Indonesien

Im Paradies nichts Neues: Der vergessene Kampf der Papua

von Henning Borchers

Wo KulturtouristInnen auf die letzten „Steinzeitvölker“ treffen, wo SporturlauberInnen exklusive Tauchgründe erschließen und NaturfreundInnen den Paradiesvogel in seinem natürlichen Umfeld erleben, befinden sich die indigenen EinwohnerInnen der Westhälfte Neuguineas seit über 50 Jahren in einem stetig schwelenden, beizeiten eskalierenden Konflikt mit der indonesischen Staatsmacht.

 

Neuguinea ist die drittgrößte Insel der Erde und linguistisch sowie kulturell der wohl vielfältigste Ort der Welt. Der Osten der Insel, einst aufgeteilt zwischen dem deutschen Kaiserreich und einem britischem Protektorat, wurde zwischen 1902 und 1918 in australische Verwaltung übergeben und erlangte 1975 als Papua Neuguinea die Unabhängigkeit.

Ehemals Teil der Kolonie Niederländisch-Ostindien, stand der ressourcenreiche Westen Neuguineas nach Indonesiens Unabhängigkeit 1949 weiterhin unter holländischer Verwaltung. Entgegen dem Druck Jakartas befürwortete die Niederlande die Unabhängigkeit von Indonesien.

Zusammen mit der Provinz Aceh im Westen des Archipels sollte Westneuguinea jedoch den Aufbau des unabhängigen Indonesiens maßgeblich mitfinanzieren. So verfolgte Indonesiens Staatsgründer Sukarno auch militärisch das Ziel, die Region Indonesien einzuverleiben. Doch zeichnete sich der Erfolg nach politischen Schlagabtauschen mit der einstigen Kolonialmacht Niederlande zuerst auf der internationalen Bühne ab.

Ein von den Vereinten Nationen in die Wege geleitetes Referendum sah vor, die einheimischen Papua vor die Wahl zwischen Unabhängigkeit und Eingliederung in die Republik Indonesien zu stellen. Tatsächlich aber konnten sich nur ca. 1.000 ausgewählte Papua zur politischen Zukunft Westneuguineas äußern; und dies laut Zeitzeugenberichten unter dem Druck indonesischer Streitkräfte. So wurde das melanesisch geprägte Westneuguinea 1969 als Irian Jaya Teil des malaiisch geprägten Inselarchipels.

Dieser „Act of Free Choice“ gilt heute noch als Wendepunkt in der Geschichte der 2001 zu Papua umbenannten Region und markiert den Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem indonesischen Staat mit seinem auch dank ausländischer Unterstützung gut sortierten Sicherheitsapparat und der sich bereits Anfang der 1960er formierenden, zumeist mit Speeren, Pfeil und Bogen ausgestatteten Operasi Papua Merdeka (Organisation für ein freies Papua).

Für die Streitkräfte ist Papua zudem nach dem „Verlust“ von Ost-Timor 1999 und dem Friedensabkommen mit Aceh, das nach dem verheerenden Tsunami 2004 geschlossen wurde, die einzig verbleibende Region, die dank vielfältiger Ressourcen die Möglichkeit lukrativer Nebeneinkommen gewährleistet.

So beschäftigte das US-amerikanische Unternehmen Freeport-McMoran zum Schutz seiner Operationen im Süden Papuas auch indonesische Sicherheitskräfte. Die Grasbergmine nahe der Stadt Timika ist die größte Gold- und drittgrößte Kupfermine der Welt und seit den 1970ern in Betrieb.

Zudem verfolgte die indonesische Zentralregierung insbesondere während der 1970er und 1980er Jahren die bereits zu Kolonialzeiten als transmigrasi bekannte Umsiedlungspolitik von IndonesierInnen aus verarmten, dichter besiedelten Inseln in die „Außenposten“ des Archipels. Der dadurch initiierte demografische Wandel in einst von ethnischen Minderheiten dominierten Regionen war dabei nicht nur ein Nebenprodukt.

Tatsächlich führte diese Politik dazu, dass in gerade der Zentralregierung nicht wohlgesonnenen Regionen die einheimische Bevölkerung bald in der Minderheit war. So stellen die Papua heute eine sozio-ökonomisch immer stärker marginalisierte Minderheit im indonesischen Westteil der Insel Neuguinea.

Allerdings bedeutet dies auch, dass die Lösung des Konflikts immer schwieriger wird. Obwohl sich neben dem bewaffneten Widerstand in den letzten Jahren auch ein gewaltfreier Arm der Bewegung mit erhöhtem internationalen Profil um eine Revision des „Act of Free Choice“ und eine Abspaltung von Indonesien bemüht, ist für viele MigrantInnen der zweiten oder dritten Generation sowie melanesisch-malaiische Einheimische Papua die einzige Heimat, die sie kennen.

Auch ist nicht allein die Zentralregierung in Jakarta verantwortlich für die Benachteiligung vieler Papuas. Nach dem Ende der Suharto-Diktatur und einer stetig voranschreitenden Dezentralisierung zugunsten der Provinzen hat sich eine einheimische Elite gebildet, die das Land nicht weniger rücksichtslos ausbeutet.

Seit 2009 hat die Zentralregierung merklich den Druck erhöht. War es anfangs nur JournalistInnen verwehrt, die Region zu besuchen, fällt es nun auch internationalen Organisationen schwerer, vor Ort zu arbeiten. Abgeschottet von einer kritischen Öffentlichkeit und vernachlässigt von der internationalen Politik mag sich für die Region so bald keine Verbesserung der Lage andeuten.

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