Im Deutschlands Gier nach einem ständigen UN-Sitz

von Martin Singe

Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr - nach diesem Motto gieren Schröder, Fischer & Co schon seit längerem nach einem ständigen Platz im Weltsicherheitsrat der UN. Nun scheinen die anstehenden UN-Reformen diese Gier noch einmal zu beschleunigen. Nicht nur hinter den Kulissen wird an Koalitionen von Sitzplatzbegehrenden geschmiedet. Zusammen mit Japan fordert unser Kanzler sogar großkotzig das Vetorecht. Die neudeutsche Großmachtssehnsucht lässt dabei auch menschenrechtlich und friedenspolitisch skandalöse Machenschaften nicht außen vor. So versprach jüngst Schröder bei seinem China-Besuch, sich für die Aufhebung des EU-Waffenembargos einzusetzen, sofern China Deutschland bei seinen Ambitionen auf den ständigen Sitz unterstütze: Tausche Panzer gegen Weltmachtrolle - welch Himmlischer Frieden!

Varianten zur Zusammensetzung eines erneuerten UN-Sicherheitsrates
Die 16 Mitglieder des UN-High-Panel "für Bedrohungen, Herausforderungen und Änderungen" haben jetzt ein umfangreiches Dokument für UN-Reformen vorgelegt, das bis zum UN-Gipfel im September 2005 abschließend beraten werden soll. Für den UN-Sicherheitsrat sind zwei Modelle vorgesehen, die beide nicht die bisherige Macht der fünf alten VETO-Mächte beschneiden. Ebenfalls in beiden Modellen ist eine Erweiterung auf 24 statt bisher 15 Sitzen vorgesehen. Das von der Bundesregierung favorisierte Modell A sieht 6 weitere ständige Sitze (ohne Vetorecht) für Afrika (2), Asien (2), Lateinamerika (1) und Europa (1) und 13 im zweijährigen Turnus zu wählende Mitglieder vor. Modell B will 8 Sitze für je 4 Jahre für die vier genannten Kontinente (jeweils 2; mit Wiederwahlmöglichkeit) und 11 zweijährig wechselnde Sitze. Um Modell A durchzusetzen, das deutlich undemokratischer ist als Modell B - falls man in Kontexten von Staatenbündnissen von Demokratie reden mag -, versucht die Bundesregierung mit den Favoriten Ägypten, Südafrika, Japan, Indien und Brasilien eine Koalition zu schmieden.

Weitere Reformen
Bei Fragen der Gewaltanwendung scheint die Tendenz dahin zu gehen, an der UN-Satzung im Wortlaut festzuhalten, aber neue Interpretationen einzufügen. Mit Verpflichtungen zu militärischem Eingreifen bei Völkermordsituationen (der UN-Sicherheitsrat stellt diese immer auch interessengeleitet fest oder eben nicht) wird die Kriegsschwelle niedriger. Staaten sollen zwar weiterhin kein Recht zu Präventivkriegen besitzen, aber Präemptivkriege gegen die neuen terroristisch-kriegerischen Bedrohungen seien denkbar. Auf "unmittelbare" Gefahren dürften Staaten unabhängig vom Sicherheitsrat in nationaler Entscheidung reagieren. Die Unmittelbarkeit einer Bedrohung ist ein ziemlich dehnbarer, zumindest juristisch nicht eindeutig eingrenzbarer Begriff.

Teilweise werden Formulierungen aus den neuen Sicherheitsstrategien der USA und Europas übernommen. Gewaltanwendung wird von den klassischen Regeln des "gerechten Krieges" abhängig gemacht. Da die USA bereits klar gesagt haben, dass sie sich in Fällen von ihnen selbst wahrgenommener Bedrohungen ggf. nicht an die UN halten wollen, werden diese Neubestimmungen nicht mehr Sicherheit bringen. Vielmehr scheint der Entscheidungsspielraum für die Nationalstaaten in Sachen Krieg eher größer zu werden, da sich Präemptiv- und Präventiv-Kriege immer mehr vermischen und ihre Abgrenzung letztlich sowieso von den einzelnen Staaten vorgenommen werden kann. Das bislang herrschende Völkerrecht in Sachen Gewaltverbot wird so eher tendenziell aufgelöst.

Dass der Begriff "Terrorismus" neu und allgemein definiert wird, ist für in Unterdrückung oder unter Besatzung lebende Menschen und Völker (die für sich zum Teil den Begriff von Befreiungskampf reklamiert haben) nur hilfreich, wenn die Besatzungsregime oder Unterdrückerstaaten ernsthaft von der Staatengemeinschaft unter Druck gesetzt werden, menschengerechte Zustände in ihren Bereichen herzustellen. Dieses Kapitel kann jedoch hier nicht kurz bewertet werden, weil es einer sehr ausführlichen Diskussion bedürfte. Der Schwerpunkt dieses Heftes mag Anregungen dazu geben.

Eine neu einzurichtende "Peacebuilding Commission" soll schwächelnden oder stürzenden Staaten helfen, sowie diese bei deren Wiederaufbau unterstützen. Warum welche Staaten in welchem Interesse "zerfallen", steht auf einem anderen Blatt. Und wie diese nach wessen Interessen wiederaufgebaut werden, ist Sache der Meister in "nation-building", der NATO und der USA. Dass das Ziel der 0,7% BSP Entwicklungshilfe angemahnt wird, ist löblich, aber nicht sehr neu.

Die Friedensbewegung sollte die Reformdiskussion mit aktiven Beiträgen begleiten, weitergehendere Modelle zumindest in die Diskussion bringen und vor allem dem Großmachtsgebelle Deutschlands einen Maulkorb aufsetzen.

 

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Im Blickpunkt
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".