Caritas kritisiert humanitäre Somalia-Hilfe der Bundeswehr

„Hilfsorganisationen müssen Vorrang vor Militär haben“

von Chistoph Arens

Angehörige des Deutschen Caritasverbandes arbeiten derzeit im Rahmen humanitärer Hilfsmaßnahmen in Somalia. Der Leiter der Caritas-Auslandshilfe, Günter Holter, äußerte sich in einem Interview der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Hilfsorganisationen bei humanitären Einsätzen.

KNA: Herr Hölter, welche Auswirkungen haben die Kämpfe zwischen UNO-Truppen und den Aidid-Anhängern auf die Hilfsmaßnahmen der Caritas?

Hölter: Der militärische Konflikt erschwert unsere Arbeit. Die UN haben sich auf einen Schlagabtausch mit Aidid eingelassen, was zu einer starken Militarisierung ihres Einsatzes geführt hat. Die UN-Truppen werden von den Somalis als Kriegspartei angesehen. Unter dieser Voraussetzung ist es nur sehr schwer möglich, den eigentlichen Auftrag von Unosom II zu erfüllen, nämlich den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Somalias. Wir erwarten, daß die internationalen Truppen wieder zu ihrem ursprünglichen Einsatzziel zurückkehren. Dann haben auch wir wieder die Möglichkeiten, unsere Wiederaufbauprojekte im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Landwirtschaft und Im Bildungsbereich in vollem Umfang weiterzuführen.

KNA: Wie ist der Einsatz der Bundeswehr in Belet Huen im Hinblick auf die Gesamtmission der UNO in Somalia zu bewerten?

Hölter: Auch der Einsatz der Bundeswehr muß sich an den übergeordneten Zielen messen lassen, die dem Einsatz der Vereinten Nationen in Somalia zugrunde liegen. Und das oberste Ziel heißt, diesem durch Bürgerkrieg zerstörten Land zu einer eigenständigen Entwicklung zu verhelfen. Ob militärische Einheiten dann, wenn sie selbst humanitäre Hilfe leisten, solchen Kriterien genügen, ist zu fragen.

KNA: In welchen Bereichen können Bundeswehr und Hilfsorganisationen denn sinnvoll zusammenarbeiten?

Hölter: Bei lebensrettenden Soforthilfe- und Versorgungsmaßnahmen haben wir gute Erfahrungen mit der Bundeswehr gemacht. Ihr Potential konnte beispielsweise bei Einsätzen nach Naturkatastrophen genutzt  werden, besonders wenn es um Transportwesen, Kommunikationstechnik oder Versorgung ging. Die Caritas hat auch bereits in Somalia Transportmöglichkeiten der Bundeswehr genutzt und ist dankbar für diese Unterstützung.

KNA:. Die eigentliche militärische Ausrüstung nutzt bei humanitären Maßnahmen gar nichts?

Hölter: Militärische Mittel nützen uns nur dann etwas, wenn humanitäre Hilfe in kritischen Situationen abgesichert werden muß. Gerade in Somalia sind Ende 1992  durch die Anwesenheit  von Militärs Hilfsaktionen durchgeführt worden, die sonst vielleicht nicht hätten durchgeführt werden können. Heute geht es dort aber schon lange nichtmehr darum, möglichst schnell möglichst viele Nahrungsmittel zu verteilen. Heute geht es darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, sowohl politisch als auch humanitär. Wie  wir sehen,  können militärische Mittel solche. Prozesse sogar behindern. Der politische Dialog zwischen  den somalischen Gruppen muß  wieder ermöglicht werden.

KNA: In der Öffentlichkeit hat die Bundeswehr ihren Einsatz immer mit "humanitärer Hilfe" gerechtfertigt. Haben die deutschen Soldaten Ihrer  Meinung. nach genügend Erfahrung, um in Somalia am Wiederaufbau mitzuwirken?     

Hölter: Wir stellen grundsätzlich in Frage, ob Militär in der Lage ist, solche Maßnahmen durchzuführen, Das hat gar nichts mit deutschen Soldaten zu tun, sondern damit, ob eine Hilfsaktion als Intervention von außen durchgeführt wird oder als partnerschaftliche Zusammenarbeit. Zu den Caritas Kriterien bei humanitären Einsätzen gehören Partnerorientierung,  Beteiligung der Einheimischen, Förderung von Selbsthilfen und die Langfristigkeit der Maßnahmen. Der Einsatz der Bundeswehr dagegen ist zeitlich begrenzt und eine Intervention von außen. Ihre Hilfsaktionen im Bereich von Bildung und Gesundheit sind in der Gefahr, Standards einzuführen, die die Somalis nach dem Abzug der Bundeswehr nicht halten können.

KNA: Also gibt es bei der Caritas generelle Vorbehalte gegen humanitäre Einsätze der Bundeswehr?

Hölter: Es spricht einiges dafür, daß Hilfsorganisationen bei der humanitären Hilfe Priorität vor der Bundeswehr haben sollten. Eine Studie, die 1992 vom Deutschen Komitee zur Katastrophenvorbeugung in Auftrag gegeben wurde, kam zu dem Ergebnis, daß die Hilfsorganisationen wegen ihres zivilen Charakters, ihrer Neutralität und wegen ihres Ansatzes, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, der Bundeswehr vorzuziehen seien. Beide, sowohl Bundeswehr als auch Hilfsorganisationen, sollten sich bei der humanitären Hilfe auf die Bereiche beschränken, in denen sie kompetent sind. Gerade in Somalia wird derzeit deutlich, daß Militärs und humanitäre  Helfer Entwicklungs- und Politikprozesse starten, die aufgrund fehlender staatlicher Strukturen zum Scheitern verurteilt sind. Von Beginn an muß die Nachhaltigkeit von Konzepten in die Überlegungen einbezogen werden.

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Chistoph Arens ist Redakteur der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) in Bonn.