Iranerinnen gegen den Schleier

von Banou Parsi
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Die klassische Definition von Gewalt ist der Missbrauch von Macht. Im Iran überschreitet die Gewalt des islamischen Regimes jede klassische Definition und jede Vorstellung. Seit ihrer Machtergreifung hat die Re­gierung eine gewisse Zahl von islamischen Gesetzen für die gesamte Bevölkerung erlassen, aber ihre ersten Opfer waren die Frauen. Sie werden als die Hüterinnen der Tradition angesehen. Die Kontrolle der Frauen ist ein Mittel für die Regierung, die gesamte Bevölkerung zu kontrollieren. Es ist kein Zufall, daß bei jeder politischen Krise im Iran Gruppen von Hisbollahs (Mitglieder der "Partei Gottes") auf den Straßen sind, die Frauen festnehmen, sie schlagen, sie ins Gefängnis werfen. Die Lage der Frauen ist zu mehr als einer kulturellen Frage geworden: es handelt sich um ein soziales und politisches Phänomen. Die Pflicht, den Schleier zu tragen, symbolisiert den ganzen sozio-kulturellen Sta­tus der iranischen Frau.

Dieses Gesetz stammt aus dem Frühjahr 1979. Zu dieser Zeit hatte die Revolu­tion gegen den Kaiser-Diktator gesiegt. Es war das Frühjahr der Freiheit, wie das iranische Volk sagte, das die Hoff­nung hatte, die Slogans der Revolution "Gleichheit, Freiheit, Friede" sich ver­wirklichen zu sehen. Die Enttäuschung folgte mit der Verhängung islamischer Gesetze.

Die Frauen waren damit einverstanden gewesen, den Schleier in Anti-Schah-Demonstrationen als Zeichen der Ein­heit gegen das diktatorische Regime zu tragen; doch das von Khomeini ver­hängte Gesetz, ihn zu tragen, empfanden sie als gewaltsame Maßnahme. Am 8. März 1979 demonstrierten Frauen als erste gegen das islamische Regime.

Kurzhinweis

"Der Konflikt der Kulturen und der Friede in der Welt"

ist das Thema einer internationalen Ta­gung, die die Evangelische Akademie Loccum vom 9.-11. Dezember 94 ver­anstaltet. Anmeldung: Ev. Akademie Loccum, PF 2158, 31545 Rehburg-Loc­cum, Tagungsgeühr 260,- DM.

Andere Maßnahmen folgten. Ein Ge­setz zum Schutz der Frau wurde abge­schafft und die Polygamie zugelassen, sogar ermutigt, dann folgten alle mögli­chen Strafandrohungen im Falle der Verlet­zung eines islamischen Gesetzes. Das Gesetz der Vergeltung will, daß Frauen im Falle eines Ehebruchs die Steinigung riskieren, während ein Mann vier Ehefrauen haben oder eine befri­stete Ehe praktizieren kann. Das heirats­fähige Alter wurde von 19 Jahren auf die Pu­bertät herabgesetzt. Dann wurde Frauen verboten, das Richteramt aus­zuüben, öf­fentlich zu singen u.a.m.

Frauen haben reagiert

Es gibt heute keine nicht verschleierten Frauen im Iran mehr, aber Frauen, die den "schlechten Schleier" tragen, wie man sagt: Sie schminken sich die Lip­pen und die Augen ein bisschen, einige Haarsträhnen schauen unter dem Schleier hervor. Diese Frauen stellen für die Regierung dar und Patrouillen, Hü­ter der Moral, kontrollieren Frauen und suchen Spuren von Schminke. Eine ge­schminkte Frau nehmen sie zu einem Stadtteilkomitee mit, um ihr zu sagen, daß sie einen Akt der Prostitution be­gangen hat und sie versprechen müsse, es nicht wieder zu tun. Manchmal muß die Frau auch eine Strafe zahlen oder sie wird ins Gefängnis geschickt oder gar auf der Straße als abschreckendes Bei­spiel ausgepeitscht. Trotzdem werden weiter diese und andere Symbole des Protestes - wie bunte Kopftücher z.B. getragen. Frauen sind die ersten Hauptopfer dieses sozial-patriarchalen Projektes par excellence geworden. Aber eine Minderheit von ihnen unter­stützt auch aktiv dieses Regime, sei es aufgrund ideologischen Einflusses, sei es aus ökonomischem Interesse. Ich will auch nicht vergessen, daß in einer sexi­stischen Unterdrückung auch Männer die Opfer sind, gefangen in ihrer männ­lichen Sphäre, unfähig, einen egalitäre Beziehung zu haben, human mit ihren Frauen, Schwestern, Müttern umzuge­hen.

Was uns iranische Frauen schockt, ist das totale Schweigen der Medien in Be­zug auf den Terror gegen die iranischen Frauen. Ich denke, daß die AnhängerIn­nen des gewaltlosen Kampfes eine wichtige Rolle bei dem Brechen dieses Schweigens spielen müssen.

Der Text ist ein Auszug aus dem Vor­trag, den Parsi 1989 in dem Forum "Gewaltfreiheit in den Kämpfen für die Menschenrechte" gehalten hat. Überset­zung:cs

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Banou Parsi ist Iranerin und lebt als politischer Flüchtling in Frankreich.