Jugend, Friedensbewegung und Bundeswehr

von Martin Böttger

Wo mensch hinblickt: Parteien, Organisationen und Bewegungen mangelt's an Nachwuchs. Warum interessieren sich Jugendliebe sowenig für bestimmte Formen politischer, vor allem organisierter politischer Arbeit? Sind sie unpolitischer als Jugendliebe in früheren Zeiten? Oder fehlt den politischen Akteuren einfach der Zugang zu ihnen?

Niemand kommt mehr mit ihr zurecht, der "heutigen Jugend". Im März heulte sich im "Spiegel" ein linker Lehrer aus: seine Schülerinnen seien alle nur noch auf Konsum und Genuß aus. Sich politisch irgendwo engagieren, in Parteien oder der Schülerinnenvertretung, hätten sie alle keine Lust. Die "kurze Zeit", die sie "vielleicht nur noch zu leben" hätten - angesichts globaler Umweltkatastrophen und Waffenanhäufungen - wollen sie wenigstens auskosten.
Ist das etwa unvernünftig? Genauso weinen alle andern auch rum. Die Parteien, die Gewerkschaften, Friedensbewegung, Bundeswehr, ja selbst die Kirchen (zum Beten jedenfalls kommen da auch immer weniger hin). Diejenigen unter diesen Institutionen, die über entsprechende Geldmittel verfügen, scheuen keine Kosten für teure Forschungsprojekte. Was ist denn nun mit "der Jugend" los? Warum will sie nichts mehr von uns?
So schwierig ist das garnicht. Das "Problem" ist einfach, daß die Jugendlichen immer klüger werden. Sie lassen sich immer weniger veräppeln. Mit fortschreitendem Medienzeitalter, technologischer Revolution in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen eig¬nen sie sich immer mehr Informationen, Kenntnisse und Fähigkeiten - an, die unsereiner als 32-jähriger vielleicht nie mehr oder nur unter viel schwierigeren Umständen lernen wird.
Wer sich z. B. mal der spannenden Mühe unterzieht, heutige Kinderaufsätze zu lesen, kommt dem "Problem" vielleicht schon näher. Empfehlenswert sind z.B. der Wettbewerb der IG Metall für 8-14jährige "Wie stelle ich mit meine Zukunft vor?" oder auch die Briefe an Reagan und Gorbatschow, die die Organisation "Peacebird" gesammelt hat. Darin wird deutlich, daß die Kinder eine unglaublich scharfe Wahrnehmung der heutigen globalen Probleme haben: die ökologische Vergiftung und Zerstörung, die Zubetonierung unseres Landes, die unvorstellbaren Gefahren der Atombombe, die Massen von Hungertoten in der "Dritten Welt", und - rational wie es nur denkbar ist - welche Unvernunft herrschender Politik es ist, nicht jetzt sofort alles gegen diese Probleme zu unternehmen.
Völlig richtig wird wahrgenommen, daß das nicht geschieht. Völlig richtig wird wahrgenommen, daß die herrschende Politik sich durch menschliche Argumente nicht überzeugen läßt. Völlig vernünftig haben auch immer weniger Jugendliche Lust, darauf zu warten.
Was sollen sie also in einer Partei? Was sollen sie bei einer Friedensinitiative? Was sollen sie gar bei der Bundeswehr?
Wird dort, abgesehen von leeren Versprechungen, irgendwo die Welt wirklich "verbessert", sichtbar, wahrnehmbar, beweisbar?
Die Regierungsparteien der BRD haben darauf derzeit keine Antwort, allenfalls der Außenminister hat überhaupt das Problem· richtig erkannt. Der Bundeswehr laufen. die Jugendlieben in Scharen weg, trotz hoher Ar-beitslosigkeit wollen dort auch immer weniger Leute eine Ausbildung ma¬chen oder sich verpflichten. Besonders übel muß es der herrschen¬den Politik vorkommen, wenn dieser ohnehin vorhandene Trend auch noch politisiert und organisiert wird, wie jüngst durch die IG-Metall-Jugend und die DFG-VK geschehen. Sie organisie¬ren eine Informationskampagne zu et¬was, was es schon gibt: massenhafte Kriegsdienstverweigerung. Das "Schlimme" war, daß eine mächtige Gewerkschaft damit den Jugendlieben signalisierte: du bist nicht allein mit deiner Entscheidung; wir helfen dir auch, sie durchzusetzen. Dadurch können "die da oben" sehr wohl daran gehindert werden, "ja doch zu machen, was sie wollen".
Dieser Zugang, den IG-Metall-Jugend und DFG-VK hier gefunden haben, wird auch der einzige sein, mit dem die Friedensbewegung überhaupt Zugang zu Jugendlichen gewinnen kann. Ver¬einsmeierei, Faktenhuberei, Schwär¬men von altert Zeiten, moralisierendes Agitieren für und gegen - dies und das überzeugt niemand. - Das Vorhalten von Wirklichkeiten, die ohnehin der gesamten Gesellschaft schon klar sind, z. B. daß Atomwaffen Mist sind, daß Wettrüsten abzulehnen ist usw., moti¬viert nicht zu eigenem Handeln.
Zu eigenem Handeln motiviert nur et¬was, was sich auch lohnt, wo auch was rauskommt, wo mensch selbst etwas bewirkt. Die Entscheidung für die Kriegsdienstverweigerung und für den Zivildienst gewinnt an Attraktion, weil der junge Mann damit selbst Hand an ein dringend zu lösendes gesellschaftli¬ches Problem legen kann.
Das Reisen in fremde Länder, auch und gerad in die osteuropäischen mit der UdSSR an der Spitze, gewinnt - bei völlig "unpolitischen'' - Jugendlieben an Attraktion, weil sie dabei was lernen könne, klüger werden, ihren Horizont erweitern.
Was haben wir ihnen in dieser Hin¬sicht mit unserer Friedensarbeit zu bieten?
Wer zuerst Antworten auf diese Fra¬gen entwickelt, wird am ehesten Nachwuchs für seine Politik gewinnen können.
übrigens: antifaschistische Initiativen haben z. Z. mächtigen Zulauf. Dort wird viel gelernt und viel getan. Wie es heute sein muß.

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Initiativen
Martin Böttger ist Mitarbeiter des Ko­mitees für Frieden, Abrüstung und Zu­sammenarbeit und Mitglied im Bun­deshauptausschuß der Jungdemokraten.