Vom Asylbewerber zum Illegalen

Hinweise zum neuen Asylrecht

von Andreas GermershausenRobin Schneider

Um zwei Themen ging es bei den Verhandlungen von Regierung und ­SPD, die Ende 1992 zum Asylkompromiß führten: Es war das gemein­same Interesse der an dieser großen Koalition Beteiligten, erstens die Zuwanderung nach Deutschland strikt zu kontrollieren. zweitens sollten die Asylverfahren drastisch verkürzt werden. Diese beiden Ziele sind miteinander verwoben, insbesondere seit das Asylrecht für Zuwanderer aus zahlreichen Herkunftsländern in den letzten Jahren zur in der Praxis einzigen Einwanderungsmöglichkeit geworden war. Die Zusammenfas­sung der beiden Themen zeigt aber schon, daß auch die politisch Ver­antwortlichen nicht mehr in der Lage sind, das wirtschaftliche Interesse an Einwanderung oder das politische Interesse an ihrer Reduzierung und die verfassungsmäßige Aufgabe, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren, voneinander zu unterscheiden.

 

Zur Krise der deutschen Asylpolitik kam es, nachdem andere Zugangsmöglichkeiten systematisch versperrt wur­den. Außer für Personen, die sich auf eine deutsche Herkunft berufen können oder die nahe Verwandte in der Bundes­republik haben oder für einige Werk­vertragsarbeiter blieb so der Asylantrag als einzige Möglichkeit der Einwande­rung. Wenn das politische Asyl gerettet werden sollte, wäre eine Auffächerung von Zuwanderungsformen erforderlich gewesen. Zum Teil ist dies sogar er­reicht worden: So reduzierte sich die Zahl polnischer Asylbewerber drastisch, als nach der Einführung eines Saisonarbeiterstatus im Ausländerrecht und mit der Visumsbefreiung und eine lega­lisierte Alternative geboten wurde.

Die SPD meint es als Erfolg herausstel­len zu können, daß überhaupt noch in der Verfassung steht, politisch Verfolgte würden in der Bundesrepublik Asyl genießen. Es ist dies ein fragwürdiges Verdienst, und zwar vor allem aus drei Gründen:

  • Erstens nutzt ein Grundrecht nichts, das nicht in Anspruch genommen werden kann. Beim neuen Asylrecht hat sich aber das dominante Interesse der Politiker, verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verkürzen oder zu vermeiden, so nachhaltig durchgesetzt, daß sich die allermeisten Flüchtlinge auf dieses in der Verfassung bislang noch zugeschriebene Recht nicht mehr berufen können. Viktor Pfaff hat in den letzten beiden Ausgaben der Zeitschrift "links" (Mai und Juni 1993) überzeugend gezeigt, daß Rechtsanwälte angesichts der auf eine Woche verkürzten Fristen poli­tisch Verfolgte nicht mehr angemes­sen vertreten können. So zeigt sich in den Asylvereinbarungen die schon in den achtziger Jahren die Asylpolitik be­stimmende Mi­schung von Lega­lität und Ausgren­zung, die jetzt al­lerdings noch schärfer pointiert erscheint. Das abstrakte Recht bleibt bestehen; entschei­dend sind aber die zu erwartenden Prozesse der Aus­grenzung und Kri­minalisierung von AusländerInnen, die sich nicht legal in der Bundesrepublik aufhalten.
  • Zweitens werden mit der jetzt getrof­fenen Vereinbarung die Mindeststan­dards des internationalen Flüchtlings­rechts unterlaufen. Dies betrifft be­sonders Flüchtlinge aus Ländern, die durch Parlamentsbeschluß als "verfolgungsfrei" eingestuft werden. Sie werden nur in Ausnahmefällen noch die Möglichkeit haben, ihre subjektiven Asylgründe wenigstens vorzutragen. Dabei sind zwei Punkte besonders problematisch: Zum einen wird bei vielen Ländern die Etikettie­rung als "verfolgungsfrei" umstritten bleiben, wie sich bereits jetzt am Bei­spiel Rumäniens zeigt, für deren Roma-Bevölkerung deutsche Ge­richte noch vor kurzem eine gravie­rende Diskriminierung festgestellt hatten. Zum anderen wird sich diese Frage in den außenpolitischen Bezie­hungen auswirken. Proteste von Re­gierungen, denen die Unbedenklich­keit nicht zugesprochen wird, sind gewiß. Und damit liegt zumindest die Gefahr nahe, daß menschenrechtli­che, ob an Individuen oder an Minderheiten orientierte Interessen nationalstaatlichen Ansprüchen geopfert werden. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele: Ein besonders gravieren­des war das Zurückweichen des Völ­kerbundes vor dem nationalsozialisti­schen Deutschland, das auch die in­ternationale Hilfe für Flüchtlinge aus Deutschland betraf; und nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Doktrin der "Nichteinmischung in innere An­gelegenheiten": im Zweifel stets die Position von Regierungen gegen Minderheiten gestärkt: Zuletzt hat China vor der UN-Menschenrechts­konferenz im Juni 1993 in Wien da­für ein trauriges Vorbild gespielt.
  • Drittens sind die Folgen der neuen Asylpolitik anzuführen, die heute erst in Tendenzen benannt werden kön­nen: Außenpolitisch wird die Bun­desrepublik in eine fragwürdige Po­sition geraten, da ihr vorgeworfen wird, ihre Flüchtlingspolitik mit der Brieftasche durchzuführen, nach­dem sie Polen und anderen Transit­ländern zugesagt hat, Kosten für aus Deutschland abgeschobene Flücht­linge zu übernehmen. Dieses Bild wird sich in den nächsten Jahren kaum bessern, wenn es zu Verhand­lungen über eine Erhöhung solcher Zuwendungen kommt.

Innenpolitisch wirkt sich aus, daß nun große Flüchtlingslager geschaffen werden, in denen verkürzte Verfahren durchgeführt und aus denen dann die Mehrzahl der Asylsuchenden abgescho­ben werden sollen. Anzunehmen ist, daß damit in der Umgebung dieser Lager Probleme eher geschaffen als gelöst werden. Vor allem ist zu befürchten, daß über diese Kurzverfahren das Asylrecht insgesamt ausgehebelt wird, da allein das fachliche Personal fehlt, das bei der hohen Zahl von Verfahren selbst die nach dem neuen Gesetz noch asylrelevanten Gründe erkennen kann.

Die wichtigsten durch die neue Asylpo­litik zu befürchtenden Folgen lassen sich nicht auf die Asylpolitik begrenzen. Möglicherweise mag eine vorüberge­hende eine Reduzierung der Zuwande­rung erreicht werden; Migranten aus Ländern, die als "verfolgungsfrei'' gel­ten, werden aber zunehmend "illegal" einwandern. Und so wird sich die politi­sche Diskussion in den nächsten Jahren verlagern: von der Abwehr von Asyl­bewerberinnen zum Kampf gegen die "Illegalen". Wie aber wird sich die Bundesrepublik gegen illegalisierte Einwan­dererlnnen wehren, und was bedeutet dies für die innere Verfassung des Lan­des?

Kaum anzunehmen ist, daß die Grenzen gänzlich gegen als illegal definierte Zuwandererlnnen abgeschottet werden können. Sicherlich werden hierzu noch Kontroversen geführt, doch der Bau von Mauern brächte vermutlich zu hohe außenpolitische Kosten mit sich, So würde sich die Debatte um Illegale auf die Innenpolitik konzentrieren. Kommt es dann wirklich zu systematischen Kontrollen, bei denen die Hautfarbe das Kriterium für die Überprüfung bildete? Die Folgen für, die Bürgerrechte in der Bundesrepublik lassen sich so nur als Albtraum vorstellen.

Dennoch erscheint uns das skizzierte Szenario nicht allzu spekulativ. Es wäre das US-amerikanische Modell, das in der Bundesrepublik mit etwas größerem Erfolg als in den USA durchgeführt werden könnte; da Illegalität hier bis­lang konsequenter bekämpft wurde und der Bürgerlnnenstatus ohnehin stetige­ren bürokratischen Kontrollen unterliegt als in den USA. Doch auch in der Bundesrepublik wird das Modell von Kontrolle – Abschiebung - illegale Wiedereinreise - Kontrolle nicht zur Reduzie­rung von illegalen Einwanderungen füh­ren. Verständlicherweise liegen über das bisher erreichte Ausmaß an Illegalität keine genauen Zahlen vor. Vermutlich halten sich aber schon heute weit mehr Personen ohne legalen Status in der Bundesrepublik auf als allgemein wahrgenommen wird. Und es ist nicht zu erwarten, daß sich so große Bevölke­rungsgruppen durch Polizei kontrollie­ren und abschieben lassen werden.

Die Frage, was die verantwortlichen Politikerinnen zur Wahl dieses Modells trieb, wäre lohnend. Denn die Naivität dieser Politikerlnnen ist zumindest verwunderlich, da diese Strategie Probleme mit neuen sozialen Minderheiten mit sich bringen wird, auf die diese Gesell­schaft nicht vorbereitet ist Faszinierend ist zudem, daß sich die Bundesregierung mit der jetzt gefundenen Variante in der Migrations- und Flüchtlingspolitik eben nicht an die Diskussionen in der inter­nationalen Flüchtlings- und Migrations­politik anschließt. Zwar geht es auch den internationalen Institutionen nicht mehr in erster Linie um eine Sicherung des Schutzes des einzelnen Verfolgten, Es ist für Expertinnen ganz offensicht­lich, daß mit der Genfer Flüchtlings­konvention und ebenso mit den bisheri­gen Asylverfahren Flüchtlinge nicht wirksam geschützt werden können. An­dere Fragen sind daher in den Vorder­grund gerückt: Erstens die nach den Chancen einer offensiveren Menschenrechtspolitik, die die Sanktionierung von Herkunftsländern einschließt, die Fluchtbewegungen verursachen. Zwei­tens die Frage danach, wie überhaupt Flüchtlingspolitik nach dem Ende des Ost-West- Konflikts zu bestimmen wäre: Es geht darum, wie Schutz für Flüchtlinge geleistet werden kann, da nicht mehr der von einem kommunisti­schen Regime unterdrückte politische Dissident der typische Flüchtling der neunziger Jahre ist, sondern die Bürger­kriegsopfer. Und solche ethnisch oder anders bedingten Konflikte scheinen zu­zunehmen, nachdem sich die alte Ord­nung der bipolaren Welt aufgelöst hat Und drittens: wie kann angesichts des lange erhofften Gewinns an Freizügig­keit Migrationspolitik geleistet werden, ohne daß neue Zuwanderergruppen zu Opfern manifest gewordenen Rassismus werden.

 

Die neue Asylpolitik nimmt auf all diese drängenden Fragen keinen Bezug. Diese Politik wird zwar die erklärten Ziele nicht erreichen, ihre Folgen jedoch schaffen neue Aufgaben für die Men­schenrechtsorganisationen. Vermutlich wäre angesichts dieser Tendenzen eine Streichung des Asylrechts aus der Verfassung weniger schädlich gewesen, wenn damit eine relativ liberale Praxis nach internationalen, von der Bundes­republik de jure anerkannten Normen verbunden worden wäre. Ernst Tugend­ hat hat bereits 1986 eine solche Abschaffung des Asylrechts vorgeschlagen - damals noch in polemischer Absicht.

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