Neustart der Beziehungen mit Russland

Initiativen für eine neue Entspannungspolitik

von Wiltrud Rösch-Metzler

Spätestens seit dem Konflikt in und um die Ukraine ist zu erkennen, was es bedeutet, dass zwar vor 25 Jahren der Kalte Krieg beendet wurde, „das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas“ jedoch nicht wirklich beendet wurde, wie es 1990 die „Charta von Paris für ein neues Europa“ vorgesehen hatte, sondern das Ringen um Kooperation und Frieden in Europa weiter geht. Mehrere Initiativen und Einzelpersonen aus dem Kreis der SPD, der Grünen, der Linken, aus EKD, der Industrie und Friedensbewegung treten deshalb für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik unter Einbeziehung Russlands ein. 

In seinem vielbeachteten Interview in der Bildzeitung im Januar 2016 hat der russische Präsident Vladimir Putin zum ersten Mal aus Gesprächsprotokollen Egon Bahrs mit russischen Diplomaten zitiert. Bahr sagte demnach am 26. Juni 1990: „Wenn wir bei der Vereinigung von Deutschland nicht die entscheidenden Schritte zur Überwindung der Spaltung Europas und der feindseligen Blöcke machen, wird die Entwicklung einen sehr ungünstigen Verlauf nehmen, sie wird die UdSSR zur internationalen Isolation verdammen.“ Bahr habe vor einer Ausweitung der NATO gewarnt und angemahnt, dass etwas Gemeinsames entstehen müsse. Putin sagte: „Er sprach von der Notwendigkeit, eine neue Allianz im Zentrum Europas zu schaffen. Europa sollte nicht in die NATO gehen, sondern unter Beteiligung Ostdeutschlands – oder ohne – eine separate Partnerschaft unter Beteiligung der USA und der Sowjetunion bilden.

Die Sowjetunion zerbrach. Die danach 1991 gegründete Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) mit Russland, Weißrussland (Belarus), Ukraine, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Republik Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Georgien blieb ein eher loser Zusammenschluss, aus dem sich nach und nach Staaten verabschiedet haben. Statt eines engen politischen Zusammenschlusses unter Führung Russlands wurden vor allem bilaterale Verträge geschlossen. Russland hat andererseits in den letzten Jahren verstärkt begonnen, im Rahmen der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China  und Südafrika) zumindest wirtschaftlich einen Gegenpol zur einzigen aus dem Kalten Krieg übrig gebliebenen Supermacht USA zu bilden. Angesichts der politischen Schwäche Brasiliens und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in China und Russland, ist diese Kontinente verbindende Zusammenarbeit derzeit eingeschränkt.

Russland hat nicht nur den Kalten Krieg verloren. In den darauf folgenden Jahren wurden seine Einwände und Interessen meist beiseite geschoben. Ostdeutschland und weitere Länder Europas gingen in die NATO. Polen und die baltischen Länder suchen dort ihre Sicherheit, und auch die Ukraine und Georgien würden gerne dazukommen. Am 2.12.2015 hat die NATO offiziell Montenegro eingeladen, sich dem Militärpakt anzuschließen.  Zu dieser von Russland scharf kritisierten NATO-Osterweiterung kommt noch der neue NATO-Raketenschirm hinzu, der angeblich dem Schutz vor iranischen Atomraketen gilt. Obwohl sich der Iran verpflichtet hat, keine Atomraketen zu bauen, hält die NATO an den Stützpunkten z.B. in Rumänien und in Polen fest. Auch die von den baltischen Ländern und Polen gewünschte NATO-Speerspitze gegen eine Bedrohung durch Russland ist mittlerweile eingerichtet, Manöver dazu haben stattgefunden (mit russischen Militärbeobachtern). Zum ersten Mal hat NATO-Generalsekretär Stoltenberg eine permanente Stationierung von NATO-Truppen in den baltischen Ländern, was der NATO-Russland- Pakt verbietet, nicht mehr ausgeschlossen. Die Liste der westlichen Fehler lässt sich noch verlängern.

Auf der Liste des Westens sind die russischen Vergehen notiert, die Annexion der Krim, die Beteiligung an der Kriegsführung in der Ostukraine oder die Unterstützung für Assad. Um die Bewertung der russischen Politik und der Politik des Westens gegenüber Russland ist ein heftiger Streit entbrannt. Bei den Grünen beispielsweise haben sich Partei und Bundestagsfraktion im Ukrainekonflikt für die Maidan-Bewegung und die Kiewer Übergangsregierung engagiert. Uli Cremer, ehemaliger Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei Bündnis90/Die Grünen und Mitinitiator der 2007 gegründeten Grünen Friedensinitiative kritisiert seine Partei: „Die westliche Sanktionspolitik gegen Russland wurde nicht nur mitgetragen, sondern prominente GRÜNE Abgeordnete gehörten in Deutschland zu den EinpeitscherInnen. Als im Dezember 2014 der Appell „Wieder Krieg in Europa? – Nicht in unserem Namen“ veröffentlicht wurde, kritisierten führende GRÜNE die UnterzeichnerInnen heftig. Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN EU-Parlamentsfraktion, Rebecca Harms, schloss sich sogar dem Gegenaufruf „Friedenssicherung statt Expansionsbelohnung“ an.“

Kritische Stimmen erreichten nach Einschätzung von Uli Cremer bislang nur knapp 10% der Grünen, aber der Unmut sei so groß, dass sich im Frühjahr 2015 ein Petra-Kelly-Kreis gegründet hat, der an die friedenspolitischen Wurzeln der GRÜNEN anknüpfen will. Cremer geht es um das gemeinsame Haus Europa, das bislang kein echtes gemeinsames Haus sei. „Vielmehr betrachtete sich die westliche Seite als Eigentümer und Bauherr des Hauses, der selbstverständlich auch die Hausordnung formulierte und auf ihre Einhaltung zu achten hatte. Russland durfte in dieses Haus als Mieter einziehen. Russische Gestaltungswünsche wurden ignoriert, und spätestens die Eingliederung der Krim wurde als Verstoß gegen die Hausordnung erachtet, die quasi die Kündigung des Mietverhältnisses in Form der Sanktionspolitik nach sich zog, so dass sich Russland nun nach einer neuen Bleibe weiter östlich umsieht.“

Cremer blickt auf 1990 zurück, wo Polen, die damalige CSSR und Ungarn nicht nur die Warschauer Vertragsorganisation (WVO), sondern auch den anderen Militärblock auflösen wollten. Dem ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel schwebte im April 1990 eine Art Auflösungsagentur für die Paktsysteme vor. Eingerichtet werden sollte eine Sicherheitskommission mit Sitz in Prag, bestehend aus allen KSZE-Mitgliedsstaaten. Unterstützt wurde diese Idee von der Sowjetunion und Frankreich, das ja auch damals der Militärorganisation der NATO nicht angehörte. Jetzt endlich ein wirklich „Gemeinsames Europäisches Haus“ zu bauen, dessen Hausordnung  gemeinsam ausgearbeitet wird und bei dem Russland im gleichen Stockwerk wohnt, sei nun an der Zeit.

Die Erklärung „Zum bedrohten Frieden – für einen neuen europäischen Umgang mit der Ukraine Krise“ des Willy Brandt Kreises vom 21. Juli 2015 von Egon Bahr, Walther Stützle, Antje Vollmer u.a. will, dass ein Neustart der Beziehungen mit Russland gewagt wird. Die ukrainische Krise sei Ausdruck eines heraufziehenden russisch-euroatlantischen Großkonflikts, der in eine Katastrophe münden kann, wenn die sich bereits drehende Spirale des Wettrüstens, der militärischen Provokationen und konfrontativen Rhetorik nicht gestoppt wird, warnen die VerfasserInnen. Sie appellieren vor allem an die SPD, eine mutige politische Initiative zu ergreifen, „vergleichbar jener, die nach Mauerbau und Kubakrise in der Hochzeit des Kalten Krieges den Ausbruch aus der Logik der Konfrontation mit der Sowjetunion wagte. Damals war es in Europa allen voran die deutsche Sozialdemokratie, die mit der neuen Ostpolitik Willy Brandts einer europäischen Entspannungspolitik den Weg ebnete. 2015 bedarf es ebensolchen Mutes und politischer Klugheit, um der drohenden Spirale neuerlicher Konfrontation und Spaltung Europas zu begegnen.“

Die VerfasserInnen fordern, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. „Die wirtschaftlichen Sank- tionen unterminieren die Entwicklung Europas als gemeinsamer Wirtschaftsraum.“  Der deutsche OSZE-Vorsitz soll genutzt werden, um das Minsk-2-Abkommen umzusetzen und gestörtes Vertrauen zurückzugewinnen.  Weil auch die USA als wichtigster Partner der neuen ukrainischen Regierung eine hohe Verantwortung für die Lösung der Krise haben, sind alle Gremien wichtig, die Russland und die USA zusammenbringen. Die G7 müsse Russland sofort wieder einbeziehen, der NATO-Russland Rat müsse seine Arbeit schnellstmöglich wieder aufnehmen.

Daran ändere auch die Einverleibung der Krim durch Russland nichts. Sie sei ein Verstoß gegen internationale Abkommen und zugleich eine politische Realität, die nicht gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung der Krim rückgängig gemacht werden kann. Eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO würde kein Mehr an Sicherheit bringen, sondern im Gegenteil russische Befürchtungen über die Ziele der NATO weiter befeuern und die Risiken ungewollter militärischer Konfrontation noch erhöhen. Wettrüsten, die Verlagerung von militärischen Ausrüstungen und neue Truppenstationierungen beiderseits der russischen Grenze legen die Axt an das bestehende System von Abrüstungsverträgen. Die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise erneut aufgebrochenen Drohungen mit dem Einsatz von Atom-Waffen seien alarmierend. Es drohe eine Neuauflage der „Nachrüstung“ der 1980er Jahre mit atomaren Mittelstreckenraketen in Europa.

Russland darf nicht zum Feind gemacht werden“, erklärt eine Initiative innerhalb der EKD für eine neue Ostdenkschrift. Elisabeth und Konrad Raiser, Almuth Berger und Heino Falcke wollen mit Hilfe der Denkschrift die EU ermutigen, „sich als zivile Friedensmacht zu bewähren.“

Aus dem Februar 2015 stammt die von Andreas Buro, Ulrich Frey und Wolfgang Biermann initiierte die Unterschriftensammlung Berliner Appell „Die Spirale der Gewalt beenden – für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik!“, in der die beiderseitige Deeskalation gefordert wird. Ein Sicherheitskonzept im Sinne der Charta von Paris für ein neues Europa soll erarbeitet werden.

Ein Gespräch all dieser Initiativen kam im Herbst letzten Jahres in Berlin zustande. Sie verabschiedete eine Gemeinsame Erklärung über die Ergebnisse des Treffens unter dem Titel „Für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik JETZT! Die Diskussion wird weitergeführt auf der Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden am Freitag, 19. Februar in Leipzig.

 

Die erwähnte Erklärung kann hier heruntergeladen werden: http://www.paxchristi.de/meldungen/view/5770259873136640/F%C3%BCr%20eine%20neue%20Friedens-%20und%20Entspannungspolitik%20JETZT! Sie soll demnächst zusammen mit weiteren Texten auf eine neue Website eingestellt werden, in der Texte zur neuen Entspannungspolitik gesammelt werden sollen:  www.neue-entspannungspolitik.berlin 

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Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.