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Hauptkundgebung
vonLiebe Freundinnen und Freunde!
Spät, leider sehr spät sind wir hier in Bonn zusammengekommen um etwas gegen den Teufelskreis aus Gewalt, Sprachverrohung und Menschenverachtung zu tun, der mit der Scheindebatte über das Asyl verbunden ist. 13 Menschenleben hat dieser Teufelskreis bereits gekostet und viele Verletzte. Die Dynamik dieses Teufelskreises ist das eigentlich Gefährliche. Wir werden sie nur anhalten können, wenn wir an einigen Stellen ein deutliches NEIN sagen und tun! Amnesty international befürchtet, daß die Änderung von Art. 16 "Politische Verfolgte genießen Asylrecht" der Einstieg in die Abschaffung des Schutzes politischer Flüchtlinge ist. Die politischen Kräfte, die dies fordern, gibt es. Die Weltflüchtlingssituation gibt es ebenfalls und wird sich so schnell nicht ändern. Deshalb sagen wir: Verteidigt heute den Art. 16, damit wir nicht morgen der Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention und übermorgen dem Ende des Asyls ins Auge blicken müssen. Die weltweiten Fluchtbewegungen haben viele Ursachen. Menschen fliehen
- vor Kriegen und Bürgerkriegen und Nationalitätenkonflikten wie im zerfallenen Jugoslawien oder im kurdischen Teil der Türkei;
- vor ökologischen Katastrophen;
- vor sozialem Elend und
- vor Menschenrechtsverletzungen.
Die auf innenpolitische Wirkung zielende Asyldebatte tut so, als ob diese Fluchtgründe nicht existieren. Abschreckung statt Hilfe ist die Devise. Dabei wäre es nötig, nach dem Anteil der Bundesrepublik an der Aufrechterhaltung der Fluchtursachen zu fragen.
Fragt nicht zuerst, wohin ein Flüchtling flieht. Fragt zuerst, woher die Flüchtlinge kommen. Nämlich z.B. aus Ländern, in denen Menschenrechtsverletzungen Alltag sind. Und diese gibt es millionenfach; amnesty hat da eine Kompetenz. Es sind Frauen, Männer und Kinder, Alte und Junge, die inhaftiert, gefoltert, gemordet werden oder einfach verschwinden. Und die Flüchtlinge sind die Botschafter dieser Zustände. Ich kann nur sagen: Glücklich, wer vor solchen Gefahren fliehen kann. Es ist eine Selbstverständlichkeit, diese Menschen aufzunehmen. Und das muß das Flüchtlingsrecht garantieren.
Mit den Menschenrechten steht es auch sonst nicht gut. Außenminister Kinkel hat in China die Menschenrechte den wirtschaftlichen Interessen nachgeordnet. Minister Rühe hat in der Türkei versäumt, den Stopp von Waffenlieferungen anzukündigen, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Und der iranische Botschafter kann in diesem Land den Mordaufruf von Salman Rushdie öffentlich rechtfertigen, ohne mehr zu fürchten, als eine Einbestellung ins Auswärtige Amt. Nein, mit den Menschenrechten steht es nicht zum Besten.
Dagegen sage ich: Wenn es eine größere Verantwortung dieser Republik heute gibt, so hat diese den Menschenrechten, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Ökologie zu dienen. Und wie ist es mit Europa? Wir wollen ein solidarisches Europa. Für alle europäischen Staaten gilt die Genfer Flüchtlingskonvention und eine Reihe von Mindestanforderungen.
- Eine faire Prüfung jedes Asylbegehrens,
- ein Widerspruchsrecht,
- und ein Bleiberecht während des Verfahrens.
Das steht bei uns in der Verfassung und deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, entsprechendes in Europa durchzusetzen. Eine Anpassung nach unten darf es in Europa nicht geben. Den Weg, das Individualgrundrecht auf Asyl durch eine Liste angeblich verfolgungsfreier Länder abzuschaffen und Menschen aus diesen Gründen an der Grenze abzuweisen, verurteilen wir! Die Schweiz, die mit solchen Länderlisten arbeitet, hat Indien darauf stehen. amnesty hat festgestellt, daß dort seit 1985 über 450 Menschen in der Haft an der Folter sterben mußten. Oder der Fall Rumänien: Von dort seien ja nur 0,2 % der Flüchtlinge anerkannt worden. Deshalb gehöre Rumänien auf die Länderliste. 0,2 % sind immerhin 71 Menschen in diesem Jahr. Wer will die Abschiebung dieser Menschen auf sein Gewissen nehmen? Ab wieviel Folter und Tod sollen in Zukunft unser Gewissen schlagen und der Rechtsschutz greifen? Nein, es gibt keine Alternative dazu, daß einzelne Menschenleben zu retten, dieses ist unendlich kostbar.
Natürlich löst die Beibehaltung des Art. 16 das Weltflüchtlingsproblem nicht. Die Fluchtgründe bleiben. Aber der Eindruck, den Politiker um angebliche Handlungsfähigkeit willen erwecken, die Änderung des Art. 16 lösen das Zuwanderungsproblem ist noch viel falscher. Es gibt in der Sache keinen Stein der Weisen.
2. Wiedersteht der Behauptung, das Asylrecht wäre massenhaft missbraucht. Hier wird mit Zahlen ein verwirrendes Falschspiel betrieben. Etwa 50 % der Asylbewerber bekommen heute Asyl oder ein anderes Bleiberecht wegen politischer Verfolgung ohne Gefahren für Leib und Leben. Und dann soll die Verfassung geändert werden. Wenn das die Regel würde - von den erkämpften Rechten der Menschen blieben noch ein Torso. Genau diesen Torso haben die Eltern unserer Verfassung nicht gewollt. Sie waren keine dämlichen Idealisten, wie das heute manche behaupten. Als sie den Art. 16 formulierten, war Deutschland arm und Millionen von Flüchtlingen unterwegs. Die Eltern unserer Verfassung waren realitätstüchtiger auch für heute, als die, die jetzt die Verfassung ändern wollen! Grundrechte sind nicht nur für die Sonnentage da. Gerade in Krisenzeiten braucht man sie und deshalb stehen sie in der Verfassung. Der Unterschied zwischen damals und heute ist der, daß die Erinnerung an erlittene politische Verfolgung damals frisch und heute vergessen ist. Damals wusste man noch, daß Walter Benjamin, Lion Feuchtwanger, Albert Einstein, Hanna Ahrend und viele andere der 900.000 Emigranten während der Nazi-Zeit vor der Frage standen, ob sie mit falschen Pässen ins Ausland gehen, um ihr Leben zu retten. Und ist nicht auch Willy Brandt mit falschen Papieren nach Norwegen geflohen? Mir ist gesagt worden, die Sozialdemokraten Hilferling und Breitscheidt wären keine Opfer der Nazis geworden, wenn sie falsche Ausweispapiere angenommen hätten. Die Organisationen, die diesen Menschen in die Sicherheit des Exils geholfen haben, waren keine Schlepperorganisationen, wie das heute diffamierend heißt.
Überhaupt, Geschichtsbewusstsein ist nötig. Wir sollten keine Minute vergessen, daß der Antisemitismus nicht von den Juden geschaffen worden ist. Und deshalb ist auch die Behauptung grundfalsch, die Ausländer seien der Grund für Ausländerfeindlichkeit. Diesen behaupteten Zusammenhang gibt es nicht! Er wird gemacht! Deshalb betone ich, und das soll so bleiben, Geschichtsbewusstsein ist das Gedächtnis und das Gewissen auch eines Volkes. Das Asylrecht unserer Verfassung hat 1000en von Menschen das Leben gerettet. Das ist gut so, und wir sollten dort mehr tun. Der frühere Bundesverfassungsrichter Helmut Simon hat das so gesagt: "Die Stärke eines Gemeinwesens misst sich an seinem Verhältnis zu den Schwachen."
Ich schließe mit dem Motto der Kölner Versammlung vom letzten Montag: Arsch hoch und Zähne auseinander! (Arsch huh, Zäng usenander)