Syrien:

Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution

von Christine Schweitzer

Die meisten Befürchtungen in Bezug auf Syrien sind wahr geworden. Das Land befindet sich mitten im Bürgerkrieg, mit bislang (Ende August 2012) zwischen 17.000 und 20.000 Toten und geschätzt über einer Million Vertriebener und Flüchtlinge. Der Aufstand in Syrien gegen das Assad-Regime ist zunehmend militarisiert, auch wenn es – und das ist ziemlich einzigartig an der syrischen Situation – der zivile Widerstand nicht durch den bewaffneten abgelöst wurde, sondern auch jetzt noch parallel weitergeführt wird. (1) In der beiliegenden Aktualisierung des Dossiers des Monitoring-Projektes gehen Andreas Buro und die Autorin näher auf die neuen Entwicklungen ein. In diesem Beitrag hier geht es vorrangig um die Diskussion in der Friedensbewegung.

Der Aufstand ist in Gefahr, zum Spielball ausländischer Interessen zu werden. Schon jetzt sprechen manche BeobachterInnen von einem doppelgesichtigen Stellvertreterkrieg – einem zwischen Sunniten (Golfstaaten) und Schiiten (Iran) und einem zwischen dem Westen und Russland. Allein die direkte militärische Intervention durch Luftwaffe (oder Luftwaffe und Bodentruppen) fehlt (noch), die meisten anderen Instrumente aus dem international bewährten Setzkasten „Wie führe ich Krieg, ohne mir selbst die Finger schmutzig zu machen“ sind bereits im Einsatz (2): Ausrüstung mit Waffen, Ausbildungslager (in der Türkei) (3), Militär“berater“ und Söldner, Aufklärung, Finanzierung (allein die USA haben 25 Mio. USD für „nicht-tödliche Zwecke“ zur Verfügung gestellt (4). Der Friedensplan des Sondervermittlers der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Kofi Annan, ist gescheitert und Annan erklärte frustriert seinen Rückzug. Auch die ursprünglich 300-köpfige UN-Mission wurde in der dritten Augustwoche beendet; nur ein kleines Verbindungsbüro der UN bleibt bestehen und wird dem neuen UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi zuarbeiten. Unterdessen wird immer wieder einmal die Forderung nach direkter militärischer Intervention, etwa nach libyschem Vorbild die Errichtung einer Flugverbotszone oder nach bosnischem von Schutzzonen laut, aber trifft – zumindest derzeit – auf kaum Bereitschaft von Seiten der USA oder ihrer Verbündeten (5)

Zu Verschwörungstheorien und dem Streit in der Friedensbewegung über Syrien
Die Linke und die Friedensbewegung sind sich über die Beurteilung der Geschehnisse in Syrien zutiefst uneinig. Die eine Position ist im Kern die, die ich auch hier in diesem Beitrag vertrete – die Annahme eines legitimen, autochthonen Protestes von SyrerInnen in Syrien gegen ein undemokratisches und die Menschenrechte verletzendes Regime. Die verschiedenen Interventionen von außen delegitimieren aus dieser Sicht nicht den Aufstand in Syrien, egal wie man ansonsten zu ihnen stehen mag. (Und da gibt es wieder verschiedene Meinungen, von der Verurteilung jeglicher Einmischung über die Verurteilung der gewaltgestützten Intervention bis hin zur Forderung nach direktem militärischen Eingreifen, wie es z.B. die Internet-Kampagnenplattform Avaaz sie erhebt.)

Die andere Position – sie soll hier vereinfachend als die antiimperialistische bezeichnet werden – sieht in erster Linie die internationale Einmischung und bezweifelt und leugnet kategorisch jegliche Legitimität des zivilen Aufstandes. Der Aufstand gegen Assad sei vom Westen initiiert und organisiert worden: „Ein von USA-NATO gestützter Aufstand, integriert durch Todesschwadronen, wird unter der Tarnung einer ‚Protestbewegung‘ gestartet (Mitte März in Daraa)“, heißt es bei Chossudowsky. (6) Begründet wird dies damit, dass das Assad-Regime als einer der wenigen Gegner der USA in der neuen weitgehend unipolaren Welt übriggeblieben sei (7); Ziel sei die Beseitigung eines der wenigen Bollwerke, das dem Westen im Nahen und Mittleren Osten noch Widerstand entgegensetzt, wobei ein direkter Zusammenhang auch zu dem Konflikt mit dem Iran bestehe. Überzeugende Belege für diese These bleiben allerdings aus. (8)

Es geht hier nämlich nicht in erster Linie um die Analyse der Interessen der verschiedenen ausländischen Akteure oder die Beschreibung der derzeitigen militärischen Aufstandsunterstützung. Sondern es geht darum, ob gefolgert werden kann und darf, dass es sich bei den Aufständischen um illegitime Handlanger des ‚US-Imperialismus‘ handelt (oder gutmeinende Idioten, die nicht sehen, wie sie von außen gesteuert werden), oder ob es bei dem Aufstand im Kern um eine legitime Volksbewegung handelt, die sich gegen ein autokratisches Regime erhoben hat und die das Unglück hat, zwischen die Mühlsteine ausländischer Interessen geraten zu sein und die hart darum kämpfen muss, sich nicht von ihren falschen Freunden vereinnahmen zu lassen.

Anmerkungen

1 Adopt a Revolution, Ignoranz oder militärische Intervention? Hierzulande verkennt man die Situation in Syrien. Denn es gibt längst einen richtigen “dritten Weg”. taz vom 15.06.2012. https://www.adoptrevolution.org/hinsehen-statt-zusehen-taz-kommentar/

2 Salloum, Raniah (2012) Wie der Westen heimlich Krieg führt. Spiegel Online. 27.07.2012. http://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-wie-der-westen-hil...

3 Richard Galpin, Syria crisis: Turkey training rebels, says FSA fighter. BBC News, 4.8.2012, http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-19124810.

4 http://www.stern.de/politik/ausland/geheimerlass-obama-soll-hilfe-fuer-s..., 2. August 2012. Und Karin Leukefeld, Warnung vor Tragödie. http://www.jungewelt.de/2012/07-30/043.php.

5 http://www.fr-online.de/aegypten-syrien-revolution/syrien-voerst-keine-f...

6 Michel Chossudovsky, Towards A "Soft Invasion"? The Launching of a "Humanitarian War" against Syria. Global Research, August 2, 2012. http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=32170

7 Ob dies wirklich so ist, kann auch in Frage gestellt werden. So weist Phyllis Bennis (Syria: Only diplomacy can stop the war. Al Jazeera. 26.6.2012. http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2012/06/201262475838515783.html) darauf hin, dass sich Syrien gelegentlich auch mit den USA verbündet hat, z.B. 1991 im Irakkrieg und nach dem 11. September als einer der Orte, wo für die USA Gefangene verhört und gefoltert wurden.

8 Das einzige Indiz, das Chossudowsky, eines der wichtigsten Sprachrohre der antiimperialistischen Linken, nennt, ist, dass ein Mitarbeiter von John Negroponte, des ehemaligen US-Botschafters im Irak, Anfang 2011 zum US-Botschafter für Syrien benannt wurde. (Michel Chossudovsky, The Salvador Option for Syria. Global Research, May 28, 2012. http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=31096) Aber hier werden in meinen Augen Personen mit Politik verwechselt. Allein die Tatsache, dass es immer noch zu keinem direkten militärischen Eingreifen gekommen ist, und Berichte, die eher die Hilflosigkeit des gegenwärtigen Agierens der USA beschreiben, sprechen eine deutlich andere Sprache. Vgl. Elise Labott Struggling to define the Syrian opposition. CNN, 13.8.2012. http://security.blogs.cnn.com/2012/08/13/struggling-to-define-the-syrian...

Alle Websites wurden letztmalig am 17. August 2012 aufgerufen.

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Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.