Ausbrechen und aufbrechen

KatholikInnentag von unten

von Christian WeisnerHermann-Josef Tenhagen
Initiativen
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Wer die leuchtend weiße Zeltstadt auf den grünen Wiesen des Spreebogens beim Berliner "Katholikentag von unten" 1990 noch vor Augen hat, wird in diesem Jahr in Karlsruhe enttäuscht werden. Eine kurz vor dem Abriß stehende Schützenfesthalle, ein asphaltierter Parkplatz mit Zelten und gleich hinter dem begrenzenden Bahndamm die ZASt, die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber, werden in der badischen Residenzstadt Karlsruhe das Ambiente des KatholikInnentags von unten bilden. Nicht an der Residenz, sondern mitten im Leben veranstaltet die Initiative Kirche  von unten (IKvu) vom 17. bis 20. Juni den mittlerweile 6. Kvu -- erstmals als "KatholikInnentag von unten".

Was 1980 als Initiative engagierter und von der Amtskirche enttäuschter Christinnen und Christen begann, nämlich ein Forum für die Ausgegrenzten und Entrechteten, für totgeschwiegene Themen und brennende politische und theologische Fragen zu schaffen, ist inzwischen auf eine viertägige Veranstaltung mit mehreren zehntausend Gästen (Berlin) und 50seitigem Programmheft angewachsen.

Im 500sten Jahr der Kolonisierung Amerikas und im Jahr eins nach dem Golfkrieg steht die Auseinandersetzung mit den Kolonisatoren gestern und heute ganz oben auf dem Programm. Im Dreischritt von Sehen, Urteilen und Handeln wird die Kolonialgeschichte und -gegenwart unter die Lupe genommen. Auch der spezifisch deutsche Beitrag zur kolonialen Gegenwart soll dabei nicht zu kurz kommen. "Deutsche Soldaten in alle Welt?" heißt es etwa am Donnerstag nachmittag im Zelt drei - und "Alter Kapitalismus - neue Armut" parallel dazu in Zelt zwei. Am Freitag nachmittag beleuchten Christinnen und Christen aus den neuen Bundesländern ihre Kolonialerfahrung: Stichwort Militärseelsorge und Kirchensteuern im Zelt 1.

Wie alle Jahre wieder hätte die Amtskirche uns gern auf ihrem 91. Katholikentag des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) und des Erzbistums Freiburg integriert. Und wie alle Jahr wieder bewiesen die Kirchenoberen, daß Integration noch allemal Unterordnung unter ihren Kirchenbegriff des 19. Jahrhunderts meint. Auch der gesellschaftliche Ort von Christinnen und Christen wird schon sublim von oben definiert. Aus den drei Jungen und dem Mädchen auf dem Deckblatt der Werbebroschüre des 91. Katholikentages wird in der Bundeswehrwerbung mitten im Heft "eine starke Truppe": drei Soldaten und eine Soldatin. Das Zentralkomitee ist nicht umsonst das letzte auf deutschem Boden.
Die konkreten Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem 91. Katholikentag sprechen für sich. Zum Beispiel Eugen Drewermann: Zunächst vom Zentralkomitee mit bösen Worten aus-geladen, bekam er erst nach massiven Protesten der Kirchenbasis schließlich doch eine Einladung vn oben. Ob da auch eine Rolle gespielt hat, daß Drewermann zusammen mit Dorothee Sölle und Norbert Greinacher auf der Eröffnungsveranstaltung des KatholikInnentags von unten am Mittwoch, den 17. Juni dabei sein wird?

Welchen korrigierenden Einfluß die IKvu manchmal auf das Zentralkomitee und die von ihm maßgeblich bestimmte Leistung des 91. Katholikentags haben kann, zeigt das Beispiel des Priesters und frei gewählten Präsidenten von Haiti, Jean-Bertrand Aristide. Nachdem die geplante Einladung zu einer Großveranstaltung von IKvu, BDKJ und Misereor auf "offiziellem Gelände" zunächst auf Ablehnung stieß, wurde die Entscheidung der Kirchenoffiziellen revidiert, als Aristide seine Teilnahme am "KatholikInnentag von unten" zugesagt hatte. Wir freuen uns auf ihn, und wir freuen uns besonders, daß nun auch die Jugendlichen auf der gemeinsamen Großveranstaltung zum Thema Gott oder das Gold am Donnerstagabend sich ein Bild von Aristide und den Problemen in Lateinamerika machen können.
Trotz einzelner Lichtblicke entsteht für uns der Eindruck eines falschen Tiumphalismus beim Katholikentag des ZdK. Während sich der 91. Katholikentag des ZdK nämlich unter dem Motto "Eine neue Stadt entsteht" vor allem dem zusammenwachsenden starken Europa widmet, zieht sich beim Kvu die von der Theologie der Befreiung inspirierte Entkolonisierung, die "De-Kolonisierung" unserer Seelen" als roter Faden durch das Programm. Dabei werden drei thematische Schwerpunkte im Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens, Arbeitens und Feierns auf dem KatholikInnentag von unten stehen:

* 500 Jahre Conquista
die Aufarbeitung der vor 500 Jahren begonnenen leidvollen Kolonisierung Lateinamerikas und die Rolle, die Kirche im Namen Christi dabei gespielt hat,

* Kolonisierung des Christseins (Kirche, Staat und Gewissen), das erforderliche Aufbrechen sich ge-genseitig stützender autoritärer Strukturen von Kirche und Staat und

* Kolonisierung der Sexualität
die Auseinandersetzung mit einer lustfeindlichen kirchlichen Moral, die viel zu lange menschliche Sexualität kolonisiert und damit Leid und Schmerz verursacht hat.

Im Bibelhaus in der Markus-Gemeinde soll parallel zu den Schwerpunkten eine andere Herangehensweise geprobt werden, der lateinamerikanische Dreischritt "Vom Leben zur Bibel zum Leben". Die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) hat ihr Veranstaltungs- und Beratungszentrum in der Lukas-Gemeinde. Das ausführliche Programm des Kvu kann zusammen mit anderen Materialien beim kürzlich eingerichteten Karlsruher IKvu-Büro bestellt werden.

Mit den Veranstaltungen des Kvu in Karlsruhe will die IKvu Akzente zu ausgewählten Bereichen der Kolonisierung setzen, vor allem aber sollen sie Wege zur Befreiung aufzeigen, zur "De-Kolonisierung".

Damit der Kvu in Karlsruhe wirklich stattfinden kann, bleibt noch eine Menge Organisationsarbeit zu tun. Der Katholikentagsverein hat zwar auf die Schützenfesthalle und den Parkplatz verzichtet. Dennoch ist die IKvu dringend auf Spendenmittel angewiesen, um ein Defizit von mehreren 10.000 Mark zu vermeiden. Wir wollen gemeinsam Wege der Befreiung, der Kolonisierung gehen. Auf Wiedersehen "am Bahndamm" in Karlsruhe im Juni 1992.

Christian Weisner und Hermann-Josef Tenhagen arbeiten im Koordinierungskreis der Initiative Kirche von unten mit. Adresse: IKvu, Heerstr. 205, 5300 Bonn 1

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Hermann-Josef Tenhagen, Pressesprecher des Kvu, arbeitet als Journalist in Berlin.