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Zivile Gerichtsbarkeit und Völkerstrafgesetzbuch
Justiz und Gesetz im Dienst der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr
vonNach der Herstellung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr müsse nun die zivile Justiz in Deutschland, der auch die Bundeswehrangehörigen unterworfen sind, nach der Auffassung des Parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, „im Ausland einsatzfähig gemacht“ (1) werden. Das Vorhaben einer „einsatzfähigen Justiz“ korrespondiert eng mit der Änderung des anzuwendenden Rechts bei Straftaten, die deutschen Soldaten im Auslandseinsatz vorgeworfen werden.
Die Bundesstaatsanwaltschaft zog bei ihrer rechtlichen Bewertung des Luftangriffs nahe Kundus vom 4. September 2009 nicht mehr das nationale Strafrecht (StGB), sondern das am 30. Juni 2002 in Kraft getretene Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) heran. Dieses räumt der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr einen weit größeren Spielraum hinsichtlich der in der Aufstandsbekämpfung getöteten Zivilisten (die sog. zivilen Begleitschäden) ein. Den Konsequenzen dieser beiden Entwicklungen widmet sich dieser Beitrag.
Die Sonderstaatsanwaltschaft
In der Vergangenheit kam in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr die Tötung von an Kampfhandlungen unbeteiligten Zivilpersonen immer wieder vor. Nach Warnschüssen erschoss am 21. Januar 1994 ein deutscher Wachtposten einen von zwei Somalis, die im Begriff waren, in das Depot des Bundeswehrlagers bei Belet Huen einzudringen. Der Somali war der erste durch Bundeswehrsoldaten getötete Zivilist in einem Auslandseinsatz.
Seit die Bundeswehr im Ausland interveniert, wurden 140 Fälle strafrechtlich relevanten Verhaltens gezählt, allein 20 davon im Jahr 2009. Zu Anklagen oder gar Verurteilungen kam es bisher in keinem Fall.(2) Die zuständige Staatsanwaltschaft in Deutschland stellte nach Vorermittlungen das Verfahren jeweils ein, da sie davon überzeugt war, dass die Soldaten sich in einem tatsächlichen oder angenommenen Selbstschutz verteidigten.
Trotzdem fordern die Militärs für ihr Tun Rechts- und Handlungssicherheit. Insbesondere durch die Verschärfung des Kriegseinsatzes in Afghanistan verrichtet die Bundeswehr dort zunehmend militärisch „täglich Drecksarbeit“.(3) Diese soll deshalb nicht mehr zeitlich langwierigen, den einzelnen Soldaten wie die Bundeswehr insgesamt psychisch stark belastenden staatsanwaltlichen Untersuchungen ausgesetzt sein, die zudem immer stärker die Gefahr eines unsicheren bzw. negativen Ausgangs in sich bergen.
Infolgedessen übernahm die neue Bundesregierung die bereits lang erhobene Forderung der Bundeswehrführung und ihr nahe stehender Politiker nach einem „neu zu definierenden Rechtsstatus für unsere Soldatinnen und Soldaten im Kampfeinsatz“.(4) Schon länger werden die Kosten für die strafrechtliche Verteidigung bei allen Bundesbediensteten übernommen, die im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit im Ausland einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit beschuldigt oder verdächtigt werden. (5)
Das Vorhaben der Bundesregierung geht aber weit darüber hinaus. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) haben in ihren Reden vor dem Deutschen Bundestag am 19. November 2009 bzw. am 10. Februar 2010 - in Abkehr von der Auffassung der bisherigen Bundesregierungen - den Krieg in Afghanistan übereinstimmend als „nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ bezeichnet. Rechtlich ist diese Bewertung der Bundesminister ohne Bedeutung, da ausschließlich die Feststellung durch die Bundesanwaltschaft ausschlaggebend ist. Sie gab in ihrer Mitteilung vom 19. April 2010 bekannt, dass sie die Ermittlungen gegen Oberst Klein nach § 170 II StPO einstellt, da sie durch den Kundus-Luftschlag weder eine Verletzung nach dem StGB noch nach dem VStGB erkennen konnte.
Politisch ist die Auffassung der Bundesminister durchaus folgenreich. Denn diese Neubewertung müsse, so die Schlussfolgerung der beiden Politiker, Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht haben. (6) Deshalb soll laut Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP „eine zentrale Zuständigkeit der Justiz für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten, die diesen in Ausübung ihres Dienstes im Ausland vorgeworfen werden“,(7) geschaffen werden. Wie diese Zuständigkeit genau ausgestaltet werden soll, ist noch nicht endgültig geklärt. Es besteht aber die Absicht, durch die Konzentration von örtlichen Zuständigkeiten eine zentral zuständige Staatsanwaltschaft, die eine Spezialisierung innerhalb der allgemeinen Strafgerichtsbarkeit ermöglichen soll, zu errichten.(8) Der jüngste Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (BJM) weist die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Leipzig zu (§ 143 I GVG) und nicht der in Potsdam, was wegen der örtlichen Nähe zum Einsatzführungskommando erwartet wurde. Diese zentrale Zuständigkeit soll die schon bestehende Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe für Delikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch ergänzen (§ 120 I Nr. 8 GVG i. V. m. § 142a I GVG).
Weiterhin gilt der Grundsatz, dass Bundeswehrangehörige, auch bei militärischen Straftaten, der zivilen (ordentlichen) Gerichtsbarkeit unterstehen. Dennoch wird die erklärte Intention, mit der Sonderstaatsanwaltschaft die Voraussetzungen für eine schnelle und vor allem reibungslose Behandlung von Strafbarkeitsvorwürfen zu etablieren, voraussichtlich vollständig erreicht, da damit das Militär „der Gefahr einen Riegel vorschieben [kann], dass militärisches Unrecht, das man ohnehin lieber unter den Teppich gekehrt sehen möchte, juristisch aufgeklärt wird“. Denn der nach der Rechts- und Handlungssicherheit verlangenden Generalität und Regierung geht es „letztlich und unmissverständlich um die Ausstellung eines Freibriefs für künftige Bombardierungen“. (9)
Zudem bestehen hinsichtlich der Errichtung der geplanten Sonderstaatsanwaltschaft verfassungsrechtliche Bedenken, da eine solche Regelung gegen die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verstoßen könnte. (10)
Das Völkerstrafgesetzbuch
Durch die Einordnung des Afghanistankriegs als „nicht internationaler bewaffneter Konflikt“ ist für die strafrechtliche Beurteilung nicht mehr das StGB, sondern das VStGB einschlägig. Dies hat wesentliche Auswirkungen auf die Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr, auch was die Inkaufnahme von sog. zivilen Begleitschäden betrifft. Mit anderen Worten: können Soldaten erwarten, im Normalfall nicht strafrechtlich für ihre Handlungen belangt zu werden, auch wenn sie dabei voraussichtlich Zivilisten töten, so erhöht sich ungemein die Wahrscheinlichkeit solcher Aktionen.
Bisher zog aller Wahrscheinlichkeit nach der Vorwurf der Tötung von Zivilpersonen für den betreffenden Soldaten eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft wegen Totschlags (§ 212 I StGB) nach sich. Diese Norm sieht im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vor. Die entscheidende Voraussetzung zur Bejahung der Strafbarkeit wegen Totschlags ist, dass die Tötung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mit dem hier ausreichenden Eventualvorsatz geschah. Dabei muss der Täter die Tötung der Zivilpersonen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. (11)
Diese Definition beispielsweise auf den Fall des Luftschlags nahe Kundus angewandt, würde demnach voraussichtlich zu einer Verurteilung des Betreffenden führen. Betrachtet man diesen Fall im Licht des VStGBs, könnte das Ergebnis gänzlich anders aussehen. Der Wortlaut des wohl hier einschlägigen § 11 I Nr. 3 VStGB lautet: „Wer in Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt (...) mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen (...) in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, (...) wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.“ Die Voraussetzungen der Norm sehen hierbei hinsichtlich der Vorsatzform direkten Vorsatz vor, da die Tötung von Zivilpersonen als sicher erwartet werden muss. Zudem wird noch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert. Im Ergebnis bestehen also höhere Hürden für eine Verurteilung nach dem VStGB als nach dem StGB.
Bedauernswerterweise wurde von der Generalstaatsanwaltschaft durch ihre Entscheidung nun der Rückhalt für eine möglicherweise brutalere Aufstandsbekämpfung in Afghanistan mit häufigeren sog. zivilen Begleitschäden geliefert.
Anmerkungen
1) Jörg van Essen: Soldaten brauchen Rechtssicherheit, in: http://www.morgenpost.de, 07.12.2008.
2) Vgl. Ursula Welter, Rolf Clement, Christiane Wirtz: Aufklärung in Raten. Eine Ereignischronologie des Luftangriffs von Kundus, in: http://www.dradio.de, 26.11.2009.
3) Jürg Dedial: Dämmert es am Hindukusch?, in: http://www.nzz.ch, 30.12.2009.
4) Ulrich Kirsch: Wir erwarten viel von Regierung und Parlament, in: Die Bundeswehr, 10/2009, 01.10.2009.
5) Vgl. Jörg van Essen: Zivile Justiz einsatzfähig machen, S. 32-33, in: Homeland Security, 2/2009, S. 33.
6) Vgl. Guido Westerwelle: Rede vor dem Deutschen Bundestag, 10.02.2010, in: http://www.auswaertiges-amt.de.
7) Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP: Wachstum, Bildung, Zusammenhalt. Berlin, 26. Oktober 2009, S.126.
8) Vgl. F. Arndt/ S. Fischer: Gerichtsorganisation und Auslandseinsätze der Bundeswehr, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Aktueller Begriff Nr. 102/09 (20. November 2009).
9) Helmut Kramer: Kriegsjustiz durch die Hintertür, S. 5-8, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2010, S. 6
10) Vgl. F. Arndt/ S. Fischer, ebd.
11) Vgl. BGH NStZ 1983, S. 365.
Der Artikel wurde dem Ausdruck von April 2010 entnommen (www.imi-online.de). Er wurde gekürzt und vom Autor aktualisiert.