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Hauptkundgebung
von"Es wird Zeit" ist der Name dieser Demonstration. Und es wird wirklich Zeit, daß wir endlich die Gewalt erkennen, sie beim Namen nennen. Es wird Zeit, daß wir nicht mehr die verharmlosenden Floskeln wie Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit hinnehmen. Es wird Zeit, daß Rassismus in Deutschland als Rassismus erkannt und bekämpft wird. Ich lebe seit 38 Jahren als schwarzer Deutscher in diesem Land. Seit 38 Jahren ist kein Tag ohne Begegnung mit dem Rassismus vergangen. Seitdem ich denken kann, wundere ich mich, mit was für gewitzten Begründungen, mit was für einer Blindheit Rassismus hier verleugnet wurde, und immer noch von der überwältigenden Mehrheit unserer Bevölkerung verleugnet wird. Es muß uns nur einmal bewusst werden, wie Menschen mit Intelligenz, mit analytischem Wahrnehmungsvermögen bis Hoyerswerda überwiegend sagen konnten: "In Deutschland gibt es keinen Rassismus." Und heißt die Standardformel heute doch immer noch: "Rassistisch, das sind die anderen."
Wir haben es mit dem pathologischen Zustand einer ganzen Gesellschaft zu tun, die sich weigert, ihre Verantwortung zu akzeptieren. Die seit 500 Jahren von den Früchten des Völkermordes und der Sklaverei profitieren. Die wagen es heute zu sagen, daß sie Angst vor Fremden und vor Ausländern haben. Was wir als schwarze Deutsche von Kind an erleben, ist, daß diese Angst anerzogen und indokriniert wird. In den Kindergärten, in den Schulen, von Partein, Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen gebraucht, um immer wieder diese Herrschaft von Weißen über andere zu rechtfertigen. Wir sind keine Ausländer, wir sprechen keine andere Sprache, wir haben keine andere Kultur. Aber allein das Haben einer anderen Hautfarbe in Deutschland reicht, diesen Rassismus sehr tief zu erfahren. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Und das weiße Kind lernt, daß es Angst haben muß. Und die Erwachsenen haben diese Angst in ihre Köpfe und Herzen festgeschrieben. Und dieser Prozess verläuft bis heute unkontrolliert. Mit dieser Angst wird heute Gewalt gerechtfertigt. Es ist nicht nur die Gewalt der Gewalttäter und Brandstifter. Der alltägliche Rassismus in seiner Subtilität ist ebenso gefährlich. Denn er wirkt wie ein schleichendes Gift.
Und selbst die, die dieser Gesellschaft kritisch gegenüber stehen, haben Schwierigkeiten den Rassismus zu erkennen und zu benennen. Denn das Tabu wirkt auch in denen fort, die Grundrechte verteidigen möchten. Es wird Zeit, daß dies aufhört. Es wird Zeit, daß Weiße dieser Gesellschaft begreifen, daß sie ein Teil des rassistischen Systems sind. Es wird Zeit, daß das rassistische Denken erkannt wird, daß jede Faser dieser Gesellschaft durchläuft. Es wird Zeit, daß Ihr nicht nur gegen den offensichtlichen Rassismus der Gewalttäter demonstriert. Es wird Zeit, daß Ihr parallel dazu in Eurer eigenen Sozialisation erkennt, wie darin rassistisches Denken und Fühlen sich Eurer Herzen und Köpfe bemächtigt hat. Und dann seid Ihr fähig, auch gegen den alltäglichen Rassismus zu demonstrieren! Mit dieser Demonstration heute seid Ihr aufgestanden und habt ein tiefes Zeichen der Solidarität gesetzt.
Die Zeit ist da, daß Ihr weitergeht und den Rassismus pur greift und dagegen kämpft. Die Zeit ist da! Und viele von Euch werden diese Demonstration mit einem anderen Wissen und einem anderen Engagement verlassen. Setzt Euch ein gegen den Rassismus, da wo Ihr lebt, da wo Ihr zur Schule geht, da wo Ihr arbeitet. Denn die Zeit dafür ist reif!
Renan Demirkan: Danke Austen Brandt! Wenn Ihr hier vorne Euch umdrehen könntet: Der Platz ist nahezu voll. Willkommen die letzten Züge! Warum sind wir hier? Wir sind hier, weil wir jede Form von Rassismus verabscheuen. Wir sind entsetzt über jedes geschändete Grab. Sprachlos über öffentliche Attacken gegen Juden. Wir sagen: Nie wieder Antisemitismus! Wir begrüßen auf unserer Kundgebung Micha Brumlik von der jüdischen Gemeinde Frankfurt!