Die Friedensbewegung trotz der Corona-Krise

Innovative Ostermärsche 2020 für Frieden und Abrüstung

von Philipp Ingenleuf
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Ostermärsche 2020 fanden statt, nur eben nicht in ihrer gewohnten Form. Statt auf der Straße, verschob sich der diesjährige Protest aufgrund der Corona-Krise hauptsächlich ins Virtuelle und in die eigenen vier Wände. Als großer Erfolg kann gewertet werden, dass sich die Ostermärsche im 60. Jahr ihres Bestehens in Deutschland noch einmal neu erfinden konnten.

Zentrale Forderungen waren bei den Ostermärschen 2020 Abrüstung und eine atomwaffenfreie Welt, aber auch die Beendigung der katastrophalen humanitären Situation an der EU-Außengrenze. Insbesondere die Forderung „Gesundheit statt Rüstung“ wurde bei den diesjährigen Ostermärschen vielfach von Aktivist*innen aufgegriffen.

Innovationsschub für Ostermärsche
Die Corona-bedingten Einschränkungen beim Versammlungsrecht haben in diesem Jahr zu einem Innovationsschub bei den Ostermärschen geführt. Statt die Ostermärsche ausfallen zu lassen, wurden alternative Aktionsformen geschaffen, an denen sich Aktive von zu Hause aus oder virtuell beteiligen konnten.

Über die Ostertage dekorierten zahlreiche Friedensbewegte ihre Fenster und Balkone mit Bannern sowie Friedensfahnen und verbreiteten Fotos davon unter dem Hashtag #Ostermarsch2020 in den Sozialen Medien. Die verschiedenen Online-Angebote wurden tausendfach genutzt. So füllten Friedensbewegte auf der Aktionswebseite www.ostermarsch.de ein virtuelles Peacezeichen aus. Über 2.000 Fotos wurden hochgeladen und ergaben am Ende ein imposantes Bild. Außerdem organisierten verschiedene Friedensorganisationen am Ostersamstag per Youtube-Stream den ersten rein virtuellen Ostermarsch in der Geschichte der Friedensbewegung.

Aber auch in der realen Welt gab es viele Aktivitäten: Neben geschmückten Häusern mit Friedensfahnen trugen viele Menschen bei ihren Osterspaziergängen Friedenssymbole, und in Baden-Württemberg flog am Ostersamstag sogar ein Flugzeug mit einem Banner und der Forderung „Abrüstung jetzt“ zwischen Schwäbisch Hall, Stuttgart und Tübingen. Besonders erfreulich war, dass in einzelnen Städten wie Gronau, Jagel oder Schwerin Ostermarschaktionen im öffentlichen Raum stattfinden konnten, natürlich unter Einhaltung der behördlichen Auflagen.

Schwere Zeiten für Soziale Bewegungen oder Krise als Chance?
Die Corona-Pandemie wird sehr wahrscheinlich zu einem Paradigmenwechsel führen, wie es ihn zuletzt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab. Die Corona-Krise wird neue Diskurse erzeugen, aber auch alte Diskurse verstärken. Dazu zählt z.B. die Frage, ob wir für ein sicheres Leben nicht vorrangig zivile Maßnahmen brauchen, wie beispielsweise ein gut funktionierendes und gut ausgestattetes Gesundheitssystem, statt immer mehr Geld in  Rüstung und Militär zu stecken. Themen werden in der Öffentlichkeit nun verstärkt Anklang finden, und es ist jetzt an der Friedensbewegung, dieses Thema auf die Agenda zu bringen.

Die Krise ist aber nicht nur thematisch eine Chance für die Friedensbewegung, sondern auch strukturell. In den vergangenen Wochen mussten Organisationen, Gruppen und Kampagnen ihre digitale Kommunikation und Aktionsformen der neuen Situation gezwungenermaßen anpassen: Treffen waren nicht mehr möglich; die kostenfreien Anbieter für Telefonkonferenzen waren aufgrund von Überlastung teils nicht mehr erreichbar; und plötzlich fanden sich hauptamtlich Angestellte sowie ehrenamtliche Aktivist*innen dauerhaft im Homeoffice wieder. Dies erzeugte einen Lernprozess, der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Aber schon jetzt ist festzuhalten, dass die neuen Angebote dabei sind, sich zu etablieren, und Hürden sowie Hemmnisse abgebaut werden. Zuverlässige, wenn auch kostenpflichte Anbieter für Telefonkonferenzen waren schnell gefunden; Videokonferenzen ersetzen nun Treffen; und die Ostermärsche haben gezeigt, dass auch im „Homeoffice“ Ostermärsche organisiert und durchgeführt werden können, wenn auch mit erheblichen Einschränkungen.

Doch die Corona-Krise führt natürlich auch zu vielen Unsicherheiten und Fragen innerhalb der unterschiedlichen sozialen Bewegungen: Wann sind wieder Veranstaltungen und Aktionen im öffentlichen Raum möglich? Wie können soziale Bewegung Druck auf die Politik erzeugen, wenn der Protest auf der Straße nicht stattfinden kann? Wie wirkt sich die Einschränkung von Grundrechten langfristig auf politisches Engagement und Bürgerrechte aus? Wie wird sich der wirtschaftliche Abschwung auf die Spendenbereitschaft auswirken, und was bedeutet dies für die Finanzierung politischer Arbeit?

Es wird sich in den kommenden Monaten zeigen, welche weiteren Auswirkungen die Corona-Krise auf die Aktivitäten und Anliegen der Friedensbewegung haben wird. Mit Blick auf die Ostermärsche kann aber festgehalten werden, dass die Friedensbewegung wieder einmal gezeigt hat, wie kreativ und flexibel sie sein kann und dass in jeder Krise auch eine Chance steckt.

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Geschäftsführer und Kampagnenkoordinator beim Netzwerk Friedenskooperative sowie Co-Sprecher der Kooperation für den Frieden.