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Interventionsarmee Bundeswehr: NATO- und EU-kompatibel
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Gegenwärtig sind wir Zeugen der tiefgreifendsten Umstrukturierung und Umrüstung der Bundeswehr seit ihrer Gründung. Die deutschen Streitkräfte, im Kontext der Ost-West- Blockkonfrontation aufgestellt als Abschreckungsinstrument mit dem offiziellen Auftrag der Landesverteidigung im Rahmen der NATO, werden auf Interventionsfähigkeit getrimmt. Das ist der Kern der viel diskutierten und nunmehr beschlossenen Bundeswehrreform. Sie ordnet sich damit ein in die Umorientierung der NATO vom Abschreckungs- zum Interventionsbündnis und in die ebenfalls auf Intervention ausgerichtete Militarisierung der EU.
Herrschende Politik in Deutschland setzt mit dieser Reform die Vorgaben um, die aus diesen beiden Prozessen resultieren. Damit vollzieht sie allerdings nicht nur nach, was in NATO und EU beschlossen wurde und erweist damit einmal mehr ihre Bündnistreue, sondern sie ist auch treibende Kraft dieser Entwicklung und stützt eigene interessengeleitete Machtpolitik auf nationale interventionsfähige Streitkräfte ab. Sie folgt damit der Erkenntnis: Wer in der heutigen Welt(un)ordnung eine führende Rolle spielen will, muss militärisch interventionsfähig sein. Diese Fähigkeit richtet sich zum einen nach außen, auf Krisenregionen fern der Heimat, wo man militärisch dreinschlagen können will, wenn es denn die eigenen Interessen gebieten; sie richtet sich aber auch nach innen: im internen Gerangel in der NATO und der EU um Einfluss, Macht und Positionen will man auch die militärische Karte spielen können, um eigene Führungsansprüche zu untermauern. Aus beiden Gründen kommt man um eine Umrüstung und Umstrukturierung der Bundeswehr nicht herum.
Erinnern wir uns: Vor gut einem Jahr, als der Krieg der NATO gegen Jugoslawien noch in vollem Gange war, beschloss die NATO in Washington auf ihrem Jubiläumsgipfel zur Feier des 50. Jahrestages der Gründung des Paktes ein neues strategisches Konzept, welches nach einer Phase jahrelanger Verunsicherung in der Folge der Auflösung der Ost-West-Konfrontation und des Abhandenkommens des Gegners UdSSR/Warschauer Vertragsorganisation dem Bündnis endgültig einen neuen Daseinszweck und eine neue Aufgabe zuschrieb: Die "Neue NATO" als Interventionsbündnis. Denn der alte Verteidigungsauftrag hat sich nach eigenem Bekunden weitgehend erledigt, heißt es doch im neuen strategischen Konzept, "dass ein großangelegter konventioneller Angriff gegen das Bündnis höchst unwahrscheinlich ist".
Gleichwohl wartet das Konzept mit einer neuen Bedrohungsanalyse auf, die die Umorientierung der NATO auf Intervention begründen soll. Die Rede ist von einem "breiten Spektrum militärischer und nichtmilitärischer Risiken, die aus vielen Richtungen kommen und oft schwer vorherzusagen sind". Dazu gehören: "Ungewissheit und Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses. Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen". Aber nicht nur "im und um den euro-atlantischen Raum" dräut Ungemach, sondern man muss "auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen".
Nachdem die neuen Bedrohungen geographisch und thematisch derart breit gefasst worden sind, kommt eine Beschränkung auf "Verteidigung" des Territoriums der NATO-Staaten selbstverständlich nicht mehr in Betracht. Vielmehr gibt sich die neue NATO selbst die Aufgabe, "durch nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beizutragen" (Artikel 5 des NATO-Vertrags regelte den gegenseitigen Beistand im Falle des Angriffs auf einen Bündnispartner). Sogenannte "non-article 5 missions" treten somit formal gleichberechtigt neben "Bündnisverteidigung" nach Artikel 5, faktisch rücken sie sogar ins Zentrum des Aufgabenspektrums, denn "Verteidigung" ist ja nach NATO- Selbstaussage "höchst unwahrscheinlich" geworden.
Mit dieser Festlegung im neuen strategischen Konzept hat das jahrelange Gezerre um "out of area" - Einsätze (Einsätze außerhalb des NATO-Vertragsgebiets) ein Ende. Die NATO erklärt sich auch "out of area" für zuständig, auch dort können "Krisenreaktionseinsätze" - sprich: militärische Interventionen - notwendig werden. Dabei ist die geographische Bestimmung des Zuständigkeitsbereichs so vage - "in und um den euro-atlantischen Raum", "Peripherie des Bündnisses", "globaler Kontext" -, dass man von Fall zu Fall entscheiden kann, ob eine "Krise" in Nordafrika, im Kaukasus oder am Kaspischen Meer in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt oder nicht. Überdies ist eine Bindung eigener "Krisenreaktionseinsätze an ein UN- oder OSZE-Mandat vermieden worden, so dass man im "Ausnahmefall" auch "selbstmandatiert" aktiv werden kann.
Der Krieg gegen Jugoslawien war hierfür der Präzedenzfall. Im neuen strategischen Konzept "erinnert" die NATO "an ihr 1994 in Brüssel gemachtes Angebot, von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit ihren eigenen Verfahren friedenswahrende und andere Operationen unter der Autorität des VN-Sicherheitsrats oder der Verantwortung der OSZE zu unterstützen", behält sich zugleich aber auch militärische "Krisenbewältigung" ohne UN- oder OSZE-Mandat vor. Mit anderen Worten: Wo und wann man militärisch interveniert - diese Entscheidung trifft man ganz allein gemäß Einschätzung der eigenen Interessenlage - "Selbstmandatierung" heißt nichts anderes als dass man für sich das Recht auf Kriegführung beansprucht. Dies ist ein gravierender Rückfall hinter den mit der UN-Charta und dem dort erklärten Gewaltverbot erreichten Stand des Völkerrechts.
Zur Umsetzung des neuen strategischen Konzepts bedarf es der entsprechenden militärischen Mittel, nämlich hochmoderner Expeditions- und Interventionstruppen. Die Stichworte zur Kennzeichnung der operativen Fähigkeiten solcher Truppen gibt das neue strategische Konzept vor, u.a.: "Verlegefähigkeit und Mobilität", "Durchhaltefähigkeit", "Informationsüberlegenheit", "ausreichende Kapazitäten in den Bereichen Führung und Kommunikation, Aufklärung und Nachrichtengewinnung und Überwachung", "Notwendigkeit eines hohen Grades von Verlegefähigkeit, Mobilität und Flexibilität". Deutlicher ist die Offensivausrichtung von Streitkräften kaum noch zu beschreiben.
Die Umrüstung und Umstrukturierung der Bundeswehr fügt sich exakt in diese Anforderungen ein. Auf Grundlage einer dem neuen strategischen Konzept der NATO entlehnten Bedrohungsanalyse, wird den neuen deutschen Streitkräften Interventionsfähigkeit verschrieben: Die fern der Heimat verwendungsfähigen "Einsatzkräfte" (vormals: Krisenreaktionskräfte) werden deutlich aufgestockt, die Führungsstrukturen werden so gestaltet, dass sie "modular zusammengestellte Kontingente über Landes- und Bündnisgrenzen hinweg zu führen" in der Lage sind ((Weizsäcker-Kommission), die Umrüstung konzentriert sich auf so aparte Instrumente wie "strategische Lufttransportkapazität", "leistungsfähige Seetransportkapazitäten", "Präzisionsbewaffnung mit Abstandsfähigkeit" usw. usf., kurz: auf jene Instrumente, die für militärische Interventionen besonders dringend gebraucht werden. Damit kann die neue Bundeswehr auch in die ebenfalls auf Intervention ausgelegte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU eingebracht werden.
Auf dem EU- Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 war beschlossen worden, die EU in die Lage zu versetzen, "als Reaktion auf internationale Krisen EU-geführte militärische Operationen einzuleiten und durchzuführen". Hierfür soll u.a. bis 2003 eine EU-Eingreifstreitmacht aufgebaut werden. Die Bundesrepublik will sich daran massiv beteiligen. Mit der Umrüstung der Bundeswehr werden hierfür die Voraussetzungen geschaffen. Man sieht: Deutschland bereitet sich darauf vor, auch auf militärischem Gebiet wieder eine Führungsrolle in Europa zu spielen (wenn es denn schon auf fußballerischem nicht mehr klappt). Der Friedens- (und Fußball-)freund wendet sich mit Grausen.