Jahr der Anti-AKW-Bewegung

von Jochen Stay
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Noch ist in der Atompolitik alles offen. Wir haben es selbst in der Hand. Als im letzten September in Berlin 50.000 Menschen gegen Atomenergie demonstrierten, da war unsere Botschaft: Kommt es nach der Bundestagswahl zu einer schwarz-gelben Regierung und weigert sich diese Regierung, Atomkraftwerke abzuschalten, dann geht es erst richtig los.

Jetzt gibt es eine Regierung aus Union und FDP, und sie reden über Laufzeitverlängerungen für die AKW. Also wird die Anti-Atom-Bewegung in diesem Frühjahr den Druck verstärken und auf die Straße gehen.

Der Protest-Kalender für 2010 füllt sich zusehends. Das ist auch kein Wunder: Wenn sich die Regierenden nicht einig sind – wie derzeit in der Atompolitik – und wenn die wesentlichen Entscheidungen noch nicht gefallen sind – wie bei der Frage der Laufzeiten der Reaktoren – dann ist die Chance am größten, mit Protest etwas zu bewirken. Und es gehen genau dann viele Menschen auf die Straße, wenn sie damit eine Chance auf Erfolg haben. So wie jetzt.

Es gilt die Wette, wir schaffen die Kette
Die FAZ hat schon direkt nach der Bundestagswahl, bezogen auf die Atompolitik der neuen Regierung, gefragt: „Ob sie die Kraft besitzen, sich gegen Massenproteste durchzusetzen?“ Die Financial Times Deutschland bemerkte: „Längere Laufzeiten funktionierten nur bei gesellschaftlicher Akzeptanz.“ Doch diese Akzeptanz gibt es nicht. Das sollen die Proteste der nächsten Monate deutlich machen.

Protest-Höhepunkt der ersten Jahreshälfte ist der 24. April. In Süddeutschland wird in Biblis das AKW umzingelt, im Westen wird in Ahaus gegen das dortige Atommüll-Lager demonstriert. Die größte Aktion findet im Norden statt: Eine Aktions- und Menschenkette vom AKW Brunsbüttel bis zum AKW Krümmel, mitten durch Hamburg. Die Strecke ist 120 Kilometer lang und wir sind sehr gespannt, wie eng die Kette werden wird. Für den Herbst ist dann eine ähnliche Großaktion zwischen Biblis und Neckarwestheim angedacht.

Die Idee der Menschenketten ist entstanden, als wir uns die Frage gestellt haben, was nötig sein wird, um Stromkonzerne und Bundesregierung so stark zu beeindrucken, dass die bereits auf der Kippe stehenden AKW wirklich stillgelegt werden. Es gibt in diesem Land so viele AtomkraftgegnerInnen, dass es uns möglich erscheint, so eine deutliche Manifestation unseres Protests gemeinsam mit vielen anderen Organisationen und unzähligen engagierten Einzelpersonen auf den Weg zu bringen.

Engagement von vielen – das wird allerdings nötig sein, damit sich Zehntausende an den Ketten beteiligen. So etwas lässt sich nicht alleine aus den zentralen Büros von Anti-Atom-Organisationen bewerkstelligen. Nur wenn sich viele verantwortlich fühlen, nur wenn viele die Chance nutzen wollen, die ungeliebten AKW endlich los zu werden, dann kann es gelingen.

Abschalt-Kandidaten Nr. 1: Brunsbüttel, Krümmel, Biblis und Neckarwestheim
Die vier genannten AKW stehen besonders im Fokus, weil hier schon vor dem für Oktober angekündigten Energiekonzept der Bundesregierung, in dem auch die Zukunft der Atomkraft geregelt werden soll, Entscheidungen anstehen. Die beiden Vattenfall-Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel stehen seit über zweieinhalb Jahren still und keiner vermisst sie. Doch nun sollen sie im Frühsommer wieder ans Netz, und genau das wollen wir verhindern.

Neckarwestheim und Biblis haben nach dem geltenden Atomgesetz kaum noch Produktionskontingente für Atomstrom. Schon in wenigen Monaten müssten sie stillgelegt werden, außer der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen stimmt einer Übertragung von Strommengen von neueren AKW auf die beiden Pannen-Kraftwerke zu. Auch das wollen wir verhindern.

Gorleben lebt!
Ein weiteres Thema im entscheidenden Anti-Atom-Jahr 2010 wird die Auseinandersetzung um den Atommüll. Die gescheiterte Endlagerung im Salzstock Asse wird mehr und mehr zum Menetekel für die Atomwirtschaft. Im westfälischen Ahaus soll in den nächsten Monaten in der dortigen Zwischenlagerhalle eine Welle von Atomtransporten ankommen. Die örtlichen Initiativen organisieren den Protest.

In Gorleben dreht sich vieles um die Absicht der Bundesregierung, den Ausbau des ungeeigneten Salzstocks wieder aufzunehmen. Ein Höhepunkt des Protests ist der 30. Räumungs-Jahrestag des Hüttendorfs „Republik Freies Wendland“ am 4. und 5. Juni. Im Jahr 1980 hatten auf der Bohrstelle 1004 teilweise mehrere tausend Menschen über 33 Tage zusammen Alternativen gelebt, bevor die Polizei das Dorf platt machte. Jetzt ruft die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg dazu auf, an die Tradition von vor 30 Jahren anzuknüpfen.

Im November wird aller Voraussicht nach wieder ein Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll nach Gorleben rollen. Zigtausende werden sich dann auf den Weg ins Wendland machen, um sich querzustellen. Die Atomlobby ist in diesem Jahr nicht zu beneiden.

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