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Deutsch-französische Pläne für ein Europäisches Korps:
Im Sog der Entwicklung von Krisenreaktionskräften
von
Die Pläne zum Europäischen Korps
In Vorbereitung der Verhandlungen von Maastricht im Dezember 1991 teilten Francois Mitterrand und Helmut Kohl am 14. Oktober 1991 den Regierungschefs der anderen Mitgliedsstaaten der Westeuropäischen Union (WEU) ihre Überlegungen mit zu einem neuen Vertrag über die Zusammenarbeit in der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und zur Bildung einer europäischen Armee. (1)
Dieser Vertrag solle eine gemeinsame Politik schmieden in Fragen der Rüstungskontrolle, Exporte, Beschaffungen, sowie für die Beziehungen zu den USA, dem früheren kommunistischen Block und dem Nahen Osten. Die WEU solle eine Übergangsrolle in der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitk einnehmen, bis die Europäische Gemeinschaft diese Rolle übernehmen könne. Ziel des deutsch-französischen Plans sei die Stärkung der NATO, indes ein europäischer Pfeiler aufgebaut wird. Kohl und Mitterrand kündigten die Bildung eines deutsch-französischen Korps an, woran sich die anderen Länder der WEU beteiligen sollen, damit daraus ein europäisches Korps als Kern einer europäischen Armee entstünde.
Auf dem deutsch-französischen Gipfel von La Rochelle vom 21./22 Mai 1992 wurde das Projekt des deutsch-französischen Korps vorgestellt, mit folgendem Zeitplan:
* Ab 1. Juli 1992 soll in Straßburg ein Vorbereitungsstab die Arbeit aufnehmen (was inzwischen im Oktober 1992 erfolgte).
* Zwischen Juli 1993 und Juni 1994 soll das Hauptquartier in Straßburg eingerichtet werden. Im Oktober 1993 soll der erste kommandierende General ernannt werden.
* Am 1. Oktober 1995 soll das Korps einsatzfähig sein.
Das Korps könne sowohl nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrages (Beistand im Rahmen der NATO im Fall einer Aggression gegen ein Mitgliedsland der NATO oder nach dem Brüsseler Vertrag (Beistandspflicht bei Angriff auf ein Mitgliedsland der WEU eingesetzt werden. Das Korps könne ebenso zu friedenserhaltenden oder friedenstiftenden Missionen eingesetzt werden, wie auch im Rahmen humanitärer Aktionen. Solange sich nur Deutschland und Frankreich am Korps beteiligen, sollen die obersten Führungspositionen zwischen deutschen und französischen Offizieren alternieren.
Dieň Stärke des Korps soll zwischen 30 000 und 40 000 Mann liegen. Es soll die deutsch-französische Brigade enthalten. Die 1. französische Panzerdivision und eine deutsche Division sollen den Hauptteil des Korps bilden:
* Die deutsch-französische Brigade umfasst 4.200 Mann. Ihr Hauptquartier wird von Böblingen nach Müllheim verlegt. Regimentsstandorte sind Donaueschingen und Immendingen.
* Die 1. französische Panzerdivision hat eine Stärke von ca. 10 000 Mann. Sie besitzt ca. 600 gepanzerte Fahrzeuge: 160 AMX-30, 120 AMX-10, 300 Schützenpanzer und 40 Panzerhaubitzen 155 mm. Sie ist in 10 Regimenter gegliedert, die im Saarland und in Rheinland-Pfalz stationiert sind. Eine Verlegung ihres Hauptquartiers von Trier nach Landau ist im Gespräch.
* Auf der deutschen Seite wurde inzwischen die 10. Panzerdivision aus Sigmaringen dem Korps zugeordnet. Diese Division besitzt nach dem Bundeswehrplan 94 zwei Brigaden: Panzerbrigade 12 (Amberg) und Panzergrenadierbrigade 30 (Ellwangen).
Die Initiative zu einem europäischen Korps setzt die deutsch-französische Verteidigungskooperation der 80er Jahre fort. Neben der Zusammenarbeit in der Rüstung (Hubschrauber, Flugkörper, Drohnen) handelt es sich um die folgenden drei Projekte:
* Der Deutsch-Französische Rat für Verteidigung und Sicherheit, der am 24. September 1987 von Francois Mitterrand vorgeschlagen wurde, und der am 1. Dezember 1987 von der französischen Nationalversammlung und vom Deutschen Bundestag in einem Zusatzprotokolle zum Elysée-Vertrag von 1963 ins Leben gerufen wurde. Dagegen stimmten die französischen Kommunisten und die deutschen Grünen. Dem Rat gehören die Staats- und Regierungschefs an, sowie die Außen- und Verteidigungsminister, die Generalstabschefs, sowie der Sekretär des Rates. Am 16. Mai 1989 nahm das Ständige Sekretariat in Paris seine Arbeit auf.
* Die deutsch-französische Brigade, die von Helmut Kohl im Jahr 1987 lanciert wurde und seit dem Jahr 1991 einsatzbereit ist.
* Das Manöver Kecker Spatz (15.-24. September 1987), bei dem zwischen Ulm und Regensburg 55 000 deutsche Soldaten und 20 000 französischen Soldaten der Force d'Action Rapide übten, wie ein Durchbruch der Streitkräfte des Warschauer Paktes durch die Vorneverteidigung der NATO aufgefangen werden könnte.
In der NATO, mit der NATO, oder gegen die NATO?
Im Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 vereinbarten die französische und die deutsche Regierung eine enge Koordinierung und Kooperation in der Verteidigung. In einer Zeit, in der General de Gaulle dabei war, die französischen Streitkräfte dem Oberbefehl der NATO zu entziehen und in der Frankreich seinen verbleibenden Einfluss in der NATO dazu benutzte, die Einführung der Flexible-Response-Strategie zu blockieren, konnten diese Vereinbarungen nur als gegen die NATO gerichtet verstanden werden. In de Gaulles Vision sollte Europa nicht in Machtblöcke gespalten und frei von amerikanischer Dominanz sein.
Daß die sicherheitspolitischen und militärischen Vorkehrungen des Elysée-Vertrages leere Worte bleiben würden, machte die Präambel zum deutschen Ratifizierungsgesetz des Vertrages klar. Darin erklärte der Deutsche Bundestag, die enge Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bestimme seit Jahren die Politik der Bundesrepublik und der Vertrag müsse die Ziele der Verteidigung im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses und die Integration der Streitkräfte der in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Staaten fördern
Ist heute, nach dem Zerfall des Warschauer Paktes und dem weitgehenden Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa, nicht die Zeit reif für de Gaulles europäische Vision? Die Pläne zu einem europäischen Korps als Kern einer zukünftigen europäischen Armee erschienen deshalb vielerorts als Wiederbelebung de Gaullescher Absichten, die deutsch-französische Kooperation in der Verteidigung als Hebel zur Auflösung der NATO zu nutzen. Nachdem die NATO das Absterben des Warschauer Paktes überlebt hat, wird da nicht von Paris aus erneut ein Dolchstoß gegen sie vorbereitet?
Die deutsche Seite betont stets, das Korps stärke die NATO, indem es Frankreich an die NATO binde, die NATO habe zudem das erste Zugriffsrecht auf das Korps und die WEU das zweite. Der französische Premierminister Pierre Bérégovoy sieht das umgekeht "Dieses Korps bezieht sich vornehmlich auf die WEU, aber wird auch unter der operativen Kontrolle der NATO eingesetzt werden können, in Ausübung des Artikels 5 des Vertrages von Washington."(2)
Aus den USA kamen heftige Reaktionen zu den deutsch-französischen Plänen, u.a. vom früheren Verteidigungsminister Caspar Weinberger: "Auf längere Sicht stehen wir allerdings vor der ernsten Frage, ob wir es hier nicht mit einem ersten Schritt zu tun haben, der die USA von Europa abkoppeln soll."(3)
Auch deutschen Kommentatoren schwante Böses. Theo Sommer schrieb in der ZEIT: "Frankreich strebt letztlich eine europäische Verteidigungsstruktur an, der die Nordamerikaner nicht angehören. Über das deutsch-französische Korps robbt es sich dabei verstohlen an die integrierte Nato-Organisation heran und umschlingt zugleich das größer gewordene Deutschland, dessen Übergewicht es fürchtet, mit einer weiteren Fessel".(4)
Man soll sich aber über Frankreichs atlantische Beziehungen nicht täuschen. Die Franzosen sind sehr wohl an einer amerikanischen militärischen Rückversicherung interessiert, gerade gegenüber Deutschland, und die NATO ist das Instrument dieser Rückversicherung. Frankreich wünscht deshalb keineswegs, sondern befürchtet vielmehr den vollständigen Rückzug der amerikanischen Truppen aus Europa.
Nun wurde am 21. Januar 1993, gleichsam zum 30. Jahrestag des Elysée-Vertrages, im NATO-Hauptquartier in Brüssel vom deutschen und französischen Generalstabschef mit dem Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, John Shalishvili, vereinbart, das geplante europäische Korps im Falle eines Einsatzes in Europa dem NATO-Befehl zu unterstellen. Ist damit der Geist des Generals wieder in seine Flasche zurückverwiesen worden oder ist vielmehr der Spaltpilz nun in die NATO hineingepflanzt worden Oder hat sich schließlich der Grundsatz aus der deutschen Präambel zum Elysée-Vertrag, daß die atlantische militärische Kooperation Vorrang gegenüber einer rein europäischen militärischen Integration hat, auch in Frankreich durchgesetzt?
Im Sog der Entwicklung von Krisenreaktionskräften
Frankreich besitzt Erfahrung bei der Aufstellung und im Einsatz von Eingreiftruppen. Französische Truppen waren in den vergangenen Jahren im Tschad, in Kuweit und in Gabun eingesetzt. Heute stehen französische Soldaten in Ruanda und ein Kontingent war unlängst in Zaire zur Evakuierung der Europäer aus Kinshasa. In Afrika hat Frankreich mit acht Ländern Verteidigungsabkommen geschlossen und mit 23 Ländern Abkommen über militärtechnische Hilfe. Francois Mitterrand bot im Januar 1993 der UNO an, ihr ständig 1000 Soldaten für friedenserhaltende Missionen zur Verfügung zu stellen.
An diese Erfahrungen will sich die Bundeswehr offenbar anhängen, denn weltweites politisches und militärisches Krisen- und Konfliktmanagement soll nach dem im Januar veröffentlichten Bundeswehrplan 94 eindeutig im Vordergrund militärischer Planung und Beschaffung stehen. General Naumann fürchtet bereits den Verfall des deutschen Einflusses in der NATO, falls die Bundeswehr weiterhin bei weltweiten Kriseneinsätzen nicht zur Verfügung stehe, und der Bundesverteidigungsminister macht klar, daß es nach seiner Auffassung nicht bei Blauhelmeinsätzen bleiben kann: "Politisches Verantwortungsbewusstsein und Wille zum gleichen Risiko: Das endet nicht mit friedenserhaltenden Einsätzen." (5)
Das europäische Korps ist folgerichtig im Bundeswehrplan 94 als Teil der Krisenreaktionskräfte des Heeres ausgewiesen. Auch von der französischen Seite besteht diese Absicht. Francois Mitterrand äußerte im Frühjahr 1992, wenn das Korps bereits bestünde und wenn die deutsche Verfassung dies zuließe, wäre wahrscheinlich sein Einsatz im jugoslawischen Krieg erörtert worden.(6)
Ein Resultat dieser Entwicklung ist, daß Süd-West-Deutschland zu einer zentralen Region für weltweit operierende Verbände ausgebaut wird, denn außer dem deutsch-französischen Korps liegen im Viereck von Straßburg, Stuttgart, Frankfurt und Trier noch:
* Das Hauptquartier der französischen Armee in Sraßburg.
* Die Kommandozentralen der amerikanischen Land- und Luftstreit kräfte in Europa, samt Truppen und vorstationierter Waffen und Ausrüstung: USEUCOM in Stuttgart, USAREUR in Heidelberg, USAFE in Ramstein.
* Die Rhein-Main Air Base in Frankfurt als Drehscheibe für amerikanische Einsätze in Süd-Ost-Europa und im Nahen Osten.
* Der deutsche Anteil an der luftbeweglichen Allied Mobile Force die Luftlandebrigade in Saarlouis.
* Die Luftlandebrigade in Calw, die vorrangig für humanitäre Einsätze und für Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen ausgerüstet werden soll.