Die Politik der EU

Im Nexus: Sicherheit, Migration und Entwicklung

von Martina Fischer
Hintergrund
Hintergrund

Die aktuelle Politik der EU folgt einem umfassenden Trend hin zur „Versicherheitlichung“ ziviler Politikbereiche. Dieser manifestiert sich in einer zunehmenden Vermischung von migrations-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Zielsetzungen und er schlägt sich auch im Umbau der EU-Finanzarchitektur nieder. Finanzierungsinstrumente, die für entwicklungspolitische und zivile Aufgaben eingerichtet wurden, werden für polizeiliche und militärische Aufgaben im Rahmen von Grenzsicherung und Migrationspolitik umfunktioniert. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass das Anliegen der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung immer mehr ins Hintertreffen gerät.

Umwidmung des Instruments der EU für Stabilität und Frieden
Das Instrument für Stabilität und Frieden (IcSP) wurde 2014 für Maßnahmen der Krisenprävention, zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung geschaffen und im siebenjährigen Finanzrahmen 2014-20 mit 2,3 Mrd € ausgestattet; damit wurden 273 Projekte in mehr als 70 Ländern gefördert. Im Sommer 2016 legte die EU-Kommission eine Änderung der Verordnung für das IcSP vor, die es gestattet, daraus auch die Ausbildung und Ausstattung von Armeen in Drittstaaten zu finanzieren. Dieser Vorschlag kam in einer Zeit, in der ohnehin schon 2/3 der flexiblen Mittel des IcSP (60 Mio €) für Migrationsmanagement und Grenzsicherung in der Türkei verplant waren. Es gab dazu kontroverse Diskussionen in den Ausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten und Entwicklung im EP, aber schließlich entschied im Herbst 2017 eine Mehrheit der Abgeordneten, v.a. der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten, dem Vorschlag der Kommission im Wesentlichen zu folgen. Ursprünglich wurde im EU-Kontext sogar diskutiert, die militärische Nutzung des IcSP mit Mitteln aus dem Entwicklungsinstrument zu bewerkstelligen. 100 Mio € sollten aus Reservemitteln der Armutsbekämpfung entnommen werden. Nach Protesten aus kirchlichen Hilfswerken und Nichtregierungsorganisationen (NROs) und kontroversen Debatten im Europäischen Parlament (EP) wurde die erweiterte IcSP-Verordnung zumindest mit der Empfehlung versehen, keine Entwicklungsgelder für diese Zwecke umzuwidmen. (Das hat allerdings keinen rechtsverbindlichen Charakter.)

Gleichwohl bleibt die Öffnung des IcSP für militärische „Ertüchtigung“ höchst problematisch und bildet einen Affront gegen alle, die sich seit Jahren für eine Stärkung der Ansätze der Friedensförderung einsetzten. Es ist absolut unverständlich, dass ausgerechnet das einzige Instrument der EU für zivile Krisenprävention, für das friedensengagierte Abgeordnete des EP lange gekämpft hatten, für militärische Ertüchtigung umfunktioniert wurde. Sicher spielte bei der Entscheidung eine Rolle, dass das IcSP nicht den ODA-Kriterien der OECD unterlag (Kriterien der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit). Die ProtagonistInnen führten immer wieder an, dass zunächst „Sicherheit“ (mit militärischen und/oder polizeilichen Mitteln) hergestellt werden müsse, damit Entwicklungspolitik wirken könne. So wurde die mit dem IcSP vor allem in Nordafrika und der Sahelregion angestrebte Unterstützung von Sicherheitsapparaten wechselweise mit dem Kampf gegen terroristische Gefährdung, Menschen- und Drogenhandel, illegale Migration und Staatszerfall begründet. Diese Argumente sind mehr als fragwürdig. Mit der Erweiterung des IcSP wurde jedenfalls die Tür dafür geöffnet, Sicherheit noch stärker als bisher auf Kosten von Entwicklung und ziviler Krisenprävention zu gestalten und vorrangig militärisch zu definieren. Da Militärhilfe ein teures Unterfangen ist, kann man davon ausgehen, dass die im IcSP aufgeführten zivilen Ansätze für Vorbeugung, friedliche Streitbeilegung und zivilgesellschaftliches Engagement in der Friedensförderung sukzessive an die Wand gedrückt werden. Dieser Trend setzt sich fort, wenn man einen Blick auf die Planungen für den nächsten EU-Haushalt wirft, mit dem nach dem Willen der EU-Kommission ein umfassender Umbau der Finanzarchitektur einhergehen soll.

Neues Instrument für "Nachbarschaftshilfe, Entwicklung und internationale Kooperation" (NDICI)
Im Mai 2018 stellte die Kommission ihre Vorschläge für den nächsten EU-Haushalt nach 2020 vor und präzisierte sie einen Monat später. Der mehrjährige Finanzrahmen 2021-27 soll etwa 1,3 Billionen € umfassen. Darin soll ein neues Außeninstrument (NDICI) geschaffen und mit 89,5 Mrd € ausgestattet werden. Auch der European Development Fund (EDF), der bislang jenseits des Gemeinschaftshaushalts von den Mitgliedstaaten bereitgestellt wurde, soll darin aufgehen. Außerdem sollen damit weitere Instrumente zusammengefasst werden, die im bisherigen mehrjährigen Finanzrahmen (2014-20) als eigenständige Fördertöpfe für internationale Aktivitäten geführt wurden, darunter u.a. das angesprochene IcSP sowie das Instrument for Democracy and Human Rights (EIDHR). Beide Instrumente spielten bisher für die Förderung von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten eine ganz entscheidende Rolle.

Die Vorschläge der Kommission sehen zwar insgesamt für die Finanzierung der Auswärtigen Politik einen Mittelaufwuchs vor. Aber Initiativen für Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung, die im IcSP enthalten waren, sollen finanziell deutlich heruntergefahren werden. Während in den Jahren 2014 bis 2020 2,3 Milliarden Euro dafür bereitgestellt wurden, wird für 2021 bis 2027 nur noch knapp eine Milliarde Euro für einen reduzierten Aufgabenkatalog kalkuliert. In dem Verordnungsentwurf entfallen folglich eine Reihe wichtiger Aufgaben zur Friedenskonsolidierung, z.B. Maßnahmen zur Aufarbeitung von Vergangenheit, zur Reintegration von ehemaligen Kämpfern, zur Resozialisierung von Kindersoldaten, Beseitigung von Landminen, ziviler Kontrolle des Sicherheitssektors, Rüstungskonversion, Unterstützung der Rolle von Frauen, Unterstützung von Zivilgesellschaft in der Friedensförderung und auch zur Unterstützung der Friedensforschung.

Dem Stichwort "Migration" wird in dem neuen Instrument ein hoher Stellenwert beigemessen. Im Artikel 15 wird der "Migrationsdruck" erwähnt, unter dem die Union und ihre Nachbarn stünden. Artikel 17 kündigt an, dass 10% der Mittel für "Nachbarschaftspolitik" an Kriterien geknüpft werden, darunter "cooperation on migration". Außerdem sollen 10% des Gesamtbudgets des NDICI auf "Migration" gerichtet werden. Neben der Migration wird Sicherheit ein zentraler Stellenwert beigemessen, die jedoch weitgehend militärisch verstanden wird. Die Unterstützung von Armeen in Drittstaaten (CBSD) soll ebenfalls über das NDICI finanziert werden. Dem Thema ist ein eigener Abschnitt gewidmet und es wird auch in den thematischen und geografischen Programmen stark  betont.

Europäische Entwicklungspolitik verliert Eigenständigkeit
In dem neuen Instrument NDICI sollen auch der "European Development Fund" und das "Development Cooperation Instrument" aufgehen. Damit wird die Entwicklungspolitik ihre Eigenständigkeit verlieren und sie läuft Gefahr, eher kurzfristigen außen- und sicherheitspolitischen Eigeninteressen der Mitgliedstaaten untergeordnet zu werden. Das Ziel der Armutsbekämpfung und Schaffung von Lebensperspektiven in besonders bedürftigen Regionen kann leicht aus dem Blick geraten, wenn zunehmend Länder bedient werden, die für Migrationsabwehr relevant erscheinen und in der Vorverlagerung der EU-Grenzen auf den afrikanischen Kontinent kooperieren.

Gleichzeitig droht die von der Kommission mit dem Umbau der Finanzarchitektur angestrebte "Flexibilisierung" Intransparenz und Kontrollverlust Tür und Tor zu öffnen. Es zeichnet sich ab, dass am Ende die EU-Kommission allein über die Vergabe von Mitteln entscheidet. Dieser Aspekt beunruhigt auch zahlreiche Abgeordnete des EU-Parlaments, wie die bisherigen Debatten und Berichte des Auswärtigen und entwicklungspolitischen Ausschusses zum „NDICI“ zeigten. Zudem haben einige MEPs erhebliche Vorbehalte angesichts der geplanten Zusammenlegung höchst unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente. Diese Vorbehalte sollten durch Druck der Zivilgesellschaft unterstützt werden. Insofern ist es wichtig, mit den politischen Mandats- und Entscheidungsträgern hierzulande und auf EU-Ebene das Gespräch zu suchen und sie aufzufordern, die Pläne der EU-Kommission zu überdenken.

Politische Forderungen und Alternativen
Konkret muss man die Abgeordneten bitten, sich für folgende Alternativen einzusetzen:

  • Die Fortführung des IcSP und des EIDHR als eigenständige Instrumente, um die Finanzierung der zivilen (und der zivilgesellschaftlichen) Ansätze für die Prävention von Gewaltkonflikten und Friedensförderung und Unterstützung von MenschenrechtsaktivistInnen zu sichern;
  • Die Erhöhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und Erhaltung eines ausschließlich auf Entwicklung (Armutsbekämpfung, Bildung und Gesundheit usw.) zugeschnittenen Finanzierungsinstruments;
  • Die Ausrichtung des Entwicklungsinstruments auf 100%ige Übereinstimmung mit den ODA-Kriterien der OECD bei den Ausgaben und Erfüllung der international akzeptierten Entwicklungseffizienzprinzipien; das Instrument sollte sich vor allem auf weniger entwickelte Länder richten und geografische Ausgewogenheit sicherstellen;
  • Etablierung von Kontrollmechanismen, mit denen sichergestellt wird, dass die Ausgaben für Entwicklungsmaßnahmen tatsächlich durchgängig ODA-kompatibel erfolgen und den Bedürftigen zugutekommen.

Statt immer mehr auf die Versicherheitlichung von Entwicklungspolitik zu setzen und die Neuordnung der Finanzierungssysteme immer stärker an (militärisch definierten) sicherheitspolitischen Maßnahmen auszurichten, sollte sich die EU auf die Kohärenz aller Politikbereiche konzentrieren. Es macht keinen Sinn, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik gegeneinander auszuspielen und zu suggerieren, dass sich aus der Kombination von EZ und Militärkooperation stabile politische Ordnungen und friedliche Strukturen ergeben. Kohärenz meint „Stimmigkeit“ und damit auch eine Durchleuchtung aller Politikbereiche im Hinblick auf eigene Beiträge zum Unfrieden in der Welt. Es geht nicht nur um eine bessere Abstimmung der Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch um die Ausrichtung der EU auf eine faire Handels- und Finanzpolitik, eine Agrar-, Klima- und Umweltpolitik, die wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und natürliche Ressourcen schonen. Kohärenz betrifft also auch die Außenwirtschaftspolitik - und erfordert einen absoluten Verzicht auf Rüstungsexporte in Krisengebiete.

Der Artikel ist ein Auszug aus einem Vortrag, den die Autorin bei der Mitgliederversammlung der Kooperation für den Frieden am 10.11.2018 in Köln gehalten hat.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund