Deutsch-französische militärische Zusammenarbeit

Im Dienste der Militarisierung der Europäischen Union

von Alain Rouy
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Am 16. September 2016 trafen sich die Staats- und RegierungschefInnen in Bratislava (Slowakei) zum ersten Mal ohne britische VertreterInnen und stellten die Frage, wie Europa nach dem Brexit „wiederbelebt“ werden könne. Weit davon entfernt, die Gründe zu analysieren, die eine Mehrheit der BritInnen dazu brachten, die Europäische Union abzulehnen, suchten die RegierungschefInnen unter der Führung von Präsident Macron und Kanzlerin Merkel „in den kommenden Monaten eine Vision einer attraktiven EU, die Vertrauen und Unterstützung schaffen kann, für die BürgerInnen zu entwickeln."

Was ist aus diesem Gipfel der Europäischen Union hervorgegangen? Es ist kaum zu glauben, aber die nach dem Brexit festgelegten Prioritäten waren die Stärkung der Grenzen der EU im Kampf gegen die Migration und die Wiederbelebung dessen, was manche als das „Europa der Verteidigung" bezeichnen. Das heißt, eine verstärkte militärische Zusammenarbeit, die letztendlich zur Schaffung einer „europäischen" Armee führt. In diesem Zusammenhang sollte die deutsch-französische bilaterale militärische Zusammenarbeit, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) der Europäischen Union spielt, neu aufgebaut werden. Präsident Macron wird nicht müde, die Vertiefung und Beschleunigung der europäischen militärischen Zusammenarbeit auf der Grundlage einer doppelten Forderung nach Legitimität und Effizienz zu betonen.

Es gilt zu berücksichtigen, dass der Vertrag von Lissabon von 2009 alle Bestimmungen des Verfassungsvertrags enthielt, die im französischen Referendum von 2005 in Bezug auf die militärische Komponente des Aufbaus der Europäischen Union abgelehnt wurden. In Artikel 42 Absatz 2 des Vertrags heißt es eindeutig: „Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union. Dies wird zu einer gemeinsamen Verteidigung führen, da der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat " Artikel 42 Absatz 3 bestimmt: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Zu diesem Zweck „ermittelt die Europäische Verteidigungsagentur die operativen Bedürfnisse, fördert Maßnahmen zu deren Erfüllung, hilft bei der Ermittlung und gegebenenfalls Umsetzung aller nützlichen Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors, beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Fähigkeits- und Rüstungspolitik und unterstützt den Rat bei der Bewertung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten". Artikel 45 des Vertrages ist der Europäischen Verteidigungsagentur gewidmet und 46 behandelt die „ständige strukturierte Zusammenarbeit“, die oft mit PESCO abgekürzt wird.

Ziel: Eine „echte europäische Armee“
Diese Vertragsbestimmungen sind ein echtes EU-Militarisierung-Programm und sie ermöglichten Macron - ein paar Tage später unterstützt von Kanzlerin Merkel – sich am 6. November 2018 für eine „echte europäische Armee“ auszusprechen.

Darüber hinaus führt Präsident Macron das Kriterium der Effizienz an, um die Vertiefung der deutsch-französischen militärischen Zusammenarbeit zu rechtfertigen. Macron übte Kritik an der Ineffizienz der NATO, sprach im November 2019 sogar von ihrem „Hirntod“, womit er die Notwendigkeit rechtfertigte, die Schaffung einer „europäischen Armee“ zu beschleunigen. Er behauptet, dass eine „echte europäische Armee“ der EU eine Unabhängigkeitsgarantie gegenüber den USA geben würde, wobei er die Realität der tiefen Verbindung zwischen der Europäischen Union und der NATO ignoriert.

Bundeskanzlerin Merkel ist nicht bereit, Macron auf diesem Gebiet zu folgen. Im November 2018 sagte sie bereits über die europäische Armee: "Es ist keine Armee gegen die NATO, ich bitte Sie, es kann eine gute Ergänzung zur NATO sein, niemand möchte die klassischen Beziehungen in Frage stellen". In der Tat erkennt der Vertrag von Lissabon die Vorrangstellung der NATO in Artikel 42 Absatz 7 ausdrücklich an, in dem es heißt, dass „die Organisation des Nordatlantikvertrags für ihre Mitgliedstaaten die Grundlage ihrer kollektiven Verteidigung und die Autorität für ihre Umsetzung" bildet. Außerdem hat Frankreich erklärt, die Beschlüsse des NATO-Gipfels in Newport im Jahr 2014 zu respektieren, das Ziel von 2% des BIP bis 2024 mit mindestens 20% des Budgets für die Anschaffung neuer Geräte zu erreichen. Es ist zu sehen, dass die Militarisierungspolitik der EU trotz der lauten Erklärungen von Emmanuel Macron voll und ganz den Zielen der NATO entspricht und die Sicherheitspolitik der EU den Analysen der NATO in Bezug auf Russland folgt.

Deutsch-französische Gemeinschaftsprojekte
Frankreich und Deutschland definieren und entwickeln gemeinsame Projekte, von denen einige mit einer starken europäischen Dimension das „Europa der Verteidigung" strukturieren. Diese Projekte dienen dazu, die bilaterale Zusammenarbeit zu stärken und die Rüstungsindustrie zusammenzubringen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit erscheint daher sowohl als treibende Kraft als auch als Hauptnutznießer der Politik der Europäischen Union. Ihre Hauptmechanismen sind:

  • die "ständige strukturierte Zusammenarbeit" oder PESCO (Permanent Structured Cooperation), die das Instrument der Aufstockung der Militäretats ist, indem sie die Teilnahme an gemeinsamen Rüstungsprojekten und die Bereitstellung von SoldatInnen für die Schnellen Reaktionskräfte fördert. 23 der 27 EU-Länder sind an dieser militärischen Zusammenarbeit beteiligt.
  • der „Europäische Verteidigungsfonds" zur Unterstützung von Industrie- und Forschungsprojekten im militärischen Bereich. In ihren Vorschlägen für den Haushalt 2021-2027 hat die Europäische Kommission 13 Milliarden Euro für die Finanzierung dieses Fonds vorgesehen, davon 4 Milliarden für die Forschung und 9 Milliarden für die Entwicklung der militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten.

Die wichtigsten deutsch-französischen Programme der militärischen Zusammenarbeit betreffen den schweren Panzer der Zukunft, den Kampfjet der Zukunft, die Modernisierung des Tigerhubschraubers und die Produktion von Drohnen.

  • Das MGCS „Main Ground Combat System“ soll bis 2035 den französischen Leclerc und den deutsche Leopard Panzer in einer vernetzten Umgebung ersetzen. Die Führung liegt bei Deutschland mit dem Industrierüstungskonzern Rheinmetall und mit KNDS als Partner, einem Bündnis zwischen dem französischen Nexter und dem deutschen KMW.
  • Das SCAF-Programm („Luftkampfsystem der Zukunft") soll die französische Rafale und den Eurofighter-Taifun (deutsch und britisch) über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren ablösen. Es geht um in einem globalisierten strategischen Kontext mit noch mehr elektronischer oder Cyber- Kriegsführung. Der Kampfapparat wird künstliche Intelligenz verwenden und mit Drohnen, Radaren und Satelliten verbunden sein, um seine Mission zu erfüllen. Die französische Führung bei Dassault Aviation ist eine Partnerschaft mit Airbus Defence and Space eingegangen.
  • Das "Tiger Standard 3" -Programm zielt darauf ab, das Waffensystem der Tiger über 2040 hinaus zu erhalten, es in zukünftige Kampfsysteme zu integrieren und seine Angriffsfähigkeiten zu modernisieren. Der 1976 geborene Aufklärungs- und Kampfhubschrauber Tiger wurde in Zusammenarbeit mit Deutschland und seit 2004 mit Spanien hergestellt.
  • Das MALE 2020- oder MALE RPAS-Programm (Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Aircraft System) zielt darauf ab, den französischen, deutschen und italienischen Armeen eine mittelhohe und hoch autonome Flugdrohne zur Verfügung zu stellen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Dassault Aviation und Airbus Defence and Space mit dem italienischen Hersteller Leonardo-Finmeccanica.

Die Umsetzung dieser Programme verzögert sich regelmäßig aufgrund verschiedener Schwierigkeiten: Finanzierungsprobleme (die Mittel müssen vom Bundestag genehmigt werden und industrielle Aufteilung zwischen den Herstellern, Unterschiede bei den Waffen, mit denen die neuen Gerätschaften ausgestattet werden sollen sowie unterschiedliche deutsche und französische Regeln und Verfahren für den Waffenexport. Die militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland verdeutlicht jedoch über die Schwierigkeiten hinaus die Meinungsgemeinschaft der Regierungen der beiden Länder, die den gleichen Horizont haben: den der europäischen Macht, die ihr Gewicht in der Welt behaupten will, einer immer weiter militarisierten Europa-Festung, und das in voller Harmonie mit der NATO.

Die PazifistInnen Frankreichs und Deutschlands widersetzen sich unermüdlich der Militarisierung der Europäischen Union und den unaufhörlich steigenden Rüstungsausgaben. Lassen Sie uns gemeinsam auf der Grundlage der Kultur des Friedens Alternativen entwickeln, um Europa eine andere Zukunft zu bieten!

Übersetzung aus dem Französischen: Christine Schweitzer

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Alain Rouy ist Nationaler Sekretär des Mouvement de la Paix in Frankreich, Exekutivsekretär der Internationalen Vereinigung der FriedenspädagogInnen und IAEP-Delegierter bei der UNESCO und Ko-Vorsitzender der französischen Sektion von Teachers for Peace.