„Italia, ripensaci"

Kampagne gegen Atomwaffen in Italien

von Lisa Pelletti Clark
Hintergrund
Hintergrund

Der Name unserer Kampagne, um Italien dazu zu bringen, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, heißt übersetzt: „Italien, denk noch einmal nach!" oder vielleicht auch nur „Ändere deine Meinung!".

Wir starteten die Kampagne im Herbst 2016, als Italien im Ersten Ausschuss der UNO gegen die Entscheidung stimmte, eine Konferenz zu organisieren, um ein mögliches Verbot von Atomwaffen zu diskutieren. Wir waren überrascht über dieses Einknicken vor der NATO-Linie, da Italien eine ziemlich gute Erfolgsbilanz bei Abrüstungs- und humanitären Verträgen vorweisen kann: Es spielte eine führende Rolle bei der Verabschiedung der Ottawa-Konvention und des Moratoriums zur Todesstrafe und war das erste EU-Land, das den Vertrag über den Waffenhandel ratifiziert hat und eines der ersten bei der Konvention über Streumunition. Wir waren (fälschlicherweise) der Meinung, dass ein starker Druck der Zivilgesellschaft der Regierung den Weg weisen würde!

Wenn ich "wir" schreibe, meine ich den Teil der Friedensbewegung, der schon immer in Abrüstungskampagnen involviert war (insbesondere die glaubensbasierten Bewegungen innerhalb des Italienischen Abrüstungsnetzwerks) und die italienische Soka-Gakkai-Vereinigung "Senzatomica", die eine Ausstellung über nukleare Abrüstung produziert hat, die bereits von 360.000 Menschen im ganzen Land gesehen wurde. Im Jahr 2016 wurden wir ICAN-Partner.

Wir machten uns sofort an die Arbeit, schrieben an die Regierung, an die Parlamentarier*innen, von denen die meisten die Entscheidung gar nicht mitbekommen hatten. Zum Thema nukleare Abrüstung hatten wir bereits eine breite Allianz, die bis ins Jahr 2008 zurückreichte, als wir genügend notariell beglaubigte Unterschriften sammelten (mindestens 50.000in sechs Monaten), um dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die Entfernung der Atomwaffen in den beiden Luftwaffenstützpunkten Ghedi und Aviano forderte, damit Italien sich zum atomwaffenfreien Einzelstaat erklären und sich damit seinem nördlichen Nachbarn Österreich anschließen konnte. (Dieser Gesetzesentwurf wurde nie diskutiert, da kurz darauf neue Parlamentswahlen stattfanden und weder die Linke noch die Grünen, die unsere wichtigsten Partner gewesen waren, ins Parlament zurückkehrten).

Seit dem Start von „Italia, ripensaci" entwickelte sich unsere zivilgesellschaftliche Allianz schnell und schloss eine wachsende Zahl von Kommunalverwaltungen ein (was durch die Tatsache unterstützt wurde, dass ich seit 2005 einen Newsletter für die italienischen Mitglieder von Mayors for Peace herausgebe), von NGOs und Vereinen und von lokalen Gemeinschaften. Wir entwarfen Musterresolutionen für den Stadtrat und boten unsere Anwesenheit bei Ratssitzungen an, wobei wir vorschlugen, dass die gesamte Gemeinde eingeladen werden sollte. In vielen Städten wurde die Abstimmung über die „Italia, ripensaci"-Resolution zum Anlass für das Erscheinen der gesamten Gemeinde, und die meisten Räte stimmten einstimmig dafür, was zeigt, dass die stigmatisierende Wirkung des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV) bereits am Werk ist. In einer Gemeinde traut sich niemand mehr, auch nicht die militaristischsten Kräfte, sich für Atomwaffen auszusprechen.

Bürgermeister*innen und Unterschriftensammlungen
Wir haben immer wieder auf die Rolle hingewiesen, die Bürgermeister*innen haben können. In Italien gibt es eine starke Tradition, dass Städte ihre eigene Außenpolitik vorantreiben, mit Kooperationsprojekten und internationalen Allianzen. Als wir die Tatsache betonten, dass Atomwaffen dazu bestimmt sind, Städte zu zerstören, wurde den lokalen Regierungen klar, dass sie das Recht haben, sich in diesem Punkt international zu äußern. Wir haben die Unterstützung von über 200 Kommunalverwaltungen gesammelt, die alle Kopien ihrer „Italia, ripensaci"-Resolutionen an die nationale Regierung gerichtet haben, in denen sie den Widerstand ihrer Gemeinde gegen Atomwaffen und ihren Willen zum Ausdruck bringen, dass Italien dem AVV beitritt.

Wir haben Zehntausende von Postkarten gedruckt, mit unserem „Italia, ripensaci"-Logo und einem kurzen Statement, das an den Premierminister gerichtet war, um ihm mitzuteilen, dass wir wollen, dass Italien dem TPNW beitritt, und ihn zu bitten, zu berücksichtigen, was die Bürger*innen über das Thema der nuklearen Abrüstung denken. Wir verteilten sie und baten die Menschen, sie zu unterschreiben und an uns zurückzuschicken. Im Juli 2018, am ersten Jahrestag der Verabschiedung des TPNW, brachten wir viele Kisten mit über 33.000 unterschriebenen Postkarten nach Rom.

Unsere Kampagne hat sich auf die ethischen, rechtlichen und humanitären Gründe für die nukleare Abrüstung konzentriert. Die Zeugnisse der Hibakusha (Überlebende der Atombombenabwürfe auf  Hiroshima und Nagasaki) waren immer wichtig in unserer Kommunikationsstrategie: Mehrmals haben wir Hibakusha nach Italien eingeladen. Als ICAN der Friedensnobelpreis verliehen wurde, brachten wir die ICAN-Aktivistinnen Beatrice Fihn und Susi Snyder nach Rom und organisierten Treffen mit dem Sprecher der Abgeordnetenkammer, mit dem stellvertretenden Außenminister und mit großen Fernsehsendern. Wir brachten Susi auch bei mehreren anderen Gelegenheiten nach Italien, unter anderem während des Friedensmarsches von Perugia nach Assisi im Jahr 2018.

Italien hat 2017 nicht an der UN-Konferenz teilgenommen, aber es ist uns gelungen, eine Resolution im Parlament zu fördern, die die Regierung verpflichtet, die Möglichkeit eines Beitritts zum AVV zu prüfen. (Siehe https://www.icanw.org/italian_parliament_instructs_italy_to_explore_poss...).

2018 sammelten wir Unterschriften für den ICAN Parliamentarian Pledge: Über 240 Abgeordnete und Senatoren unterschrieben! Die höchste Zahl in einem Land. Nach der nächsten Wahl trat jedoch die Mehrheit von ihnen der neu gebildeten Regierung bei und hat - zumindest bis jetzt - vergessen, dass sie den ICAN Pledge unterschrieben haben.

Meinungsumfragen
Seit 2017 haben wir auch an den vier von ICAN geförderten Meinungsumfragen teilgenommen. Die angesprochenen Themen sind dieselben gewesen, auch wenn sich die Formulierung der Fragen aufgrund der wechselnden Ereignisse leicht verändert hat. Die erfreulichsten Ergebnisse dieser Meinungsumfragen, die bestätigen, dass „Italia, ripensaci" große Teile der öffentlichen Meinung erreicht hat, sind die unterschiedlichen Ergebnisse bei der Frage: „Glauben Sie, dass Italien dem AVV beitreten sollte?" Im Jahr 2019 lag das Ergebnis bei 70 % Ja-Stimmen. In den Ergebnissen, die wir am 22. Januar 2021 veröffentlicht haben, waren 87% dafür, ein Anstieg von 17% in etwa 18 Monaten! Und die andere interessante Tatsache, die die Wirkung unserer Kampagne bestätigt, ist, dass fast alle dieser zusätzlichen 17 % aus der Kategorie "weiß nicht" kommen. „Italia, ripensaci" hat Italien also vielleicht noch nicht davon überzeugt, dem Verbotsvertrag beizutreten, aber es hat dazu beigetragen, die öffentliche Meinung zu bilden (und zu formen)!

2021
Am 22. Januar 2021 waren die meisten unserer Veranstaltungen zur Feier des Inkrafttretens lokal, mit Live-Streaming. Wir entwarfen ein "Italia, ripensaci"-Plakat, auf dem die Bürgermeister*innen das Wappen ihrer Stadt hinzufügen () und ihren Bürger*innen die Nachricht verkünden konnten, dass Atomwaffen nun illegal sind: Viele Städte ließen diese Plakate drucken und hängten sie in ihren Rathäusern, aber auch in Schulen und anderen öffentlichen Orten auf. Die Kirchen ließen ihre Glocken zur Mittagszeit läuten, um den neuen Vertrag zu begrüßen. Die Medien griffen unsere Feiern auf.

Unsere nächsten Schritte sind, eine neue Resolution zu organisieren, die später im Frühjahr/Sommer im Parlament debattiert werden soll. Darin werden wir die Forderung aus der früheren Resolution (die rechtlichen Implikationen eines Beitritts zum AVV zu prüfen) verschärfen und hoffen, dass eine Mehrheit der Abgeordneten die italienische Regierung verpflichtet, als Beobachterin an der ersten Konferenz der Mitgliedsstaaten im Januar 2022 in Österreich teilzunehmen.

Ausgabe

Rubrik

Friedensbewegung international
Lisa Pelletti Clark arbeitet mit bei Beati i costruttori di pace; „Italia, ripensaci“, dem italienischen Friedens- und Abrüstungsnetzwerk, und sie ist Co-Präsidentin des International Peace Bureau.