Jugoslawien: Gemeinsamer Friedensappell aus den Republiken

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Wir Unterzeichner/innen sind Intellektuelle aus allen Teilen Jugoslawiens, die als wichtigste Aufgabe heute erkennen, den Krieg zu stoppen. Dies erfordert einen Vorschlag für einen Waffenstillstand, der alle Optionen für die Zukunft offenhält. Es wäre für uns unangemessen, die Zukunft von Millionen Menschen vorzuschreiben. Was wir haben, ist unsere gegenseitige Verantwortung füreinander als menschliche Wesen, die über die Grenzen unserer eigenen Regionen hinausgeht. In diesem Lichte wurde dieser Vorschlag gemacht.

Ein Vorschlag, den Krieg in Jugoslawien zu beenden
Die Friedensverhandlungen in Den Haag dominieren die gegenwärtige Diskussion in ganz Jugoslawien, besonders innerhalb der Friedensbewegung (so schwach wie sie sein mag). Sie sind von allergrößter Bedeutung für alle im Lande. Dennoch ist seit einigen Wochen klar, daß kein Fortschritt gemacht wird. Unglücklicherweise werden die Gründe für dies Steckenbleiben selten diskutiert, nicht einmal in der Friedensbewegung.

Tatsächlich gibt es keine reale Chance, daß diese Verhandlungen Erfolg haben werden.

* Erstens sind nur sehr selten jemals Friedensverträge formuliert und unterschrieben worden, während der Krieg noch andauerte.

* Zweitens setzt ein Friedensvertrag irgendeine Form von dauerhaftem Einverständnis über den politischen, sozialen und rechtlichen Kontext der Ursachen des Krieges voraus. Solch ein Einverständnis ist mit beinahe absoluter Sicherheit unmöglich zu erreichen, wenn die dringendste Priorität darin besteht, das Kämpfen zu beenden.

* Drittens sind die Parteien bei Friedensverhandlungen nicht immer dieselben wie diejenigen, die in den Krieg verwickelt sind (z.B. die Abkommen nach dem Ersten Weltkrieg).

* Viertens sind die Versionen eines Friedensvertrags, die in Den Haag entworfen wurden, zu lang und zu ehrgeizig, um die Chance offenzuhalten, daß die betroffenen Parteien ihm zustimmen. Jedes zusätzliche Wort multipliziert die Möglichkeiten von Mißverständnissen und Ablehnung bei den sieben Parteien in beinahe exponentieller Weise.

* Fünftens und am zutreffendsten für den jugoslawischen Fall: Parteien, die ein Dutzend Mal demonstriert haben, daß sie unfähig sind, die Bedingungen für einen Waffenstillstand zu formulieren, werden beinahe absolut sicher unfähig sein, die Art von Einverständnis zu erreichen, das für einen selbst relativ bescheidenen stabilen Frieden ausreichte.

Dies ist der Grund, warum das wahre Ziel im Moment das Erreichen eines Waffenstillstands sein muß, aber eines Waffenstillstandes, der einige essentielle Bedingungen erfüllt.

* Erstens muß er eine mehr oder weniger stabile Situation für einige Jahre schaffen. (Das ist notwendig, weil die betroffenen Parteien eine lange Zeit für ernsthafte Verhandlungen benötigen, um einen andauernden Frieden zu schaffen.)

* Zweitens muß der Waffenstillstand jede der möglichen endgültigen Lösungen zulassen.

* Drittens muß er Elemente enthalten, die jede der Parteien als Teile ihrer eigenen Programme betrachten kann, so daß alle motiviert sind, ihn ohne militärische Intervention zu akzeptieren.

Winter ist die beste Zeit des Jahres, das Kämpfen zu beenden, denn das Wetter wird die Intensität von Operationen in jedem Falle minimieren. Deshalb müssen Diskussionen über solch einen Waffenstillstand so schnell wie möglich beginnen (was sie noch nicht getan haben) und so rasch wie möglich beendet werden.

Das Waffenstillstandsabkommen könnte die folgenden Klauseln enthalten:

a) Den Rückzug der jugoslawischen Bundesarmee in die Kasernen, aus denen sie ihre gegenwärtige Intervention starteten; Beginn der Demilitarisierung aller Republiken, einschließlich der schrittweisen Auflösung der Bundesarmee und aller paramilitärischen Einheiten und inter-nationale Kontrolle und Überwachung des Abrüstungsprozesses; finanzielle Hilfe, um Pensionen und Umschulungen für ehemalige Berufsoffiziere der Bundesarmee zu bezahlen.

b) Suspension aller bundesstaatlichen Institutionen. Das würde den Republiken innerhalb Jugoslawiens Handlungsfreiheit im Inland wie international geben. Gleichzeitig würde es die Möglichkeit bewahren, zumindest einige der bundesstaatlichen Institutionen nach einem endgültigen Abkommen zu reaktivieren.

c)  Übereinkommen, daß die Grenzen, wie sie durch die Verfassung von 1974 formuliert wurden, in den nächsten drei Jahren nicht berührt oder formal diskutiert werden. Dies würde jeder Partei erlauben, das Recht zu verlangen, Grenzänderungen in der Zukunft auf den Verhandlungstisch zu bringen, während es eine zwischenzeitliche Sicherheitsgarantie für die andere Seite brächte. Jede eventuelle Grenzänderung wird die Zustimmung beider Republiken verlangen; in Übereinstimmung mit einem Referendum unter der betroffenen Bevölkerung.

d) Internationale Garantien für alle jugoslawischen Republiken, daß sie ihre Minderheiten in anderen Republiken repräsentieren und - mit legalen Mitteln - schützen können, wie dies durch Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 vorgesehen war, der festhielt, daß Jugoslawien das Recht hat, die slowenische und kroatische Minderheit in Österreich auf deren Verlangen hin rechtlich zu schützen.  Solche Garantien sind nicht nötig für Bosnien-Herzegowina, das seiner Verfassung gemäß der Staat aller drei Nationen ist, die es bewohnen.

e) Internationale Beobachter (anfänglich vielleicht UNO oder KSZE-Blauhelme) in den Gebieten Kroatiens mit einer serbischen Mehrheit oder einer gemischten Bevölkerung, wo die Kämpfe sich konzentrierten und in Gebieten, wo eine akute Gefahr besteht, wie in Bosnien-Herzegowina, dem Sandzak und Kosovo. Sie würden auch die unmittelbare Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat überwachen.

f) Die Schaffung eines provisorischen Komitees, um die Friedensverhandlungen fortzusetzen. Es würde aus Vertretern aller Republiken und der beiden "autonomen Provinzen" (wie in der Verfassung von 1974 festgelegt) nach freien Wahlen in diesen Regionen bestehen. Die Aufgaben des Komitees würden einschließen, jene bundesstaatlichen Strukturen zu aktivieren, die nötig sind, um die Kommunikation zwischen den Republiken in ökonomischen und politischen Angelegenheiten zu verwalten und mit dem bundesstaatlichen Vermächtnis umzugehen.

Erstunterzeichner/innen sind einige Dutzend Intellektuelle aus den verschiedensten Berufsgruppen, Universitätsprofessoren, Journalisten, Anwälte, Künstler und Schriftsteller aus Bosnien, Kroatien, Montenegro, Serbien, und Slowenien. Der Appell wurde Ende Dezember 91 in Belgrad veröffentlicht.

 

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