Internationale Polizei anstelle nationaler Armeen

Internationale Polizei: Keine Kampftruppe

von Theodor Ziegler
Schwerpunkt
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Vor zwei Jahren stellte ich an gleicher Stelle die Intention für die konzeptionelle Entwicklung einer Internationalen Polizei (IP) vor. Während viele andere Details einer zivilen Sicherheitspolitik wie beispielsweise Fairer Handel, Zivile Konfliktbearbeitung, Soziale Verteidigung schon seit Jahrzehnten von Fachorganisationen entwickelt und praktiziert werden, ist das Instrument einer IP ein immer wieder zu vernehmender Wunschgedanke geblieben.

Seit zwei Jahren arbeitet nun eine Fachgruppe der bundesweiten Initiative Sicherheit neu denken (SND) in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Baden daran, Zielperspektiven und Realisierungswege für eine IP zu entwickeln. Die anspruchsvolle Zielvorstellung ist nach wie vor, mit einem auf die internationale Ebene transferierten Konzept rechtsstaatlicher Polizei die nationalen Armeen und militärischen Bündnisse zu erübrigen. Um vorneweg drei Missverständnisse auszuräumen:

  • Diese IP kann und soll nicht die vorrangige Zivile Konfliktbearbeitung und eine an den Konfliktursachen ansetzende Friedensarbeit ersetzen.
  • Eine IP kann und soll nicht gegen Armeen kämpfen.
  • UN-Blauhelme sind keine IP, sondern nationale Militärkontingente, die im Auftrag der UNO im Einvernehmen der Konfliktparteien politisch vereinbarte Waffenstillstände absichern und kontrollieren.

Was es inzwischen gibt, sind international mandatierte Polizeimissionen, zum Beispiel durch die UNO, OSZE oder EU, die von internationalen Polizeikräften in einjährigen, bei Leitungsfunktionen auch vierjährigen Entsendungen ausgeführt werden. Hierbei handelt es sich überwiegend um Ausbildungs- und Beratungstätigkeiten. Um die damit verbundenen Erfahrungen näher kennenzulernen, führte unsere Fachgruppe ausführliche Gespräche mit betreffenden Polizeikräften. Ebenso wurden die eindrücklichen Erfahrungen von NGO-MitarbeiterInnen in Konfliktregionen mit Zivilem Peacekeeping durch Schutzbegleitung und durch Beteiligung am Peacebuilding lokaler Organisationen als bedeutend für die Schaffung humaner Sicherheit kennengelernt. Eine Akademietagung im September 2021 in Bad Herrenalb ermöglichte den Austausch mit der Fachöffentlichkeit. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in dem Papier „Zielperspektive Internationale Polizei und Realisierungsaspekte“ festgehalten. (1). Einige Punkte daraus seien hier zusammengefasst:

  1. Der Aufbau kooperativer Sicherheitssysteme erfolgt in Abstimmung mit den Vereinten Nationen und den beteiligten Nationalstaaten auf weltregionaler Ebene, entsprechend kultureller und historischer Zusammenhänge, z.B. der südlich der Sahara gelegene Teil Afrikas, die arabische Welt in Nordafrika und Westasien, Lateinamerika. Für die Sicherheit des Internationalen See- und Luftverkehrs, der globalen Kommunikation sowie der angeforderten Verstärkung weltregionaler IP ist auch bei der UNO eine IP zu bilden.
  2. Aus allen Mitgliedsstaaten einer demokratischen Kooperations- bzw. Sicherheitsorganisation (in Europa beispielsweise auf OSZE-Ebene) wird für den Binnenbereich eine gemeinsame Polizei gebildet, proportional rekrutiert und finanziert. Hierzu bedarf es eines gemeinsamen rechtlichen Rahmens inklusive Justiz- und Kontrollinstanzen.
  3. Mögliche Einsatzfelder sind fragile Staaten/Regionen, die überfordert sind mit internen Menschenrechtsverletzungen und Gewaltkonflikten aber auch mit internationalen Problemen wie Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Piraterie, Menschenhandel, Umweltverbrechen und Ausbeutungsstrukturen. Die IP-Präsenz ist nur auf Einladung oder mit Billigung der dort herrschenden Mächte möglich.
  4. Mögliche Aufgaben in Konfliktgebieten sind beispielsweise die Kontaktaufnahme und der Beziehungsaufbau zu den Konfliktparteien, die Überwachung von Waffenstillstands- und Abrüstungsvereinbarungen, der Schutz Geflüchteter in Lagern, die Sicherung von Wahlbeobachter*innen, der Waffenrückkauf in Bürgerkriegsländern, Ausbildungsprogramme zur rechtsstaatlichen Standardisierung nationaler Polizeien. Die IP agiert immer in Abstimmung bzw. Kooperation mit (möglichst lokalen) Friedensfachkräften. Prioritär ist die local ownership.
  5. Die personelle Zusammensetzung erfolgt aus allen Ethnien und Religionen der betreffenden Weltregion. Große Bedeutung bei Auswahl und Ausbildung kommt den Fähigkeiten bezüglich Sprachen, Kultursensibilität, Deeskalationsfähigkeit, Do-not-harm-Konzept, Mediation und Verhalten in Bedrohungssituationen zu. Es sind mehrjährige Einsatzzeiten und damit auch familienfreundliche Rahmenbedingungen vorzusehen. Nach der Rückkehr darf die Zeit im Ausland nicht von Nachteil für die weitere Karriere in der heimischen Polizei sein.
  6. Die Bewaffnung ist ausschließlich zur persönlichen Notwehr und -hilfe mit nichtletalen Waffen und mit Pistolen.
  7. Die Realisierung einer IP ist angesichts der globalen Hegemonialstrukturen nur auf dem Weg von unten nach oben denkbar. Willige Staaten (-bündnisse) treffen in ihrem Bereich Vereinbarungen für den Aufbau einer IP und damit korrespondierenden Abrüstungsschritten. Sie integrieren die IP in ihre nationalen Außenpolitiken.
    Der Anfang könnte auch in einem Teil einer Weltregion erfolgen wie beispielsweise in Mittelamerika bei den Anrainerstaaten des seit über sieben Jahrzehnten entmilitarisierten Costa Ricas.
  8. Die Weiterentwicklung des IP-Konzeptes kann Militärbefürworter*innen mit Pazifist*innen zusammenführen – die einen mit dem Interesse, Militäreinsätze möglichst weit hinauszuschieben und die anderen, weil sie Militär grundsätzlich ausschließen. Dies ist nach der Akademietagung erfolgt: Die ursprünglich vierköpfige Fachgruppe hat sich verdreifacht mit Mitwirkenden auch aus Polizei und Militärseelsorge.

Schlussbemerkung: Auch wenn der Ukrainekrieg und die damit in Deutschland einhergehende massive Aufrüstung und Militarisierung in der öffentlichen Meinung die Möglichkeit einer IP weit in die Zukunft verdrängen könnten, bedürfen der dringend notwendige Waffenstillstand und eine künftige Friedensregelung der Organisation und Kontrolle. Eine von der OSZE aus allen Mitgliedsstaaten ad hoc gebildete IP könnte dies leisten und Ausgangspunkt der oben beschriebenen IP werden. Dazu bedarf es einer finanziellen und personellen Aufwertung der OSZE. Bislang stehen diesem weltweit umfassendsten System kollektiver Sicherheit für die Administration jährlich lediglich 138 Mio. Euro zur Verfügung, während es beim partikularen, nach außen gerichteten Militärbündnis Nato 1,8 Mrd. Euro sind.

Anmerkung
1 https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/258231/2021111...

Dr. phil. Theodor Ziegler, Baiersbronn, vertritt das badische Forum Friedensethik im Koordinationskreis der Initiative Sicherheit neu denken und leitet deren Fachgruppe Internationale Polizei.

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Theodor Ziegler, M.A. ist Religionslehrer im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald und Mitinitiator der Eingabe an die Landessynode.