Hausdurchsuchung nach Freispruch

von Elke Steven

Seit die Konferenz zur Überprüfung des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung der Atomwaffen in New York tagt, sprechen sich plötzlich erstaunlich viele bundesdeutsche Politiker gegen die Lagerung von Atomwaffen in der Bundesrepublik aus. Die FDP machte den Anfang, auch die Bündnisgrünen beschieden nun, dies wäre nicht länger wünschenswert und Gert Weisskirchen (außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion) äußerte, dass auch "die Atomwaffen auf deutschem Boden zum Verschwinden zu bringen" seien (FR, 3.5.05). Auf eine schriftliche Umfrage von Hermann Theisen zur nuklearen Teilhabe hatte der Sozialdemokrat Walter Kolbow, Staatssekretär im "Verteidigungs"-Ministerium, sich im Februar 2004 noch uneingeschränkt zu dieser bekannt. Er schrieb: "Dazu gehören die Stationierung von verbündeten Nuklearstreitkräften auf deutschem Boden (...) sowie die Bereitstellung von Trägermitteln." Unumwunden ist jetzt auch davon die Rede, dass ca. 150 US-amerikanische Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland lagern - und zwar in Büchel und in Ramstein.

Am 29. März 2005 bezweifelte die Staatsanwaltschaft Koblenz noch in einem Landgerichtsprozess, dass Atomwaffengegner dies wissen könnten. Staatsanwalt Tries vermutete, ein Aufruf an die in Büchel stationierten Soldaten diene mit den gerichtlichen Folgen und den Beweisanträgen nur der Ausspionierung des US-amerikanischen Militärs und forderte die harte Bestrafung der Atomwaffengegner. Schon lange führt die Koblenzer Staatsanwaltschaft einen Kampf zum Schutz alles Militärischen und zur Verteidigung soldatischen Gehorsams. In besagtem Aufruf werden die Soldaten aufgefordert, sich nicht an der völker- und grundgesetzwidrigen Bereithaltung von Atomwaffen zu beteiligen (vgl. den Bericht von Hermann Theisen in FriedensForum 2/2005)

Vor dem Landgericht Koblenz konnten die beiden Angeklagten, Johanna Jaskolski (Erftstadt) und Hermann Theisen (Heidelberg) Richterin Wild-Völpel jedoch von der Rechtmäßigkeit des Aufrufs überzeugen. In der Verhandlung ging es im wesentlichen nicht um die Beweiserhebung zum Sachverhalt. Die Angeklagten bekannten sich selbstverständlich dazu, das Flugblatt initiiert, unterzeichnet und vor dem Fliegerhorst verteilt zu haben. Es ging um die rechtliche Würdigung der nuklearen Teilhabe. Sie argumentierten gegen jede atomare Drohung mit all ihren potentiell verheerenden Folgen. Johanna Jaskolski legte dar, dass ihr ein Soldat bestätigt habe, er würde, erhielte er den Befehl, auch Atomwaffen auf ein Ziel abwerfen. Befehl ist eben Befehl. Die Angeklagten argumentierten ausführlich zur Rechtswidrigkeit der nuklearen Teilhabe. Sie legten dar, dass dieser Aufruf die Soldaten vor Straftaten bewahren soll, selbst aber keine Straftat sein kann.

Die Richterin bezog sich in der mündlichen Begründung auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Aber sie ging letztlich darüber hinaus mit ihrer Feststellung, dass die Beurteilung der Rechtslage durch die Angeklagten juristisch haltbar sowie eine "respektable und diskutable" Meinung sei. Daraus wiederum sei auch gemäß Wehrstrafgesetz die Rechtsauffassung abzuleiten, dass Soldaten diesbezügliche Befehle nicht befolgen brauchten. Das Flugblatt sei als Appell an das Gewissen der Beteiligten und an die Öffentlichkeit zu verstehen. In dem schriftlichen Urteil kommt Richterin Wild-Völpel zwar ebenfalls zu der Einschätzung, dass es sich um eine "ernsthafte und diskussionswürdige" Meinung handle. Sie hebt allerdings vorrangig darauf ab, dass es dem unmittelbaren Aufforderungscharakter im Sinne des § 111 StGB fehlt. Da die Soldaten "nur den Befehl zum Einsatz atomarer Waffen verweigern sollen", bezieht sich "der Aufruf auf eine Lage, die weder vorliegt, noch unmittelbar bevorsteht". Die Soldaten würden nur zu dem ihnen dienstrechtlich möglichen Widerspruch gegen unverbindliche Befehle aufgefordert. Ein kleiner Erfolg vor Gericht - auch wenn die Atomwaffen dadurch noch nicht verschrottet sind und die meisten Soldaten wohl ihren Dienst daran unbeirrt fortführen.

Ein schaler Geschmack - mehr noch, Wut auf eine politische Justiz, die ihre Mittel schamlos missbraucht und sich quasi über sich selbst hinwegsetzt - entstand allerdings, als Wochen später bei einem der Angeklagten, Hermann Theisen, eine Hausdurchsuchung stattfand. Die Staatsanwaltschaft Koblenz, die das ganze Verfahren ins Rollen gebracht hatte, hatte die Durchsuchung von "Wohn- und Geschäftsräumen", der "Fahrzeuge" und der "Person" beantragt. Beschlagnahmt werden sollten Beweismittel, die für die Ermittlung von Bedeutung sein könnten. "Aufzuklären" gibt es an dieser "Tat" jedoch nichts. Eine solche Maßnahme trotz Freispruches, der durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft noch nicht rechtskräftig geworden ist, kann nur als Schikane und Einschüchterung begriffen werden. Der Amtsrichter in Heidelberg, der dieser Durchsuchung zugestimmt hat, ist seiner Aufgabe der richterlichen Überprüfung (z.B. der Verhältnismäßigkeit) nicht nachgekommen.
 

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.