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Holen wir die Sterne vom Himmel
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Im Dezember letzten Jahres fand in der Ruhrmetropole Essen die halbjährliche Tagung des europäischen Rates statt. Dieser Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Länder der Europäischen Union sollte der krönende Abschluß der deutschen Ratspräsidentschaft sein. In der Stadt der ehemaligen Nazi-Stahlbarone wurde auch alles getan, um diesem Ereignis einen würdigen Rahmen zu geben. Das Spektakel wurde mit einem Millionenetat gefeiert und auch für die Sicherheit der Politiker war gesorgt. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach in seinem Fazit von einer "historischen Stunde für die Europäische Union".
Die Beratungen ergaben allerdings lediglich politische Absichtserklärungen und unverbindliche Forderungen. Dennoch wird der Essener Gipfel Geschichte schreiben. Es gab lautstarke und inhaltlich fundierte Kritik an der EU, was die Verantwortlichen zu polizeistaatlichen Mitteln greifen ließ. Deutschland praktizierte europareife "Innere Sicherheit" und in Folge eines Demonstrationsverbots kam es zur größten Massenfestnahme in der Nachkriegszeit.
Bei dem Essener Gegengipfel sollte nicht nur diskutiert werden, sondern die inhaltliche Kritik an der Europäischen Integration wollte das breite Bündnis der Veranstalter mit einer politischen Demonstration auf die Straße bringen und öffentlich machen. Ein Anliegen das mittlerweile in diesem Land mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Bereits sehr früh versuchten die Verantwortlichen der Stadt Essen, der NRW -Landesregierung - die im Übrigen von der SPD gestellt wird - und natürlich auch die Bundesregierung alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das grundgesetzlich garantierte Recht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Das äußerte sich in dem Verbot von Veranstaltungen in Essen, der Einflussnahme auf die Universität, damit sie keine Räume vergibt und der Bespitzelung der Vorbereitungstreffen durch politische Polizei und den Verfassungsschutz. Dieser warnte auch bereits im Sommer vor den bevorstehenden Aktionen. "Im gesamten linksextremistischen Spektrum entwickeln sich eine Vielzahl von Aktivitäten aus Protest gegen den bevorstehenden EU-Gipfel in Essen am 9. und 10. Dezember 1994. Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen militanten Autonomen, orthodoxen und anderen Linksextremisten festzustellen". Höhepunkt der Repression war sicherlich das Verbot der Demonstration.
Der Essener Polizeipräsident Dybowski führte in 15 Punkten aus, was ihn bewegte diese Veranstaltung zu verbieten. Dabei bewies er durchaus besondere Qualitäten. Ein Flugblatt mit dem Titel: "Holen wir die Sterne vom Himmel" ließ ihn zu dem Schluss kommen, daß hier zu Gewalttätigkeiten aufgerufen wird. Das Motto der Demonstration "Greifen wir gemeinsam nach den Sternen" veranlasste ihn gar zu der gewagten These, daß hierunter Angriffe auf die Beleuchtung des Essener Weihnachtsmarktes zu verstehen sind. Eine so abstruse Verfügung, der auch die Richter des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts nicht folgen wollten. Um dann doch noch ein Verbot zu erreichen, wurden kurzfristig neue geheime Erkenntnisse des Verfassungsschutzes präsentiert. Es handelte sich dabei um ein Vorbereitungstreffen linker Gruppen, daß von der Polizei observiert wurde. Diese geheimen Erkenntnisse bewegten das Verwaltungsgericht schließlich doch zu einem Verbot der Demonstration. Eine Entscheidung die nach Einschätzung des Anwaltes Peter Lederer einer Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts nicht standhalten wird. "Der Polizeipräsident hat gegenüber den Verwaltungsgerichten den Eindruck erweckt, als habe es sich um konspirative Treffen autonomer Gruppen gehandelt, die er konspirativ beobachtet hat. Tatsächlich handelte es sich aber um offen angekündigte Veranstaltungen, d.h. um solche zu denen jeder Zutritt hatte." Im Vorfeld gab es gemeinsame Absprachen mit allen an der Demonstration beteiligten Gruppen, die den politischen und friedlichen Charakter betont haben. Aber auch die polizeiliche Vermutung eines unfriedlichen Verlaufs einer solchen Demonstration reicht für ein Verbot nicht aus. Dagegen steht die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Brokdorf-Demonstration aus dem Jahre 1985. "Würde unfriedliches Verhalten einzelner für die gesamte Veranstaltung zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, könnte jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer Erkenntnisse über unfriedliche Absichten eines Teils der Teilnehmer beibringen lassen." Die unabhängigen Gerichte beugten sich aber schließlich doch dem Druck des Innenministeriums und entschieden gegen das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es kam zum Verbot der Demonstration am Samstag.
Trotz dieser Entscheidung versammelten sich in der Essener Innenstadt den ganzen Tag über zwischen 3000 und 5000 Menschen um gegen die Auswirkungen der europäischen Integration zu demonstrieren. Es kam immer wieder zu spontanen Demonstrationen an denen bis zu 3000 Menschen teilnahmen. Die Polizei exekutierte mit über 8000 Beamten das gerichtlich bestätigte Demonstrationsverbot. Es kam zu mehreren Einkesselungen von Demonstranten und in deren Folge zu insgesamt 940 Festnahmen. Die Polizei spricht hier im Übrigen nicht von Einkesselung, sondern lieber von Einschließungen, was sich wohl freundlicher anhören soll.
Gegen 779 Menschen wird nun ein Verfahren wegen der Teilnahme an einer verbotenen Versammlung eingeleitet, was lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Der Pressesprecher der Essener Polizei Uwe Klein gab auch bekannt, daß gegen weiter 31 Personen ein Strafverfahren läuft. "Da sind einige Leute die hatten Waffen dabei und das Mitführen von Waffen ist ein Straftatbestand." In einer ersten Presseerklärung nach der Demonstration hatte die Polizei zu dieser Bewaffnung auch tragbare Telefone sogenannte Handys gezählt. Die Eingekesselten wurden nach über zwei Stunden von vermummten Sondereinsatzkommandos abgeführt, wobei sie mit Plastikschnüren gefesselt wurden. Nach dem Transport in die Landespolizeischule erfolgte eine erkennungsdienstliche Behandlung und erst nach zehn Stunden wurden die meisten wieder freigelassen. Im Gegensatz zur offiziellen Lesart gab es eine ganze Reihe von Übergriffen seitens der Polizei, die besonders brutal gegenüber Frauen und Flüchtlingen vorging. Auch dieser unverhältnismäßige Einsatz ist für den Pressesprecher der Essener Polizei kein Problem. "Man muß natürlich auch sagen, daß die Leute ihre Situation selbst verschuldet haben". Selbstkritisch gibt sich Uwe Klein an einem ganz anderen Punkt. "Wir müssen auch im Nachhinein eingestehen, daß es nicht gelungen ist von allen Beteiligten die tatsächlichen Personalien festzustellen. Wir hatten uns im Konzept auf 500 bis 600 Festnahmen eingerichtet". Mittlerweile hat die Polizei die ersten Anhörungsbögen in den Bußgeldverfahren verschickt. Ein Nachweis der Teilnahme an einer verbotenen Versammlung wird auch dadurch erschwert, daß bei der Aktion auch völlig unbeteiligte Personen in die Fänge der Sicherheitskräfte gerieten. Neben Menschen beim Weihnachtseinkauf wurden auch ganze Schulklassen verhaftet.
Etwas hat die Repression und der Polizeieinsatz allerdings bewirkt, nämlich das die kritischen Inhalte von geplanter Demonstration und Gegenkongress kaum beachtet wurden. Der Gegenkongress fand am Sonntag statt und hier beteiligten sich über 500 Menschen an den Diskussionen zu den negativen Auswirkungen der europäischen Integration. In vier Foren wurden die unterschiedlichen Aspekte der Formierung Europas diskutiert. Hier wurde aber auch wieder deutlich, daß es noch starke Defizite in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema gibt. Das Ersetzten alter Forderungen und Phrasen durch Formulierungen mit nahezu identischer Stoßrichtung, wird der neuen Qualität der politischen Entwicklung nicht gerecht und reicht bei weitem nicht aus. Die Formierung Europas hat sich in Konkurrenz zu den USA und Japan zu einer entscheidenden Konstante in der politischen Realität entwickelt. Es beschäftigten sich lediglich zwei Foren mit der neuen politischen Qualität der europäischen Realität. Zu nennen ist hier das Forum zu "Ökoimperialismus und Naturzerstörung", sowie das Forum zu "Neoliberaler Modernisierung und europaweiten Klassenkämpfen". Dieses Forum war auch das einzige, das Referenten aus anderen europäischen Ländern eingeladen hatte. Hier wurde über europaweite Auseinandersetzungen im sozialen Bereich und in der Arbeitswelt diskutiert und über mögliche gemeinsame Perspektiven des Widerstands nachgedacht. Die Gäste aus Spanien und Italien konnten anschaulich deutlich machen, daß Sozialabbau und neoliberale Modernisierung eine europaweite Dimension haben. Allerdings steht auch hier die Diskussion über Gemeinsamkeiten und mögliche Vernetzungen erst am Anfang.
Die Ereignisse rund um den Essener Gipfel haben vieles nachhaltig deutlich gemacht. Grundlegende Kritik ist im gemeinsamen Haus Europa nicht erwünscht und wird mit polizeistaatlichen Mitteln unterdrückt. Die BRD hat zum Abschluß ihrer Präsidentschaft in der EU bewiesen, daß sie auch hier bereit ist eine Schlüsselrolle zu übernehmen. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Demonstration im Nachhinein als nicht rechtmäßig bezeichnet ist der Spielraum für eine radikale Opposition kleiner geworden. Im Gegensatz zum Münchner Kessel und der bayerischen Art a la Max Streibl im Jahr 1992, war die Reaktion der Medien diesmal erstaunlich zurückhaltend und eher auf der Linie von Bundesregierung und Polizeiführung. Das in Folge einer Ordnungswidrigkeit die größte Massenfestnahme in der Geschichte der BRD erfolgt, erscheint in der Öffentlichkeit somit als durchaus angemessen und normal. Sicherlich ein Grund mehr alles zu tun, daß dieses europäische Haus nicht Wirklichkeit wird. Bis dahin sollten wir es weiter mit internationalistischen Linken Frantz Fanon halten und dem was er bereits 1961 zu diesem Thema zu sagen hatte: "Dieses Europa, das niemals aufgehört hat vom Menschen zu reden, niemals aufgehört hat, zu verkünden, es sei nur um den Menschen besorgt: wir wissen heute mit welchen Leiden die Menschheit jeden dieser Siege des europäischen Geistes bezahlt hat (...) Europa hat endgültig ausgespielt, es muß etwas anderes gefunden werden."