Beitrag für „Peacelab“

Höchste Priorität für Friedenssicherung durch Konfliktprävention

von Otmar Steinbicker

Der folgende Artikel wurde von der SoldatInnen-Initiative „Darmstädter Signal“ als Beitrag für die von der Bundesregierung initiierte Diskussion um „Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung“ verfasst. Koordiniert vom Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin, werden auf einer Internetplattform (http://www.peacelab2016.de/) seit Sommer 2016 verschiedenste Beiträge zur Diskussion veröffentlicht.

Wenn neue Leitlinien strategische Ziele und Prioritäten des deutschen staatlichen Engagements für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung setzen sollen, dann möchten auch wir als aktive und ehemalige SoldatInnen, Mitglieder des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“, uns zu Wort melden. Da wir die Folgen von Kriegen kennen, kommt für uns der Aufgabe der Friedenssicherung höchste Priorität zu.

Angesichts der auch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Pressebeiträgen angesprochenen Unwägbarkeiten in der außen- und sicherheitspolitischen Orientierung der neuen US-Administration schlagen wir eine Debatte über eine außen- und sicherheitspolitische Neuorientierung Deutschlands und Europas vor. Dabei muss es auch um die Frage gehen, in welcher Weise Deutschland seiner Verantwortung für die Erhaltung des Friedens gerecht werden und so zu Deeskalation, Entspannung und einer nachhaltigen Friedensordnung beitragen kann.

Mit großer Sorge betrachten wir insbesondere die Zuspitzung der militärischen Krise an der Grenze zwischen den baltischen Staaten, die der NATO angehören, und Russland, sowie den anhaltenden militärischen und politischen Konflikt in und um die Ukraine.

Krieg in Europa wäre der Untergang der europäischen Zivilisation
Wir wissen: Ein großer, raumgreifender Krieg in Europa würde heute sowohl bei einem atomaren wie auch bei einem konventionellen Krieg zum Untergang der europäischen Zivilisation führen. Diese Aussage war bereits die sicherheitspolitische Grunderkenntnis in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in Ost und West. Damals hatten Militärs auf beiden Seiten erkannt, dass ein Krieg in Zentraleuropa zwischen den beiden Blöcken nicht mehr führbar war, weil es keine Sieger mehr gegeben hätte – und zwar sowohl mit als auch ohne Atomwaffen. Dieser Erkenntnis lag vor allem die enorme Abhängigkeit von Elektroenergie zugrunde, die es in diesem Ausmaß 1945 noch nicht gegeben hatte. Die Stromversorgung war mit den verfügbaren militärischen Mitteln gegenseitig relativ einfach ausschalten.

Die Kriegsuntauglichkeit der europäischen Zivilisation für einen großen, raumgreifenden Krieg hat sich seither noch zugespitzt vor allem durch die deutlich gestiegene Abhängigkeit von Computertechnologie und dem Internet. Die Risiken sind insgesamt vielfältiger und unberechenbarer geworden. Das betrifft insbesondere die sensible Stabilität unserer Stromnetze: Ohne elektrische Energie kein Licht, kein Wasser, keine digitale Kommunikation, keine stabile gesundheitliche Versorgung, kein Bahntransport – letztlich der völlige Zusammenbruch der gesamten Zivilisation in allen von einem solchen Krieg betroffenen Ländern.

Alles zu tun, um Kriege zu verhindern, ist es eine existenzielle Aufgabe
Wir benötigen auf beiden Seiten dringend eine Deeskalation. Dazu gehört neben den militärischen Aspekten auch der Abbau gegenseitiger Feindbilder. Notwendig sind das möglichst frühzeitige gegenseitige Erkennen von Interessen und ein ernsthafter Dialog zum Interessenausgleich.

Die Krise in der und um die Ukraine mit der Annexion der Krim durch Russland im Frühjahr 2014 hat gezeigt, dass weder die NATO noch die EU bereit waren, auf die völkerrechtlich zumindest fragwürdige Angliederung der Krim mit dem realen Einsatz von militärischer Gewalt und ernsthaften wirtschaftlichen Sanktionen zu reagieren. Und auch Russland war bestrebt, die Situation militärisch nicht eskalieren zu lassen. Auch die Bemühungen durch die Abkommen von Minsk, den Konflikt einzudämmen und zu lösen, liegen auf dieser Linie.

Notwendig für einen ernsthaften Dialog zum Interessenausgleich sind dazu geeignete Foren.  In den 1970er Jahren war die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) das entscheidende Forum für einen solchen Interessenausgleich. Das Format einer Konferenz bot dabei wichtige Vorteile, unterschiedlich gelagerte Interessen in unterschiedlichen „Körben“ zu behandeln. Daher sollte angesichts der Komplexität der derzeitigen unterschiedlichen Interessen in Europa darüber nachgedacht werden, ob und in welcher Form ein solches Konferenzformat neu installiert werden kann.

Russland muss Teil einer stabilen europäischen Sicherheitsarchitektur sein
Darüber hinaus benötigen wir dringend eine neue und stabile Sicherheitsarchitektur für Europa unter Einbeziehung Russlands. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte bereits im vergangenen Jahr in der Zeit des deutschen Vorsitzes in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Impulse für die Stärkung dieser Organisation gesetzt und einen Dialog zu neuen Maßnahmen bei der Begrenzung, Kontrolle und Abrüstung von konventionellen Waffen in Europa angeregt. Diese Anregung wurde in Russland konstruktiv aufgenommen. Da die OSZE über die Staaten der EU alle  europäischen Staaten einschließlich der Türkei und Russland, aber auch die USA, Kanada, frühere Teilrepubliken der UdSSR sowie die Mongolei umfasst, ist die OSZE mehr als jedes andere Format für die Schaffung und Aufrechterhaltung einer stabilen europäischen und transatlantischen Sicherheitsarchitektur geeignet.

Angesichts der zunehmenden militärischen Fähigkeiten, die ein weitgehend automatisiertes Handeln in Echtzeit ermöglichen und die Spielräume für bewusste politische Entscheidungen verringern, kommt frühzeitigem, politischen präventivem Handeln eine zunehmende Bedeutung zu, um militärische Eskalationsgefahren von vornherein auszuschließen.

Außen- und Sicherheitspolitik strategisch auf Krisenprävention ausrichten
Notwendig ist darüber hinaus vor allem eine strategische Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik auf Konfliktprävention, um Krisen bereits im Entstehungsprozess zu entschärfen und den militärischen Konfliktaustrag zu verhindern.

Eine solche Neuausrichtung der Politik ist nicht nur auf Europa zu beschränken. Deutschland als Teil des Westens darf andere Weltgegenden nicht länger als Ziel militärischer Interventionen betrachten, sondern muss Staaten mit anderen Kulturen als gleichberechtigte Partner mit eigenständigen Interessen und Werten betrachten.

In der politischen Debatte muss die Aufteilung der politischen Akteure in der Welt in „Gut“  oder „Böse“ – mit teils zweifelhaften Kriterien und nicht selten zweierlei Maß – einem realistischen Blick auf politische und ökonomische Interessen weichen. Auch Deutschland verfolgt Interessen, die von anderen Ländern nicht ohne Grund als für sie schädlich betrachtet werden.

Militärisch Interventionen: Devise "Im Zweifel kein Ersatz"
Bedauerlicherweise hat noch immer keine klare Analyse und Aufarbeitung des Einsatzes in Afghanistan stattgefunden. Als Konsequenz mit Blick auf die Glaubwürdigkeit  Deutschlands sind unklare Mandatssituationen künftig nicht mehr hinnehmbar. „Im Zweifel kein Einsatz" muss die neue Devise sein. Waffenexporte in den Irak oder die Teilnahme am chaotischen Syrieneinsatz schaffen Zerstörungen aber keine Lösungen.

Eine gründliche und schonungslos-kritische Aufarbeitung des Afghanistaneinsatzes unter Mitwirkung auch der Friedensforschung dürfte nicht nur nicht die Fehler der Kriegsführung analysieren, sondern auch die politischen Fehlentscheidungen und die diplomatischen Versäumnisse bei der Konfliktlösung in Afghanistan und der Region.

Nicht erst seit dem Scheitern des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan wissen wir: Politische Konflikte können nur politisch und nicht militärisch gelöst werden. Wenn Deutschland mehr Verantwortung in der Welt wahrnehmen will und muss, dann reicht es nicht allein aus, auf die untaugliche Anwendung militärischer Mittel zu verzichten, dann müssen auch politische und diplomatische Mittel entwickelt werden, um solche politischen Lösungen von Konflikten zu ermöglichen. Auch dazu ist die Mitwirkung der Friedensforschung und der Friedensbewegung unabdingbar.

Der Arbeitskreis Darmstädter Signal versteht sich als das kritische Sprachrohr von ehemaligen und aktiven Offizieren und Unteroffizieren sowie Soldatinnen und Soldaten und zivilen Angehörigen der Bundeswehr. Website: http://www.darmstaedter-signal.de/

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Hintergrund
Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de