Hintergründe der Argumentation verschiedener Richter und der Staatsanwaltschaft

von Ulrike Klug

Langsam erhellen sich für mich nach vielen beobachteten Verhandlungen sowohl zur Südtor- wie auch zur Nordtor-Aktion die Hintergründe der Positionen einiger Richter und Staatsanwälte.

Manche RichterInnen oder StaatsanwältInnen machen ja von Beginn der Verhandlung an (oder sogar vorher, wenn sie nämlich z.B. den Angeklagten die Akteneinsicht verweigern) keinen Hehl aus ihrer vorgefassten Meinung.

Andere wieder sitzen lange Zeit mit einer Miene da, der keine besondere Betroffenheit zu entnehmen ist, um sich dann zum Schluss vielleicht als die ärgsten Anhänger eines erweiterten Gewaltbegriffes zu entpuppen.

Einige Male haben wir jetzt in mündlichen Urteils- oder Anklagebegründungen von Richtern wie von Vertretern der Staatsanwaltschaft schon hören müssen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995, welches die Erweiterung des Gewaltbegriffes auch auf PSYCHISCHE Zwangswirkungen für nicht zulässig erklärt, nur für einen bedauerlichen Fehlgriff gehalten wird und dass es nicht einmal der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH bedürfe, um pazifistischen Sitzdemonstranten Gewaltausübung ganz pauschal, ohne dass die Umstände des Sachverhalts dabei bis in die Details hinein untersucht werden müssten, nachzuweisen.

Eine solche Haltung ist zwar klar verfassungswidrig, jedoch trotzdem schwer angreifbar, wenn diese mündlich geäußerte Haltung nicht ausdrücklich in die schriftlichen Protokolle und Urteilsbegründungen eingeht.

In den Begründungen der Verurteilungen wegen Nötigung ist allerdings zumindest schon einmal zu erkennen, dass ganz offensichtlich kaum Mühe darauf verwendet wurde, die abstruse "Zweite-Reihe-Logik" des BGH in einen Zusammenhang mit dem jeweils ermittelten Sachverhalt zu setzen, und bereits bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurde auf die für eine BGH-Argumentation nötigen Details kaum geachtet.

Allein diese Ignoranz kann schon als Hinweis auf die Affinität zu einem erweiterten Gewaltbegriff bei Staatsanwälten wie auch bei einem Teil der Richter des Frankfurter Amtsgerichts, wie auch des Frankfurter Landgerichts gewertet werden.

Bereits die bloße Möglichkeit der Korrektur dieses Verstoßes gegen § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht wurde nun bereits in einem Fall durch die zweite Instanz verweigert und es wird deutlich, welches Ausmaß die Missachtung des Bundesverfassungsgerichtes hierbei angenommen hat.

BVerfGG § 31

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

In zwei Fällen wurde dieser Rechtsbruch in der zweiten Instanz korrigiert, aber in mindestens einem Fall hat in erster Instanz die Amtsrichterin Walter Sitzdemonstranten wegen Nötigung verurteilt, ohne in der Begründung auf die BGH-Rechtsprechung ausreichend Bezug zu nehmen, in zweiter Instanz hat Richter Fidora vom Frankfurter Landgericht die Berufung nicht angenommen.

Besonders deutlich wurde der Verstoß gegen den § 31 jedoch bei einer erstinstanzlichen Verhandlung zur Südtor-Aktion bei Richter Henrici.

Als er in seiner mündlichen "Urteilsbegründung" zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1995 sinngemäß meinte, dass er dieser ja sowieso nicht so ganz folgen könne, wobei er vorher deutlich gemacht hatte, dass er bei mehreren Verfahren gegen Vergewaltiger, die er - gegen starken inneren Widerstand - freisprechen "musste", selber wohl psychisch gelitten haben muss und damit eine starke innerliche Bereitschaft erworben zu haben scheint, den Gewaltbegriff auf alle möglichen psychischen Zwangswirkungen auszudehnen, was er in der mündlichen Urteilsbegründung jedenfalls ausdrücklich kundgetan hat, ist mir die Eindeutigkeit dieser Argumentation erst so richtig klargeworden.

Henrici hat hier also STELLVERTRETEND für einige brutale Vergewaltiger, die (ihm) durch die seiner Meinung nach zu weiten Maschen der Gesetzgebung geschlüpft waren, eine junge Pazifistin wegen "Quasi-Vergewaltigung" von Autofahrern verurteilt.

Beruhigend fand ich lediglich, dass der Richter seine Psyche offengelegt hat, so dass auf dieser Ebene seine Entscheidung in gewisser Weise nachvollziehbar und damit auch wieder mit Vernunftargumenten (neben all der immer schwerer nachzuvollziehenden Paragraphenartistik) angreifbar wird.

Dass Richter Fidora vom Landgericht Frankfurt nun allein schon die bloße Anberaumung einer Berufungsverhandlung in einem Nordtorverfahren abgelehnt hat und sich der Verhandlung entzieht, bei der er in seinem Urteilsspruch ja scheinbar dasselbe Ergebnis erzielen könnte, ohne die Rechtsbeugung so offensichtlich werden zu lassen, wird ebenfalls besser verständlich, wenn wir einen Blick auf die Vorgeschichte werfen.

Richter Fidora war es nämlich, der die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das 5-Euro-Urteil von Richter Rupp (Ergebnis: Sitzblockade war keine Nötigung, nur Ordnungswidrigkeit, verhängte Geldbuße in Höhe von symbolischen 5 Euro) angenommen und verhandelt hatte.

Was für eine Enttäuschung muss es für diesen Richter gewesen sein, als am zweiten Verhandlungstag der Berufungsverhandlung der Oberstaatsanwalt die Berufung unerwartet auf das Strafmaß einschränkte und vom Vorwurf der Nötigung abrückte!

Dabei hatte Fidora allen Forderungen der Staatsanwaltschaft am ersten Verhandlungstag entsprochen und noch zum zweiten Verhandlungstag ca. 10 Zeugen geladen, die die Kosten der Angeklagten insbesondere im Falle des von ihm wohl bereits geplanten Urteilsspruchs noch in die Höhe treiben konnten.

Doch dann meint da der Oberstaatsanwalt ganz unerwartet, sich an dem Urteil eines Richter-Kollegen vom selben Landgericht orientieren zu müssen, hebt die Anklage wegen Nötigung einfach auf und "nötigt" ihm damit ein Urteil auf, welches er so womöglich keinesfalls hatte sprechen wollen, da hätte er dann doch vielleicht lieber die Berufung der Staatsanwaltschaft noch zurückgewiesen.

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