Heimatschutz "Die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist von gestern"

von Michael Haid

Die herkömmliche Sicherheitsstruktur Deutschlands, mit der präzise Rechtszuschreibungen und Frieden-/Kriegs-Kategorisierungen verbunden waren, wird gegenwärtig aufgelöst und weicht dem Konzept der "vernetzten Sicherheit". Im Folgenden wird die sich herausbildende neue Struktur skizziert. Ausgehend vom Weißbuch der Bundeswehr werden zunächst die strategischen Konzepte hinter der Neuordnung der Inneren Sicherheit und deren theoretische Implikationen vorgestellt, um anschließend die konkreten Veränderungen zu beschreiben, welche einen zivil-militärischen Bevölkerungsschutz hervorbringen und die Trennung zwischen Krieg und Frieden aufheben sollen.

"Vernetzte Sicherheit"
Die Bundesregierung postulierte in ihrem "Weißbuch" vom 25.10.2006 die "vernetzte Sicherheit" als neues Leitkonzept der Sicherheitspolitik. Kennzeichen dieses Konzepts ist die räumliche wie funktionelle "Entgrenzung" ihrer Akteure. Sicherheitsbedrohungen für Deutschland könnten demnach nicht nur "militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle" Gefahren sein, die innerhalb wie außerhalb Deutschlands aufträten und deshalb auch am Ort ihrer Entstehung - national wie global - präventiv bekämpft werden müssten. Da nicht-militärische Bedrohungen nicht allein durch die Bundeswehr zu bewältigen seien, sondern nur gemeinsam mit den innerstaatlichen Sicherheitsbehörden angegangen werden könnten, agieren diese auch in den Auslandseinsätzen zunehmend mit der Bundeswehr zusammen als Teil der militärischen Strategie. Umgekehrt soll die Bundeswehr polizeiliche Aufgaben im Innern übernehmen, da die zivilen Sicherheitsbehörden angesichts der neuartigen Bedrohungen überfordert sein könnten. Diese beiden synchron ablaufenden Vorgänge sind für die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr voneinander zu trennende Praktiken, beziehungsweise Bestandteile der "vernetzten Sicherheit", wie sie schon in ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 ausführte: "Die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen zunehmend. Internationale Einsätze unter Beteiligung Deutschlands und Heimatschutz sowie Einsatz der Bundeswehr im Innern sind deshalb zwei Seiten ein und derselben Medaille." Bei der Vorstellung des Leitantrages für das neue CDU-Grundsatzprogramm wiederholte sie diese Einschätzung: "Die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist von gestern". "Vielfältige und unberechenbare Bedrohungen nichtstaatlicher Akteure fordern das staatliche Gewaltmonopol heraus. Ob völkerrechtlicher Angriff oder innerstaatliches Verbrechen, ob Kombattant oder Krimineller, ob Krieg oder Frieden: Die überkommenen Begriffe verlieren ihre Trennschärfe und damit ihre Relevanz. Der neue Terrorismus lässt die traditionelle Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen." So zumindest die Meinung des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, die zu einer Beliebigkeit der Einsatzmittel, der Adressaten und der Einsatzgrenzen auffordert. Auf Grundlage dieser Sichtweise müsse, so die Bundesregierung im Weißbuch, ein "umfassender Ansatz" etabliert werden, da "nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses" den identifizierten Bedrohungen zu begegnen sei. Von dieser Gefahrenanalyse ausgehend, leitete Roland Kaestner, Oberst an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, als Innenwirkung der "vernetzten Sicherheit" die Etablierung eines Heimatschutzkonzeptes ab. "Es wird deutlich (...) dass damit die Schnittstellen zwischen innerer und äußerer Sicherheit neu definiert werden müssen. Landesverteidigung im klassischen Sinne, Verteidigung der Grenzen und damit Sicherheit für seine Bewohner, verliert an Bedeutung, während Landesverteidigung in direkter bzw. indirekter Weise den Charakter von Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastruktur annehmen wird. Landesverteidigung wird somit Heimatschutz. Welche Rollen Militär, Polizei und andere Organisationen (THW, Verfassungsschutz, Zivilverteidigung) übernehmen sollen, wird zu bestimmen sein." Als zentrale Neuerung der deutschen Sicherheitspolitik in der Außenwirkung postuliert das Weißbuch die globale Verfolgung und Durchsetzung deutscher Interessen mit den Mitteln der "vernetzten Sicherheit". Es handelt sich ausweislich um politische und wirtschaftliche Interessen, denen die "vernetzte Sicherheit" dient und die militärisch geschützt werden sollen.

Der neue Heimatschutz
Die Außen- wie die Innenwirkung der "vernetzten Sicherheit" verändert auch in erheblichem Maße die (verfassungs-) rechtliche Kultur. Dieses Sicherheitsverständnis steht dem grundgesetzlichen Auftrag für den Einsatz der Streitkräfte absolut entgegen. Interessengeleitete Machtpolitik stellt eine klare Abkehr vom reinen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr dar, wie er aus Artikel 87a Abs.1 S.1 des Grundgesetzes resultiert. Dementsprechend erklärte das Bundesverwaltungsgericht im sog. Pfaff-Urteil vom 21.06.2005 den Einsatz der Bundeswehr zu anderen Zwecken als zur Verteidigung vor einem militärischen Angriff für unzulässig. "Der Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung ist mithin stets nur als Abwehr gegen einen militärischen Angriff (armed attack nach Art. 51 UN-Charta) erlaubt, jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen." Die Bundeswehr zur Absicherung der genannten Interessen einzusetzen, verstößt somit eindeutig gegen die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes und gegen die Rechtsprechung des obersten Verwaltungsgerichts.

Bislang basierte die Organisation des Bevölkerungsschutzes in Deutschland in Friedenszeiten (herkömmlicher Begriff: "Katastrophenschutz") auf einem mit der Kreisstruktur kongruenten zivilen System, in dem der Hauptverwaltungsbeamte (Landrat oder Oberbürgermeister) die Verantwortung als "untere Katastrophenschutzbehörde" trägt. Er übernimmt nach Erklärung des Katastrophenfalles die Einsatzleitung. Zur Erfüllung seiner Aufgabe bedient er sich der lokalen Kräfte. Der Bund stellt ggf. im Wege der Amtshilfe seine Einheiten - Technisches Hilfswerk, Bundespolizei, Bundeswehr - zur Verfügung.

Die Zuständigkeit für den Bevölkerungsschutz im Kriegsfalle ("Zivilschutz") liegt seit der Herstellung der sog. Wehrhoheit im Jahr 1954 beim Bund. Der Bund hat 1968 eine Verklammerung mit dem Bevölkerungsschutz im Frieden hergestellt, indem er die zivilen Ländereinrichtungen in die Leistungen für den Zivilschutz eingebunden hat ("Erweiterter Katastrophenschutz"). Die eigenen Zivilschutzeinheiten wurden angesichts der weltweiten Entspannung 1995 aufgelöst.

Zusammengefasst ist die Bewältigung eines Katastrophenfalls gemäß Artikel 70 des Grundgesetzes Aufgabe der Länder. Erst im Verteidigungsfall ist der Bund gemäß Artikel 73 Nr.1 GG für den Schutz der Zivilbevölkerung zuständig. Allerdings erweitert und ergänzt der Bund den Katastrophenschutz der Länder durch die Aufstellung der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Der Bund tritt darüber hinaus im Frieden nur ausnahmsweise auf Anforderung auf den Plan. Ansonsten bewältigen die Kommunen, unterstützt von den Ländern, sämtliche Gefahrenlagen allein. Hierzu hat der Bund sie mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten. Soweit die Theorie, nun zur Praxis.

Das neue System des Heimatschutzes stellt nun eine kategorische Neugestaltung der Sicherheitsstruktur, die fortan nicht zivilbehördlich, sondern zivil-militärisch gegliedert ist, dar. Laut eines Beschlusses der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 31.03.2004 soll er als Teil eines "Gesamtverteidigungskonzepts" verstanden werden. Zunächst wird nun die "neue Strategie" der Zusammenlegung von Zivil- und Katastrophenschutz zum neuen Begriff "Bevölkerungsschutz", wie sie aus den Beschlüssen der Konferenz der Innenminister- und Senatoren der Länder (IMK) und des "Dritten Gefahrenschutzberichts" resultieren, präsentiert. Danach wird die Neuorganisation der sog. Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland dargestellt und ihre Integration in den Bevölkerungsschutz aufgezeigt. Insbesondere wird herausgearbeitet, dass der militärische Beitrag nicht als eine Hilfeleistung im Ausnahmefall einzuordnen ist, sondern im Gegenteil autonome Parallelstrukturen der Bundeswehr für die innere Sicherheit aufgebaut werden und demzufolge von einer qualitativ völlig neuartigen Sicherheitsstruktur gesprochen werden muss.

Die "Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland"
Die Bundesregierung hat bereits im Sommer 2001 damit begonnen, konzeptionelle Überlegungen zur Neuformulierung der zivilen Sicherheitsvorsorge in Deutschland zu erarbeiten. Die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler beauftragte den Politologen und heutigen Abteilungsleiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Wolfram Geier, "Überlegungen für eine gemeinsame Rahmenkonzeption zur Weiterentwicklung des Zivilschutzes" zu erarbeiten. Diese Studie wurde eine wesentliche Grundlage für die Beschlussfassung der "Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland" durch die Bundesregierung und die IMK am 05./06.06.2002.

Ein zentraler Satz im Strategiepapier spricht für sich: "Die Weiterentwicklung des Zivilschutzes unter aktuellen Aspekten bietet die einmalige Chance [!], die bisherige, im internationalen Vergleich außergewöhnliche begriffliche Trennung in V-Fallorientierten Zivilschutz und friedenszeitlichen Katastrophenschutz aufzuheben" (S.17). Was Geier als "Chance" bezeichnet, ist die Abschaffung einer wohl kalkulierten Konsequenz aus der Vergangenheit, dem Militär keine Kompetenzen im Innern zuzugestehen.

Neben der Auflösung von Innen- und Außenkategorisierungen ist ein weiteres Ziel ganz auf der Linie der "vernetzten Sicherheit": "die Optimierung der Zusammenarbeit und Vernetzung von Behörden, Institutionen und Organisationen bei der Gefahrenvorsorge- und der Gefahrenabwehrplanung auf und zwischen allen Verwaltungsebenen" (S. 20).

Neben den alltäglichen Hilfeleistungen und den gewöhnlichen Gefahren- und Schadenslagen, welche die unteren Katastrophenschutzbehörden selbstständig bewältigen können, gäbe es im Kontext der veränderten Bedrohungslage "außergewöhnliche Gefahren und Schadenslagen", die oben bereits angedeutet wurden. Als deren Auslöser kämen vorrangig folgende, von der Schutzkommission identifizierten Ereignisse in Betracht, deren Eintritt in der Zukunft zunehmend wahrscheinlicher werde:

(1) Angriffe und Waffeneinsatz im Rahmen militärisch ausgetragener Konflikte; (2) Anschläge (Angriffe) und Sabotage durch Extremismus, Fundamentalismus sowie nationalen oder internationalen Terrorismus; (3) besonders schwere Auswirkungen organisierter Kriminalität; (4) schwere Unglücksfälle und Havarien; (5) Naturereignisse und (6) Epidemien.

Aus diesem bisher betrachteten Konzept leitet die Bundesregierung für sich eine "zentrale Koordinierungskompetenz" ab, und stellt als ihren Beitrag im "neuen Bevölkerungsschutz" die folgende institutionell-organisatorische Struktur bereit: Einmal das BBK, das eine "Zentralstellenfunktion und Dienstleistungsrolle" für alle Verwaltungsebenen besitzt, und zweitens die seit 1950 existierende Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), die als "operative Einsatzorganisation" des Bundes im Inland sowie im Ausland fungiert.

Besonders dem erst am 01.05.2004 gegründeten BBK wurden im Rahmen des "Bevölkerungsschutzes" zentrale Aufgaben übertragen. Hierzu zählt in erster Linie die Wahrnehmung der sog. Gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge durch die Neukonzeption des ergänzenden Katastrophenschutzes und durch die Verbesserung der zivil-militärisch-polizeilichen Zusammenarbeit, insbesondere beim Schutz kritischer Infrastrukturen.

Die Kritischen Infrastrukturen des Marktes
Um es vorweg zu nehmen: mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen steht nicht die Absicherung der Bevölkerung vor den Folgen von Katastrophen im Vordergrund, dies ist nur als sekundäres Ziel zu verstehen. Im Kern soll die Funktionsfähigkeit von Staat und Wirtschaft dauerhaft gewahrt und gesichert werden. Ein Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt die primäre Motivation dieses Konzeptes heraus: "Im Globalisierungszeitalter wird die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland entscheidend von der Sicherheit seiner Infrastruktur und Verkehrswege bestimmt." Genauer gesagt, findet eine Zweiteilung von Aufgaben statt. Die Wirtschaft absorbiert die Gewinne, darunter auch in Bereichen, die in der Vergangenheit erst privatisiert wurden. Der Staat hingegen verpflichtet sich, den kostenintensiven Schutz dieser Wirtschaftssektoren zu übernehmen und für eventuell eintretende Unfälle (bspw. chemischer oder atomarer Natur) aufzukommen.

Die Fokussierung dieses Konzeptes auf die staatliche und ökonomische Funktionsfähigkeit interpretiert die zunehmenden sozialen Konflikte neu: sie werden als Gefahren klassifiziert. Der "Gefahrenschutzbericht" sieht auch eine Verarmung der Bevölkerung und damit verschärfte soziale Konflikte als Bedrohung an. Prognostisch werden dort zukünftige Entwicklungen wie Flüchtlingsprobleme oder Wirtschaftseinbußen aufgezählt, denen mit präventiven Maßnahmen begegnet werden solle.

"Diese [die kritischen Infrastrukturen] sind für die Versorgung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Ein Ausfall dieser Strukturen oder einzelner Teile davon könnte für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganze zu weit reichenden Folgeerscheinungen führen wie Rohstoffverknappung, Engpässe in der Energieversorgung, Flüchtlingsprobleme oder Wirtschaftseinbußen. In schweren Notlagen ist auch eine sich verbreitende rechtliche Bedenkenlosigkeit vorauszusehen - um nur Korruption und Eigentumsdelikte zu erwähnen, für deren gefährliche infrastrukturelle Folgen ebenfalls Vorsorge zu treffen sein würde. Dies muss durch geeignete präventive Maßnahmen verhindert werden."

Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit
Die Armee ist in diesem Konzept auch durch die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) der Bundeswehr im Inland präsent.

ZMZ ist von militärischer Seite aus als "ein eigenständiger Aufgabenbereich innerhalb der Bundeswehr" konzipiert. Er umfasst "alle Maßnahmen, Kräfte und Mittel, welche die Beziehungen zwischen Dienststellen der Bundeswehr auf der einen Seite und zivilen Behörden sowie der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite regeln, unterstützen oder fördern." Diese militärische Aufgabe findet "sowohl innerhalb Deutschlands als auch bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland" Anwendung.

Die ZMZ im Inland erfährt derzeit ebenfalls eine grundlegende Neugestaltung. Wolfram Kühn, Inspekteur der Streitkräftebasis, beschrieb den künftigen Charakter der ZMZ wie folgt: "Mit der Neuordnung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit wird ein neues wesentliches Kapitel im Transformationsprozess aufgeschlagen. (...) Im Sinne der vernetzten Sicherheit handelt es sich um praktizierte Integration militärischer Fähigkeiten in gesellschaftliche Aufgaben."

Während im Kalten Krieg unter ZMZ "die Unterstützung der Kampftruppe, die Sicherung des rückwärtigen Raumes und die Verfügbarmachung von zivilen Ressourcen für die militärische Verteidigung" verstanden wurde, es sich also um eine subsidiäre Komponente zur Unterstützung der Bundeswehr im Kriegsfall handelte, so richtet sich die ZMZ heute nach der BMVg-Homepage "vor allem an neuen gesamtstaatlichen übergreifenden Sicherheitskonzepten aus."

Das Strategiepapier "Grundzüge der Konzeption der Bundeswehr" vom 08.09.2004 definiert als wesentliche Aufgaben der Bundeswehr im Inland: (1) Unterstützung von Kräften und Einrichtungen des Bündnisses sowie von einzelnen Verbündeten und Partnern in Deutschland (eine Beschreibung für die Absicherung und Unterstützung der US-Stützpunkte in Deutschland zur ungestörten Führung der Kriege im Irak, Afghanistan und anderswo); (2) Mittlerfunktion zwischen deutschen zivilen und militärischen Stellen zu Kräften und Einrichtungen des Bündnisses sowie zu einzelnen Verbündeten und Partnern in Deutschland; (3) Amtshilfe; (4) Hilfeleistungen im Inland bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen; (5) Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur vor asymmetrischen und terroristischen Bedrohungen durch Unterstützung der für innere Sicherheit zuständigen zivilen Stellen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben; (6) Unterstützung der Nationalen Zivilen Verteidigung als Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge in Deutschland.

Die Schwerpunkte liegen also in Handlungen, die über die Bestimmungen des Artikels 35 GG (Amtshilfe) gerechtfertigt werden, wozu insbesondere die Absicherung der kritischen Infrastrukturen gehört.

Nach Vizeadmiral Bernd Heise, dem ehemaligen Inspekteur der Streitkräftebasis, wurde mit der ressortübergreifenden Zusammenarbeit zwischen dem BMI und dem BMVg bereits im Mai 2001 begonnen. Diese Initiative sei "der Öffentlichkeit so gar nicht bekannt" gewesen, wie sich Heise später zitieren ließ. Nach der Annahme der "neuen Strategie" durch die Innenminister im Juni 2002 begann mit einer Verwaltungsvereinbarung auch die Integration der Bundeswehr in die Innere Sicherheit.

Am 17.10.2002 unterzeichneten Heise als Vertreter des BMVg und der Präsident des Bundesverwaltungsamtes als Vertreter des BMI eine Vereinbarung zur gemeinsamen Ausbildung von militärischen und zivilen Kräften. Darin wurde festgelegt, dass an der AKNZ gemeinsame Schulungen für militärisches und ziviles Führungspersonal stattfinden werden. Dabei sollen Dozenten der Bundeswehr und der AKNZ in Seminaren den Teilnehmern (für 2007 wurden die Lehrgangsplätze auf 800 verdoppelt) - Bundeswehrangehörige, Polizeibeamte und Führungskräfte aus Feuerwehren, Hilfsorganisationen, dem THW und aus Verwaltungen der Landes-, Bezirks- und Kreisebene - den Inhalt der zivil-militärischen Zusammenarbeit vermitteln. Ein besonderer Wert wurde dabei auf die Praxis gelegt: in gemeinsamen Übungen sollen die gewonnenen Kenntnisse umgesetzt werden.

Mit dieser Vereinbarung zur gemeinsamen Ausbildung und Übung wurde der praktische Grundstein für die Vermischung von zivilem Katastrophenschutz und (militärischem) Zivilschutz im Kriegsfall zum zivil-militärischen "Bevölkerungsschutz" als Bestandteil der "vernetzten Sicherheit" gelegt. Zur Realisierung dieses Vorhabens meldete die Führung der Bundeswehr bei der IMK an, ihre "Einsatzpotentiale" für das Inland neben den vorrangigen Auslandseinsätzen "zu verbessern" Es soll "höchstmögliche Planungssicherheit durch einplanbare Ressourcen" geschaffen werden. Wie weit die Umsetzung bereits fortgeschritten ist, wird im Folgenden skizziert.

Die neue territoriale Wehrstruktur
Die Organisation der Bundeswehr für ihre Verwendung im Inland wurde grundlegend verändert. Dieser Vorgang der Errichtung einer neuen territorialen Wehrstruktur vollzog sich weitestgehend im ersten Halbjahr 2007. Er zeichnet sich durch eine exakte Gegenüberstellung von militärischen Stellen zu jeder Zivilbehörde auf Kreis- Bezirks- und Landesebene in Deutschland aus. Neu ist ebenfalls, dass dieses "neue und flächendeckende Territoriale Netzwerk der Bundeswehr" fast ausschließlich aus Reservisten besteht.

In Zahlen und Fakten sieht diese "Wehrstruktur" so aus: jedes Bundesland bekam ein Landeskommando am Sitz der jeweiligen Landesregierung, jeder der 31 Regierungsbezirke als "mittlere Katastrophenschutzbehörde" ein Bezirksverbindungskommando (BVK) und jeder der 426 Landkreise als "untere Katastrophenschutzbehörde" ein Kreisverbindungskommando (KVK) der Bundeswehr zur Seite gestellt.

Jedes dieser Verbindungskommandos umfasst zwölf Dienstposten mit insgesamt 5.500 Reservisten, das von einem "Beauftragten der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit" geleitet und von einem "Beauftragten Sanitätsstabsoffizier für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit mit dem zivilen Gesundheitswesen" unterstützt wird.

Die Planung des Katastrophenschutzes könne somit bereits "in sehr frühen Phasen unter Berücksichtigung militärischer Expertise erfolgen". Dementsprechend wird das Verbindungskommando auch nicht separat in einer militärischen Liegenschaft untergebracht, sondern in einem Büro der zugeordneten zivilen Behörde, um bereits im Normalbetrieb "in das `kommunale Netzwerk Katastrophenhilfe` eingebunden" zu sein. Die Landesregierungen, Regierungspräsidien, Landkreise und kreisfreien Städte hätten jetzt erstmals "lückenlos und flächendeckend einen militärischen Ansprechpartner", wie auf der Homepage des Reservistenverbandes nachzulesen ist. Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr werden durch diese Struktur einfacher und sicherlich zunehmen.

Bei Eintritt einer Gefahrenlage bildet das Verbindungskommando dann "eine schichtfähige `Unterstützungszelle Bundeswehr` im Katastrophenschutzstab" des Landkreises oder des Regierungsbezirkes. Des Weiteren werden den Verbindungskommandos als "aktive Pfeiler" 32 "Regionale Planungs- und Unterstützungstrupps" zugeordnet. Zusätzlich sollen bis zum Jahr 2010 16 ZMZ-Stützpunkte in den Aufgabenbereichen Pionierwesen (5), Sanitätsdienst (9) und ABC-Abwehr (2) aufgebaut werden, für die knapp 5.000 weitere Reservisten eingesetzt werden. "ZMZ-Stützpunkt" sei eine ergänzende Bezeichnung für einen ausgewählten Standort der Bundeswehr im Inland, bei dem die genannten Fähigkeiten durch aktive Soldaten in Zusammenarbeit mit den Reservisten im Ausland wie im Inland erbracht werden können.

Die bisher installierten Strukturen der ZMZ fielen allerdings nicht aus heiterem Himmel. Der neue Ansatz der ZMZ wurde mit den für die Katastrophenabwehr verantwortlichen mittleren und unteren Katastrophenschutzbehörden seit Oktober 2004 in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere durch die zwei zivil-militärischen Katastrophenschutzübungen "FLORIAN 04" und "ARCHE 05", "erfolgreich erprobt und umfassend ausgewertet". Zeitgleich fand auch ein Modellversuch in den Sanitätskommandos I und II statt, bei dem die Beratung der zivilen Gesundheitsbehörden in den Regierungsbezirken und Landkreisen durch ortsansässige Reservisten (Ärzte) als "ZMZ-Beauftragte" erfolgte.

Der erste Einsatz, der nicht ad-hoc geschah, sondern lange im Voraus geplant und mit einem großen Aufgebot begleitet wurde, quasi die Premiere dieses Modells, war die Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006. Der Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos der Streitkräftebasis, welcher generell für alle Einsätze der Bundeswehr im Inland verantwortlich ist, Generalleutnant Kersten Lahl, meinte, die Erfahrungen bei der FIFA WM 2006 hätten "einerseits das Zusammenwirken innerhalb der Bundeswehr sehr positiv befördert und anderseits der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auf allen Ebenen einen deutlichen Entwicklungsschub verliehen." Ein weiterer Verantwortlicher, Oberst Bernhard Frank, erklärte: ,Die WM kann man auch mit Fug und Recht als Katalysator für die Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bezeichnen."

Der Artikel wurde vom Autor für das FriedensForum gekürzt und überarbeitet. Die Erstfassung ist vollständig mit Anmerkungen erschienen bei: IMI-Magazin August 2007.

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Michael Haid ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. in Tübingen.