Ideologien zur Legitimation der Neuen NATO

Kampf um Hirne und Herzen

von Andreas Buro
Schwerpunkt
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Die bipolare Welt des Ost-West-Konflikts ist mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums zu einer unipolaren Welt mit den USA als globaler militärischer Hegemonialmacht geworden. Die anderen westlichen Industriestaaten bauen nun auch schnelle Eingreiftruppen auf. Die qualitative Aufrüstung wird systematisch fortgeführt.

Die Umgestaltung der alten zu einer "neuen NATO", wie sie neuerdings offiziell genannt wird, die ausserhalb des Verteidigungsauftrages und des NATO-Vertragsgebietes, also out-of-area, tätig wird, zeigt eindeutig: Die reichen Industriestaaten unter Führung der USA organisieren ein weltweites militärisches Eingreifsystem. Die im April 1999 zu verabschiedende neue NATO-Strategie soll diese Orientierung festschreiben. Der Einsatz des Militärsystems im Golfkrieg 1991 bis hin zu den jüngsten Angriffen auf den Irak, aber auch die Angriffe mit US-Marschflugkörpern auf Ziele in Afghanistan und im Sudan illustrieren die neue Konstellation. Dabei erhebt sich die unipolare Machtstruktur sogar über die Vereinten Nationen und ihre Regionalorganisationen und instrumentalisiert diese für ihre Ziele.

Das globale militärische Herrschaftssystem der kapitalistischen Industriestaaten ist nicht mehr mit den Kategorien des Ost-West-Konflikts, die sich - zu Recht oder zu Unrecht - auf Verteidigung beriefen, zu legitimieren. Seine Errichtung widerspricht dem allgemeinen Gefühl der Menschen, nur von befreundeten Staaten umgeben und also militärisch nicht mehr bedroht zu sein. Für ein weltweites Interventionssystem und dementsprechende ständige Aufrüstung bedarf es offensichtlich neuer Legitimationen und Bedrohungsszenarien. Der Ideologiebedarf vergrößert sich ferner mit der wachsenden Erkenntnis, dass das kapitalistische Wachstumsmodell keineswegs auf die anderen Staaten übertragen werden kann - sei es wegen der Überstrapazierung von Weltökologie und Ressourcen, sei es wegen der Beherrschung der Weltmärkte für Waren und Kapital durch die industriell weit entwickelten Länder.
 

In der Bundeswehrzeitschrift `Truppenpraxis/Wehrausbildung 2/96 beschrieb Oberstleutnant Reinhard Herden, Bereichsleiter für Analysen und Risikoprognosen im Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, psycho-wirksam die neue Bedrohung: "Im nächsten Jahrhundert werden die jetzt in Frieden miteinander lebenden wohlhabenden Staaten gegen die Völker der armen Staaten und Regionen ihren Wohlstand verteidigen müssen." Diese Sichtweise kann in dem Begriff der `Festung Europa` gefasst werden. Das Bild der Festung Europa soll Zwangsmaßnahmen unterschiedlichster Art legitimieren, um die Welt der wohlhabenden Staaten gegen den Einbruch von aussen abzuschirmen. Das sich damit andeutende ideologische Grundmuster hat bedeutende Auswirkungen. Ressourcen werden nicht zur Bewältigung von Entwicklungsproblemen und Konflikten verwendet, sondern zum Aufbau von Droh- und Interventionspotentialen. Feindbilder werden geschaffen und verstärkt, die nicht nur nach außen, sondern auch in die Gesellschaften der Festung hinein spaltend und Solidarität zerstörend wirksam werden. Dies alles trägt zur Konfliktverschärfung bei und fördert Terrorismus und Gegenterrorismus, die wiederum militärische und strukturelle Gewalt legitimieren.

Der Adressat der neuen Ideologien ist vor allem die Bevölkerung in der Triade, deren Bereitschaft erweckt und erhalten werden soll, die Politik des Einsatzes von Militär als "letztem Mittel" zu akzeptieren.

Ich beobachte in der Praxis folgende Ansatzpunkte der Ideologieproduktion

1. Die im Ost-West-Konflikt siegreiche Gesellschaftsformation, die mit ihrer strukturellen Gewalt die Lebensverhältnisse der Menschen bis in die letzten Winkel des Globus mehr und mehr bestimmt, wird als die natürliche und alternativlose Ordnung deklariert. Die militärische Gewalt der G7-Triade erscheint darin als eine Polizei, die `Weltinnenpolitik` zu sichern habe. Wer von den Opfern und Ausgegrenzten dagegen rebelliert, wird zum Terroristen- oder "Schurkenstaat" abgestempelt und für die psychische Verfeindung freigegeben.

2. Die G7 werden als Vertreter der Menschenrechte dargestellt, die damit nun auch berechtigt, nein, sogar verpflichtet seien, global zugunsten der Menschenrechte, notfalls auch militärisch, einzugreifen. Dass sie beim Erkennen der Menschenrechtsverletzungen je nach ihren eigenen Interessen blind bis einäugig sind, wird geflissentlich überdeckt. Auf dieser Grundlage kann der "Mythos von der humanitären, militärischen Intervention" vortrefflich gedeihen. Das Ziel dieses ideologischen Instruments besteht darin, den BürgerInnen das Gefühl zu vermitteln, die eigenen Streitkräfte würden nur in "gerechten Kriegen" für gute Ziele eingesetzt werden.
 

3. Der Fortführung der Aufrüstung fehlte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das legitimierende Feindbild. Neuerdings wird nun der Öffentlichkeit mit erstaunlichem Nachdruck das Bild eines fast naturgegebenen Kampfes der Kulturen, der rational nicht aufgelöst werden könne, präsentiert. Dadurch soll anscheinend vermittelt werden, dass das letzte Mittel, welches über den Aufstieg bzw. Untergang der Kulturen zu entscheiden vermag, nur die militärische Gewalt sein kann. Waren und sind es bislang immer wieder die Nationen, die ihre mystische Überhöhung bei gleichzeitiger Entmündigung der Menschen im nationalistischen Rausch erfuhren, so frage ich mich, ob hier nicht die Grundlagen für Kulturgemeinschaften mit Kreuzzugscharakter gelegt werden? Der "fundamentalistische Islam" steigt sogleich pauschaliert zum neuen Feind der "guten Christenheit" auf. Gelingt es dieser Ideologie, das Bewusstsein der Menschen zu bestimmen, so wird es scheinbar überflüssig, noch die wirklichen sozialen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und kulturelle Hintergründe von Konflikten zu untersuchen - also auch nicht den Anteil, den die mächtigen Industrieländer daran haben.

In den Kämpfen um die Legitimierung von Militärgewalt geht es um Hirne und Herzen der Bevölkerung. Krieg durchbricht alle Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und zwingt den Soldaten eine doppelte Moral auf. Diese Sondersituation bedarf einer moralisch oder religiös überhöhenden Legitimation. Die Gesellschaft muss die Sondersituation des Verstoßes gegen alle normal gültigen Werte der Gesellschaft als etwas besonders Gutes, Gerechtes und Ehrenvolles akzeptieren. Im Grunde geht es um eine paradoxe Figur, denn der Verstoß gegen die Werte der Gesellschaft soll diese gerade aufrechterhalten und sichern. Deshalb muss ein Kult geschaffen werden: der Heldentod fürs Vaterland auf dem Felde der Ehre, der "Heilige Krieg" mit dem Versprechen, nach dem Tode im Jenseits glorreich empfangen und geehrt zu werden, oder eben der "gerechte Krieg", der den Werteverstoß adeln soll. Diese Kulte sind durch Zeremonien und Sanktionen zu ritualisieren und zu tabuisieren, so dass sie jeglicher kritischer Diskussion entzogen werden. Erst unter diesem Aspekt wird verständlich, warum die Bundesregierungen und die Militärführung so hartnäckig an den Ritualen der öffentlichen Gelöbnisse festhalten.

Immer wieder werden zwei zentrale Aufgaben der Friedensbewegung genannt: Die Kritik an Rüstung und Militär und die Arbeit an unserer Alternative der zivilen Konfliktbearbeitung zum friedlichen vorbeugenden, deeskalierenden und nachsorgenden Umgang mit Konflikten. Ich meine, eine dritte gleichrangige Aufgabe ist hinzuzufügen. Wir müssen die neuen Legitimationsideologien vom "gerechten Krieg" mit ihren Feindbildern analysieren, thematisieren und abwehren und ihnen Leitbilder zwischenmenschlicher Solidarität entgegensetzen.

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