdisziplinären Zugang zum Stand der Forschung sowie zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten. Es richtet sich, so der Klappentext, sowohl an WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen wie an politische AkteurInnen und an VertreterInnen von Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Überblick
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die ihrerseits i.d.R. mehrere Abschnitte als weitere Unterüberschriften ausweisen. So ist eine Orientierung leicht möglich. Im ersten Teil geht es um die Verständigung über Grundbegriffe. Er enthält im ersten Abschnitt Aufsätze zum Friedensbegriff und der Behandlung von Frieden in verschiedenen Disziplinen. Der zweite Abschnitt nähert sich dem Konzept der Ethik grundsätzlich an. Hier wird auch erläutert, was „Ethik“ eigentlich ist und welche Begründungstypen es gibt, um etwas als ethisch richtig oder falsch zu bezeichnen. Dies selbst ist nämlich keineswegs Konsens in der abendländischen Tradition. Der dritte Abschnitt befasst sich dann mit „Friedensethik“ und fragt u.a. nach der friedensethischen Bedeutung in verschiedenen Kategorien: Herrschaft, Recht, Gerechtigkeit und Gewalt.
Der zweite Teil trägt den Titel „Friedensethische Diskurse: Christliche und säkulare Hauptströmungen in der abendländischen Tradition“. Allein zwölf Beiträge diskutieren im ersten Abschnitt die Lehre vom gerechten Krieg. Die weiteren, kürzeren Abschnitte befassen sich mit dem Leitbild vom gerechten Frieden, mit Pazifismus und mit Krieg und Frieden in der politischen Theorie internationaler Beziehungen.
Im Teil III geht es dann um friedensethische Diskurse in der Tradition anderer Religionen: Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Diesen Teil hat die Rezensentin als den schwächsten wahrgenommen. Nicht nur, dass er sehr kurz ist und lediglich einen Beitrag pro Religion enthält, die Artikel sind (mit der Ausnahme des Beitrags über das Judentum) von deutschen ReligionswissenschaftlerInnen verfasst, die teilweise scheinbar nicht den vollen Überblick über die spezifischen Diskussionen über Frieden und Gewaltfreiheit in ihren Untersuchungsgegenständen hatten. Zum Beispiel fehlt in dem Artikel über den Islam jeder Verweis auf Chaiwat Satha-Anand, der als DER Protagonist von Gewaltfreiheit im Islam gilt. (Im kommenden Friedensforum wird übrigens sein neues Buch, Nonviolence and Islamic Imperatives, besprochen werden.) Ähnliche Lücken weisen auch die beiden anderen Artikel über Hinduismus und Buddhismus auf.
Der vierte Teil, „Friedensethische Analysen zu aktuellen Kontroversen und Entwicklungen“, dürfte für Menschen aus der Friedensbewegung von besonderem Interesse sein. Hier geht es in verschiedenen Abschnitten um Herrschaft, Recht, Gerechtigkeit und Gewalt. Letztere wird unter verschiedenen Foci diskutiert: Rüstung, Asymmetrische Konstellationen und Konflikttransformation. In diesem Teil gibt es u.a. Aufsätze über Geschlechtergerechtigkeit, Rüstungsherstellung und –exporte, automatisierte Waffensysteme und auch über Zivilen Ungehorsam, Terrorismus und Just Policing, um nur ein paar der Themen zu nennen.
Das Buch schließt ab mit „Ethischer Selbstreflexion der Friedens- und Konfliktforschung“. Hier geht es um ethische Herausforderungen von Politikberatung, die Verantwortung von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen und der Verantwortung der Friedensforschung.

Bewertung
In der Einleitung zu dem Buch heißt es zur Begründung für dieses Werk: „Mit dem veränderten Kriegstypus, den damit einhergehenden Reaktionen der internationalen Gemeinschaft (humanitäre militärische Interventionen, Forderung nach einer Responsibility to Protect), der zunehmenden Gefahr der Entgrenzung von Gewalt, aber auch durch qualitativ neuartige Entwicklungen“ ... (z.B. Cyberwar) „sind Friedensethiker und -ethikerinnen gefordert, Bewertungsgrundlagen und Handlungskriterien zu überprüfen, zu modifizieren und ggf. neue zu entwickeln.“ (S. 2) Diesen Anspruch löst das Buch ein. Es enthält viele Ideen und Anregungen zum Weiterdenken. Um nur ein, recht willkürlich herausgepicktes, Beispiel zu nennen: Im Abschnitt über „Pazifismus“ in Teil II gibt es einen Artikel von Olaf L. Müller über „pragmatischen Pazifismus“. Er stellt dort die philosophische, aus den USA stammende und in Deutschland wenig rezipierte Richtung des „Pragmatismus“ dar, die in seinen Augen eine Brücke schlagen kann zwischen den pazifistischen „GesinnungsethikerInnen“, die jeden (Interventions-)Krieg ablehnen, ohne danach zu fragen, welche Folgen für die Betroffenen aus der Ablehnung entstehen, und jenen, die aus vorgeblich ethischen Gründen (Formulierung der Rezensentin) in jeden Krieg ziehen wollen. Der pragmatische Pazifismus analysiert die jeweilige Situation und kommt dann zu einer Entscheidung, was getan werden kann. „Und dieser ganz bestimmte, friedliebende Blick führt sogar in Verbindung mit verantwortungsethischem Gedankengut zur Ablehnung vieler, ja vielleicht fast aller Kriege“ (S. 456), folgert der Autor.Gleichzeitig ist das Handbuch Friedensethik auch ein Nachschlagewerk, in dem man Grundlagenartikel zu sehr vielen Themen und Ansätzen finden kann, von der Ideengeschichte der Lehre vom gerechten Krieg über den Ansatz der Weltinnenpolitik bis hin zu Transitional Justice und Ziviler Konfliktbearbeitung.
Für die Zielgruppe des Friedensforums, das ja keine wissenschaftliche Zeitschrift ist, sei noch hinzugefügt: Die Aufsätze, im Schnitt ca. 12 Seiten lang, beginnen mit einer kurzen Zusammenfassung, so dass die/der LeserIn sich schnell ein Bild machen kann, ob sie/er den entsprechenden Text lesen möchte, und die Beiträge sind fast alle so geschrieben, dass man nicht Philosophie studiert haben muss, um sie zu verstehen.

Werkner, Ines-Jacqueline, Ebeling, Klaus (Hrsg.) (2017): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden: Springer VS, ISBN 978-3-658-14686-3, 979 Seiten, 79,99 €, ebook 62,99€. Auf der Website des Verlags können auch einzelne Kapitel erworben werden: http://www.springer.com/de/

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.