Internationale Sommerakademie über "Die Zukunft der Armeen?" im österrei­chischen Schlaining

von Dieter Kinkelbur

Weit über hundert Interessierte, darunter Friedensbewegte und Militärs trafen sich Anfang Juli im burgenländischen Schlaining, um auf einer einwöchigen Sommerakademie über die Zukunft der Armeen im Allge­meinen und des österreichischen Bundesheeres im Besonderen zu dis­kutieren. Vorträge von Friedensforschern und Sicherheitsstrategen, Ar­beitsgruppen und vielgestaltige Gespräche am Rande, in der Burgtaverne oder auf dem Fußballplatz umkreisten aus verschiedenen Sichtwinkeln das in ôsterreich derzeit aktuelle, doch auch andernorts offensichtlich Thema: eine Legitimationskrise des Miltärs in Europa, welche einzelne Militärs händeringend nach neuen Zielsetzungen im Umwelt- und Kata­strophenschutz Ausschau halten läßt.

Das Pro und Kontra der Stimmen, die Debatte über die Auswirkungen des Schweizer Referendums über die Ab­schaffung der Armee und eine umfas­sende Friedenspolitik - die einen gan­zen Tag unter Beteiligung Schweizer FriedensfreundeInnen geführt wurde - können hier nicht angemessen darge­stellt werden; auch nicht die Vielfalt der wissenschaftlichen und politischen Positionen. Doch drei zentrale Ge­sichts- und Diskussionspunkte sollen hervorgehoben werden, da sie nicht nur in meinen Gesprächen in ôster­reich wiederkehren. Aus der Perspek­tive eines Bundesbürgers hat es mich dabei nicht überrascht, daß der helve­tische Virus einer positiv begriffenen Armeefreiheit in der "anderen" Alpen­republik virulent ist. Zwar unterschei­det sich die Möglichkeit der direkt-demokratischen Infragestellung des Militärs in der Schweiz und in ôster­reich, wo das Parlament von unten und von parteienübergreifenden Personen­komitees stimuliert werden soll, eine Volksabstimmung über ein ôsterreich ohne Bundesheer zu beschließen, doch tritt in diesen kleinen, neutralen und zur Isolationspolitik neigenden Län­dern Europas die Krise der herrschen­den Sicherheitspolitik und des Unver­mögen der Militärs, für den Frieden zu sorgen, eher zutage. Inzwischen gibt es auch einen guten Wein der Armee­gegner und sind die Vorbereitungen für die Erste österreichische Ver­sammlung für Gewaltfreiheit, eine ak­tive Neutralitäts- und eine umfassende Friedenspolitik vom 26.-28. Oktober in Graz abgeschlossen.*

öberwindet die Nationalstaatlichkeit im Kopf und in der Politik!

Die friedenspolitische Tagesaufgabe

besteht darin, den Prozeß der Natio­nalstaatsüberwindung voranzutreiben und Visionen einer internationalen Friedensordnung zu entwickeln. Eine wissenschaftliche Gegenexpertise hat deutlich gemacht: Nationalstaaten sind eng mit dem Militarismus verknüpft. Auf die nationale Souveränität pochen diejenigen, für die zu einem Staat auch immer eine starke Armee gehört. Die Renaissance des Berufssoldatentums - und ôsterreich ist dafür nur ein Län­derbeispiel - droht dann, wenn nicht bald eine zwischengesellschaftliche Friedenspolitik ohne Militär die natio­nalstaatliche Sicherheitspolitik mit Militär ersetzt. Kooperationsformen über Grenzen hinweg, um einen in eingegesparten Schilling, Franken, Mark, Dollar und Rubel meßbaren Friedensprozeß zu beginnen, sind zu fördern. Die Völkerrechtsbeziehungen sind so zu gestalten, daß nicht eine Fe­stung Europa zum Nationenersatz des 21. Jahrhunderts wird.

Wagt das Möglichkeitsdenken, sprengt die Ketten der sogenannten Fakten!

Wichtig ist, das Möglichkeitsdenken auf Kosten des Wirklichkeitsdenkens zu stärken. Friedenspolitische Poten­tiale, die über den Status quo hinaus­gehen, liegen brach. Sie werden weder von der offiziellen Politik zu erreichen sein noch ausreichend von der Frie­densbewegung genutzt. Leute direkt ansprechen, Kontakte quer zur eige­nen Lagermentalität pflegen und Kompetenzen von anderen zu integrie­ren - wären hier eher abstrakte Fingerzeige für den Umgang innerhalb der (bundes-) deutschen Friedensbe­wegung, und um über eine internatio­nale Kommunikation soziale Realität zu verändern. Während die österrei­chischen Militärs recht detailliert stu­diert haben, mit welchen Mitteln und Methoden die GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) Menschen mo­bilisiert hat, nutzt die Friedensbewe­gung nur recht selten die Widersprü­che und Unterschiede innerhalb der Militärkaste und des staatenübergrei­fenden Militärsystems.

Schafft das Militär, nicht jedoch die Militärs ab!

Ein Hauptproblem in der Arbeit für eine umfassende Friedenspolitik, die mehr als die Negation des Militärs zu sein beabsichtigt- z.B bei der regiona­len Rüstungskonversion in der oft be­mühten Pfalz und anderswo -, wird der Umgang mit Militärs sein. Ob jemand als Person in Uniform oder Mensch  beim Militär attackiert wird, oder aber seine Strukturposition infragegestellt wird, macht einen gewichtigen Unter­schied aus. Der Vorschlag von Johan Galtung in Schlaining, das österreichi­sche Bundesheer in seiner Grund­struktur aufzulösen und die verblei­benden Soldaten der UNO als Frie­denstruppe zu unterstellen, nimmt die Differenz zwischen einem Soldaten als Mensch und als Funktionsträger ernst. Wer den Krieg und das Töten ab­schaffen will, hat das Militär, nicht je­doch die Militärs, abzuschaffen.

Eine menschenorientierte Friedenspo­litik der Friedensbewegungen hat die Vielfalt der Militärs in verschiedenen Ländern, ihre Träume und Wünsche, ihre Handlungen und Haltungen, das Engagement etwa gegen die Atom­energie wahrzunehmen, unversöhnlich jedoch zu bleiben gegenüber dem Mi­litär als Dinosaurier des 20. Jahrhun­derts.

Die bisherigen Sommerakademien, Vorträge sowie Berichte sind vom österreichischen Friedensforschungsin­stitut, Rochusplatz, A-7461 Stadt­schlaining, entweder in ihren Heften zur Friedensarbeit "Friedensforum" und in der friedenswissenschaftlichen Zeitschrift "Dialog" oder in einer spe­ziellen Buchpublikation dokumentiert worden. Zwar ist auf der internatio­nalen Sommerakademie nicht endgül­tig über die Zukunft der Armee als so­zialer Institution entschieden worden, doch stellen diese Tage mit einer offe­nen Streitkultur einen Beitrag zur in­ternationalen Friedenskommunikation und zur österreichischen Friedenskul­tur dar. Ich bin auf den im nächsten Jahr gewählten Themenschwerpunkt gespannt und würde mich insbeson­dere auf eine Begegnung mit osteuro­päischen FriedensfreundInnen und WissenschaftlerInnen, die diesmal noch nicht dabei waren, im burgenlän­dischen Schlaining freuen



 

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Dieter Kinkelbur ist Sozialwissenschaftler und Lehrer. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Friedensinitiativen in Münster e.V.