Justiz und Militär in der bundesdeutschen Geschichte

von Martin Singe

Von Anfang an hat die bundesdeutsche Justiz dem Militär in ungebrochener Tradition ihr Schutzmäntelchen angedient, das sich zugleich immer erneut abwehrend gegen PazifistInnen richtete. Hier sollen einige Aspekte dieses justitiellen Schutzes für die Bundeswehr beleuchtet werden. Vortrefflich haben vor kurzem Helmut Kramer und Wolfram Wette das Verhältnis zwischen Justiz und Pazifismus im 20. Jh. benannt: "Recht ist, was den Waffen nützt" titeln sie das von ihnen herausgegebene unbedingt empfehlenswerte Werk (Aufbau-Verlag, Berlin 2004, 432 Seiten). In einigen der folgenden Ausführungen stütze ich mich auf Informationen dieses Buches.

Gegen Wiederbewaffnung - Kampf dem Atomtod
Schon in den 50er Jahren bekamen die Bewegungen gegen die Wiederaufrüstung und gegen die Atombewaffnung (Ende der 50er Jahre) die volle Wucht der Justiz zu spüren. Als Adenauer bereits 1950/51 die Westintegration und die Wiederbewaffnung auf die Fahnen des wiedererwachten West-Deutschlands geschrieben hatte, gab es noch eine breite Abneigung in der Bevölkerung gegen jeglichen Militarismus. Umfragen sprachen 1949/1950 von einer Ablehnung der Wiederbewaffnung von 73-75% der Bevölkerung. Mit Volksbefragungen hoffte man damals, den demokratischen Mehrheitswillen öffentlich zum Durchbruch bringen zu können. Doch gegen die Organisatoren wurde regide vorgegangen. Obwohl die Volksbefragung verboten wurde, sollen sich über 9 Millionen BürgerInnen gegen Wiederaufrüstung und für einen Friedensvertrag in den autonom durchgeführten Befragungen ausgesprochen haben. Zwei in dem Hauptausschuss für die Volksbefragung tätige Personen wurden 1954 als Rädelsführer einer verfassungswidrigen, kriminellen Vereinigung zu je drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mehrheitswille der Bevölkerung sollte keine Rolle spielen. Wer gegen die Wiederbewaffnung war, galt als Opfer einer kommunistischen Verhetzungskampagne. Bereits 1951 wurde mit den §§ 88ff im Strafgesetzbuch ein Gesinnungsstrafrecht eingeführt. Mit diversen Verunglimpfungsparagraphen schützte sich der Staat vor radikaler Kritik.

Auch Demonstrationen gerieten ins Vesier der Staatsschützer. Eine Friedenskarawane der Jugend, am 11. Mai 1952 in Essen, wurde im letzten Moment verboten, fand jedoch - wegen des Verbotes mit geringerer Beteiligung - statt. Die Polizei ging nicht nur mit Knüppeln, sondern auch mit Schusswaffen gegen die Demonstranten vor. Zwei Demonstranten wurden schwer verletzt, einer starb durch einen Rückenschuss der Polizei.

Richteten sich die meisten Gerichtsverfahren in den 50er Jahren anfangs gezielt gegen Kommunisten, gerieten bald auch andere in der Friedensbewegung tätige ins Vesier der Staatsanwaltschaft. Auch Mitglieder der christlichen Friedensbewegung, die im Westdeutschen Friedenskomitee tätig waren, wurden 1960 wegen "Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung" verurteilt. Insgesamt wurden über 7.000 Helfer der Volksbefragungsaktionen für kürzere oder längere Zeit in Untersuchungshaft genommen, was oft zu beruflichen Nachteilen bis zum Verlust von Arbeitsplatz oder Werkswohnung führen konnte. Auch die Ende der 50er Jahre in Gang gekommene Bewegung "Kampf dem Atomtod", die sich gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen richtete, wurde staatlicherseits mit justitiellen Mitteln unterdrückt. Anfangs machten DGB und SPD in dieser Bewegung noch federführend mit. Die SPD verstand aber sehr bald, dass Regierungs(mit)beteiligung nur möglich werden würde, wenn sie auf den Atomwaffenkurs einschwenkte.

Maulkorb für Tucholsky - oder: Ehrenschutz für die Bundeswehr
Es geschah im Jahre 1995: Die Bundeswehr feierte ihren 40. Gründungstag. Kohl wollte das Terrain der Friedensbewegung auch symbolisch zurückerobern. Deshalb veranstaltete er einen Zapfenstreich der Bundeswehr genau an dem Ort, wo sich zwischen 1981 und 1983 mehrfach Hunderttausende FriedensdemonstrantInnen gegen die "Nach"rüstung mit Pershing II und Cruise-Missiles-Atomraketen versammelt hatten: im Bonner Hofgarten vor der altehrwürdigen Universität. Die Öffentlichkeit war nur im hintersten Bereich des Hofgartens zugelassen. Zwei Zelte mit Personenkontrollstellen sorgten dafür, dass nur der geringste Teil der Demonstranten rechtzeitig auf dem Platz waren. Bei den Kontrollen wurden vor allem Trillerpfeifen beschlagnahmt, um die Würde der Zeremonie zu wahren. Dennoch erklang während des Höhepunktes des Zapfenstreiches ein gut hörbares Trillerpfeifkonzert nebst lautstark vorgetragenen Tucholsky-Zitaten: Soldaten sind (potentielle) Mörder.

Der Kanzler gab sich selbst sehr beleidigt und rief nach einer hysterischen Bundestagsdebatte zur Frage, wie denn dem Mördergejohle staatsmächtig zu begegnen sei, seine Hofjuristen zusammen, um über ein Ehrenschutz-Gesetz zu beraten. Dies lag dann 1996 verabschiedungsreif vor: § 109b Strafgesetzbuch (Entwurf): "Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wir mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Angeblich wollte man damit die "wehrlosen Wehrpflichtigen" schützen, in Wirklichkeit aber - so wurde im Rechtsausschuss argumentiert - ging es um "Funktionsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr, den Einsatzwillen der Soldaten und die Bereitschaft der Bürger, ihren Wehrdienst zu leisten". Deshalb wurde der geplante Paragraph auch den Straftaten gegen die Landesverteidigung zugeordnet, um das Rechtsgut der äußeren Sicherheit zu schützen. Schließlich versandete das Gesetzesunternehmen jedoch nach langen Debatten endgültig 1999, da man sich keinen Vorteil für die Bundeswehr mehr erhoffte. Die Grünen betonten, dass es wichtiger sei, dass sich statt der Staatsanwaltschaft das Parlament schützend vor die wehrlose Bundeswehr stellen solle.

Der Streit um das Tucholsky-Zitat war zu diesem Zeitpunkt schon etliche Jahre im Gange. Das Verfassungsgericht hatte nach jahrelanger Auseinandersetzung den Arzt Peter Augst 1986 wegen Volksverhetzung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Das OLG hob das Urteil auf, so dass das Landgericht dann 1989 freisprach. Das Urteil löste eine Welle der Empörung aus, CDU-MdB Gerster sprach von Rechtsbeugung. Erneut kam es 1991 anlässlich des 2. Golfkrieges zu einem Strafverfahren. Ein Sozialpädagoge wurde wegen seines Tucholsky-Aufklebers auf seinem Auto zu Geldstrafe von 8.400 DM wegen Volksverhetzung verurteilt. Schließlich schuf das Verfassungsgericht hier aber doch nachträglich Abhilfe. Es wies aber eigens darauf hin, dass die Meinungsfreiheit nur den Gebrauch des Tucholsky-Wortes im Sinne eines allgemeinen moralischen Unwerturteils gegen den Krieg rechtfertige, nicht aber die Anwendung auf einen konkreten Soldaten. Das höchste deutsche Gericht sah sich zu dieser nachträglichen Urteilskonkretisierung genötigt, nachdem Politiker das Urteil als Schand- und Skandalurteil gescholten hatten.

Zur Erinnerung: Tucholsky hatte in der von Carl von Ossietzky herausgegebenen "Weltbühne" 1931 eine Glosse "Der bewachte Kriegsschauplatz" veröffentlicht, in der es u.a. hieß: "Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder." Die Glosse kommentierte eine Neuveröffentlichung der "Exhortatio" von Papst Benedikt XV. vom Juli 1915 gegen die Massenschlächterei, die während des 1. Weltkrieges von den deutschen Bischöfen nur in stark abgeschwächter, also verfälschter Übersetzung veröffentlicht worden war. Zwar wurde Ossietzky, der als Redaktionsverantwortlicher gerichtlich angegriffen wurde, schließlich freigesprochen, da eine Beleidigung nur geahndet werden könne, wenn sie gegen eine konkrete Person gerichtet sei.

Jedoch schuf man bald darauf neue Notverordnungsparagraphen zum Schutz der Reichswehr. Der 1932 geschaffene Ehrenschutzparagraph § 134 StGB lautete: "Wer öffentlich das Reich oder eines ihrer Länder, ihre Verfassung, ihre Farben oder Flaggen oder die deutsche Wehrmacht beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht, wird mit Gefängnis bestraft." Die Ehrenschutzdebatte der Bundesrepublik hat also eine nicht unbeachtliche Vorgeschichte. (Vgl. Michael Hepp, s. Literaturangaben)

Die Strafkeule des Nötigungsparagraphen - Oder: Warum sind Friedensdemonstranten so gefährlich wie die Terroristen von Beslan?
Ein beliebter Paragraph, um gegen FriedensdemonstrantInnen vorzugehen, ist der Nötigungsparagraph 240 des Strafgesetzbuches. Tausende von Sitzdemonstrierenden wurden mit diesem Gesetz strafrechtlich verfolgt. Nach der Stationierung der atomaren Pershing-II-Raketen in Mutlangen, Heilbronn und Neu-Ulm und der Cruise-Missiles in Hasselbach im Hunsrück fanden seit 1983 Aktionen Zivilen Ungehorsams statt, an denen sich Tausende beteiligten. Eine drastische strafrechtliche Verfolgungswelle war die Folge. Serienweise wurde verurteilt, ohne die Motivationen der Sitzblockierenden zu beachten. Die Tatbestände der Gewalt und der Verwerflichkeit, die Voraussetzung für die Erfüllung des Nötigungstatbestandes bilden, wurden regelrecht herbeikonstruiert. Dass eine gewaltfreie Sitzblockade gegen Atomraketen Gewalt darstelle, bedarf schon gedanklicher Akrobatik, die den meisten RichterInnen jedoch nicht fehlte. Hinzu kam die Verwerflichkeits-Konstruktion, denn nur der Nötiger, der verwerflich (früher gegen das gesunde Volksempfinden gerichtet) handelt, ist strafrechtlich zu belangen. Die Richterschaft bekam es jedoch jahrelang hin, beide Tatbestandsmerkmale zu erkennen und entsprechend zu hohen Geldstrafen und in manchen Fällen auch zu Gefängnisstrafen zu verurteilen.

Erst das Bundesverfassungsgericht stellte nach mehreren vergeblichen (Stimmengleichheit) Anläufen im Januar 1995 fest, dass bei gewaltfreien Sitzblockaden das Kriterium der Gewalt nicht erfüllt sei. Der grundgesetzlich verbürgte Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 GG) sei durch die Urteile verletzt worden. Doch gleich noch im Sommer 1995 hakte der Bundesgerichtshof nach und wollte ein Gericht, "das aus dem Ruder läuft" (Prof. Volker Krey, Richter am OLG Koblenz/Trier), wieder in die Schranken verweisen. Der benannte Mitinitiator des BGH-Beschlusses meinte seinerzeit: "Der jeweilige Standpunkt zur Frage, ob Sitzblockaden als Nötigung mit Gewalt zu bestrafen seien, ist seit langem zur "Erkennungsmelodie für links und rechts` geworden" (Neue Zeitschrift für Strafrecht 1995, S. 542f.). Der BGH hatte nun konstruiert, dass eine Sitzblockade zwar nur psychische Gewalt auf das erste zu stehen kommende Fahrzeug ausübe; doch das zweite und die weiteren Autos werden durch physische Gewalt an der Weiterfahrt gehindert, weil vor ihnen ein Auto hält (sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung).

Trotz des BGH-Beschlusses folgten die meisten RichterInnen seinerzeit dem Bundesverfassungsgericht, das das Tatbestandsmerkmal der Gewalt generell verneint hatte. In Wiederaufnahmeverfahren wurden FriedensdemonstrantInnen nun wieder massenhaft rehabilitiert. In späteren Verfahren jedoch wurde wieder zur BGH-Rechtsprechung zurückgekehrt. Vor allem die Sitzdemonstrierenden, die gegen den Irak-Krieg im März 2003 vor der US-Airbase demonstriert hatten, wurden wieder nach § 240 StGB verfolgt und bestraft. Erst im September 2005 kippte das OLG Frankfurt/Main den Nötigungsvorwurf in diesem Verfahren.

Der eigentliche Skandal an all diesen Prozessen um die gewaltfreien Sitzblockaden ist, dass die Gerichte nicht bereit sind, sich auf inhaltliche Diskussionen einzulassen. Sie übersehen regelmäßig, dass Grundrechte und vor allem das Völkerrecht den normalen Gesetzen - wie dem Strafrecht - vorausgehen und rechtssystematisch angemessen gewertet werden müssten. Zwar werden den Verurteilten meistens ehrenwerte Motive zugesprochen, aber diese werden nicht in die eigentliche juristische Prüfung einbezogen, sondern höchstens beim Strafmaß berücksichtigt. Ernsthafte Rechtsprechung müsste jedoch die von den Demonstrierenden vorgetragenen strafrechtlich relevanten Begründungen im Falle des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) würdigen und in eine ernsthafte Abwägung einbeziehen. Außerdem ist im Grundgesetz der unbedingte Vorrang des Völkerrechts vor nationalem Recht festgeschrieben und zugleich bestimmt, dass den BürgerInnen aus dem Völkerrecht unmittelbare Rechte und Pflichten zuwachsen (Art. 25 GG).

Statt dessen dient der § 240 StGB nach wie vor als Droh- und Strafkeule gegen die Friedensbewegung, scheinbar wieder verschärft unter rot-grün. Rot-grün führt schließlich alle zwei Jahre einen völkerrechtswidrigen Krieg (zur Erinnerung: März- Mai 1999: Jugoslawien; ab Sept./Okt. 2001: Afghanistan, bzw. weltweit: enduring freedom - wer weiß schon noch, dass sich die NATO seitdem immer noch im Bündnisfall/Kriegsfall befindet - ; ab März 2003: Unerstützung des Irak-Krieges der Alliierten). Gegen kontinuierlichen Völkerrechtsbruch muss sich eine Regierung gegenüber aufbegehrenden StaatsschützerInnen von unten natürlich auch staats-juristisch von oben wappnen.

Wenn Friedensbewegte zu "Straftaten" aufrufen
Ein Paragraph soll noch Erwähnung finden, der von der bundesdeutschen Justiz auch gerne gegen Friedensgesinnte Anwendung findet, der § 111 StGB - Aufruf zu Straftaten. Teilweise wurden mit diesem Paragraphen schon nur zu Sitzblockaden Aufrufende verfolgt und verurteilt. Dies war vor allem bei den Hunsrück-Blockaden der Cruise Missiles der Fall. Da meistens gar keine Autos kamen, machte sich der Staat an die Aufrufenden heran, bis hin zu einem staatsanwaltschaftlichen Einbruch in das Hunsrücker Friedensbüro (Hausdurchsuchung genannt). Serienweise wurde nach § 111 abgeurteilt.

Auch im Falle des Angriffskrieges der NATO gegen Jugoslawien gerieten Friedensbewegte ins Visier der Staatsanwaltschaft. Ein Personenbündnis hatte die beteiligten Bundeswehrsoldaten aufgerufen, dem Völkerrecht treu zu bleiben, was als Aufruf zu Straftaten gewertet wurde. Zwei Jahre lang wurden Prozesse in Berlin geführt, da "die tageszeitung"/Berlin den Aufruf als Anzeige veröffentlicht hatte. Die gerichtlichen Diskussionen bezogen sich bis hin auf die Frage, ob Bundeswehrsoldaten die taz als Lektüre präferieren. Schließlich wurde das unwürdige Gerichtsspiel vom Berliner Kammergericht beendet. Allerdings wieder mal nur mit Hinweis darauf, dass der Aufruf noch von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Aufrufenden fand nicht statt. Ein einziger Richter hatte zugestanden, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gehandelt habe und der Aufruf daher berechtigt gewesen sei.

Seit etlichen Jahren kämpfen die Mitglieder der "Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen" (GAAA) gegen die noch in dieser Republik stationierten Atomwaffen (Ramstein, Büchel) und die nukleare Teilhabe der Bundeswehr bzw. der Bundesrepublik Deutschland in der NATO. Viele von ihnen wurden wegen Aktionen gegen das EUCOM (US-Befehlszentrale auch für Atomwaffen / bei Stuttgart) und gegen den Stationierungsort Büchel strafrechtlich belangt. Zuletzt fand eine erneute Verfolgung von einer Personengruppe statt, die die Soldaten von Büchel aufgefordert hatten, sich der nuklearen Teilhabe zu verweigern. Das Amtsgericht Cochem verurteilte wieder mal nach § 111 StGB. Die Straftaten, zu denen angeblich aufgefordert wurden, entsprachen laut Zitierung der Staatsanwaltschaft den schlimmsten Straftaten aus dem Wehrstrafgesetz - bis hin zur Meuterei. Sollte einmal mehr der (atomare) Wehrwille deutscher Soldaten durch ein Flugblatt gebrochen werden? Immerhin sprach das Landgericht Koblenz die Betroffenen wieder frei (April 2005), aber wieder mal nur auf der Ebene der Meinungsfreiheit, bzw. weil der § 111 nicht wirklich für diesen Aufruf tauge. (Der § 111 StGB soll eigentlich den Staat davor schützen, dass niemand an eine unbestimmte Menge von Personen Aufrufe zu bewusst und vorsätzlich als Straftat eingeschätzte Taten verbreitet; z.B. "Zündet die Kaufhäuser an!" - "Ermordet die herrschenden Politiker!" o.ä. werden in den Strafrechtskommentaren als klassische Aufruftatbestände zitiert.) Trotz des Freispruches des Landgerichts fand in diesem Fall bei dem Koordinator der Aktion eine Hausdurchsuchung statt, angeblich zur Beweissicherung. Schließlich hat die Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Landgerichtsurteil Revision eingelegt. Die Aktiven der GAAA haben im Gegenzug eine treffliche Strafanzeige gegen den Bundesverteidigungsminister und andere für die nukleare Teilhabe politisch Verantwortlichen eingelegt. Seltsam, dass erst seitdem Politiker beginnen, öffentlich über einen Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus dieser Republik zu debattieren.

Wenn der Generalbundesanwalt gegen die Regierung ermittelt
Im Strafgesetzbuch heißt es in § 138: "Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung ... einer Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80) ... der Behörde oder dem Bedrohten Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Alle BundesbürgerInnen konnten 1999 wissen, dass die rot-grüne Bundesregierung einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg plante. Nur einige wenige jedoch erstatteten Anzeige gegen die kriegsvorbereitende Bundesregierung. Der Generalbundesanwalt, der solche Strafsachen vorprüft, ist jedoch kurioserweise ein der Regierung gegenüber weisungsgebundener Beamter. (Weh dem, der dabei daran denkt, dass der Teufel nicht mit Beelzebub ausgetrieben werden kann.) Der Generalbundesanwalt kam bei diesem Krieg nicht darüber hinaus, den Anzeigeerstattern gegenüber mitzuteilen, dass der Bundeskanzler keinen Krieg wolle, auch wenn er einen führe. Der Generalbundesanwalt zitierte schlicht und einfach die Kriegserklärung des Kanzlers, in der dieser zum Kriegsbeginn im Fernsehen am 24.3.1999 wörtlich mitteilte, dass die Bundesrepublik keinen Krieg führe, sondern nur mit militärischen Mitteln den Frieden herzustellen gedenke.

Beim Irak-Krieg - als die rot-grüne Bundesregierung den Krieg mit Gewährung von Überflugrechten, US-Kasernen-Schutz, AWACS-Einsätzen u.a.m. unterstützte - wurde dann schon geschickter argumentiert. Wieder hatten Friedensbewegte Anzeigen erstattet. Der Generalbundesanwalt argumentierte nun juristisch ausgeweitet, dass das Verbot eines Angriffskrieges im Grundgesetz (Art. 26 GG) nicht hinreichend durch das Strafgesetzbuch abgesichert sei. Das Strafgesetzbuch sei enger gefasst als die umfassendere Bestimmung des Grundgesetzes. Daher könne die Bundesregierung nicht strafrechtlich belangt worden; es liege kein hinreichender Anfangsverdacht vor.

Literaturhinweise:

Michael Hepp, Viktor Otto (Hg.) "Soldaten sind Mörder". Dokumentation einer Debatte 1931-1996, Berlin 1996

Helmut Kramer, Wolfram Wette (Hg.), Recht ist, was den Waffen nützt. Justiz und Pazifismus im 20. Jahrhundert, Berlin 2004

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.), Ziviler Ungehorsam, Sensbachtal 1992, 348 Seiten, 12,- Euro

Komitee für Grundrechte und Demokratie, Alle Soldaten sind potentielle Deserteure (Desertionsaufruf-Prozesse Jugoslawien 1999), Köln 2001, 32 Seiten, 1,- Euro

FriedensForum (Beilage Heft 3/2005), Die resist-Prozesse (Prozesse zu den Blockaden der US-Airbase Frankfurt aus Protest gegen den Irak-Krieg), Bonn, April 2005, 24 Seiten, 1 Euro

Andreas Buro / Komitee für Grundrechte und Demokratie, Geschichten aus der Friedensbewegung, Köln 2005, 240 Seiten, 10,- Euro

(Die vier letzten Veröffentlichungen sind beziehbar bei: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, 0221-9726920, info [at] grundrechtekomitee [dot] de)

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".