KDV, ein langer Weg zum Menschenrecht

von Franz Nadler
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Als Menschenrechte gelten gemeinhin die 1948 von der Generalver­sammlung der Vereinten Nationen in der "Allgemeinen Erklärung zu den Menschenrechten" definierten. Dort ist ein Menschenrecht auf Kriegs­dienstverweigerung (KDV) nicht zu finden, wohl aber ableitbar.

Kleine Geschichte des Rechts auf KDV

Um den Widerstand gegen den Militär­dienst einzudämmen, hat es immer auch Ausnahmen gegeben. Als erste quasi KDV-Regelung gilt die Zusicherung der russischen Kaiserin Katharina II. von 1763, religiös bzw. politisch verfolgte Einwanderer "für alle Zeiten" vom Mi­litärdienst freizustellen. In Deutschland gilt als erste KDV-Regelung das "Gnadenprivilegium für die Mennoni­tengemeinden im Königreich Preußen" vom 25.3.1780. Zu den ersten tatsächli­chen Gesetzesvorkehrungen für KDVer kam es Ende 1917 in den Niederlanden und Dänemark. Zum Menschenrecht wurde die KDV erstmalig in Deutsch­land mit der Aufnahme in das Grundge­setz. Das Europaparlament empfahl den Mitgliedsstaaten 1977 die Anerkennung. Der bislang relevanteste Beschluß ist der der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vom 20. März 1987. Sie "appelliert an die Staaten, die Ver­weigerung des Militärdienstes aus Ge­wissensgründen als legitimen Ausdruck der Gedanken-, Gewissens- und Religi­onsfreiheit (...) anzuerkennen". Von den 44 abstimmenden Staaten enthielten sich 16 und stimmten zwei dagegen (Mozambique und Irak).

Stand der KDV-Gesetzgebung

Nach einer Untersuchung der War Resi­sters International von 1968 existierten in 19 von weltweit 78 Staaten zumindest minimale KDV-Regelungen. Die berli­ner Kampagne gegen die Wehrpflicht fand letztes Jahr heraus, daß von 43 eu­ropäischen Staaten lediglich in Bosnien-Herzegowina, Serbien/Montenegro und der Türkei die rechtliche Möglichkeit dazu vollends fehlt. Aus Asien und Afrika sind keine KDV-Gesetze be­kannt; in Amerika lediglich aus Canada, USA, Guatemala, Brasilien und Para­guay.

Kritik am KDV-Recht

So schön es ist, wenn ein Recht besteht, so muß man doch hinzufügen, daß z.B. in Guatemala, Brasilien und Paraguay die Ausführungsbestimmungen fehlen. Auch ist eigentlich immer die KDV von einem Antrag abhängig, über den dann der Staat entscheidet. Meist werden nicht alle Gründe, die zur KDV führen können, anerkannt (BRD: situative KDV). Viele sind zwar bereit, dem Staat gegenüber ihre Verweigerung kundzu­tun, nicht aber, ihre Entscheidung über­prüfen zu lassen. Manchmal wird akti­ven Soldaten die Möglichkeit verwehrt, ebenso Berufssoldaten und Freiwilligen. In Israel räumt man das Recht zwar Frauen ein, nicht aber Männern. Im Kriegsfalle wird es oft ausgesetzt; so wurden während des II. Golfkrieges KDV-Anträge von US-SoldatInnen nicht bearbeitet. Die erwähnten Emp­fehlungen für ein KDV-Recht empfeh­len, einen Ersatzdienst einzurichten. Dieser ist für viele KDVer inakzeptabel, da er die Erfüllung der Wehrpflicht dar­stellt. Vielfach soll der Zivildienst als waffenloser Dienst in der Armee ab­geleistet werden (z.B. Kroatien) oder in kriegsunterstützenden Bereichen. Oft ist er auch länger. Als z.B. die ca. 80 öf­fentlich erklärten KDVerInnen Para­guays die Entwürfe für ein Zivildienst­gesetz sahen, erklärten sie sich spontan zur Totalverweigerung. Immer mehr wird auch auf amnesty international Druck ausgeübt, inhaftierte Totalver­weigerer ebenfalls als Gewissensgefan­gene anzusehen und sich für ihre Frei­lassung einzusetzen.

Desertion

Während KDVer manchmal mit einer gewissen Schonung rechnen können, sind sich alle Staaten einig, daß die De­sertion, insbesondere im Krieg, bestraft werden muß. In der BRD warten die Deserteure des II. Weltkrieges noch immer auf ihre Rehabilitierung. In Ex-Jugoslawien kamen eine halbe Million den Einberufungsbefehlen nicht nach; in der Türkei wird momentan nach 200.000 gefahndet. Im Irak erging 1994 ein Befehl, Deserteuren die Ohren abzu­schneiden, trotzdem desertierten inner­halb weniger Monate Zehntausende.

Termine:

* Internationales Deserteurs-Netz­werkstreffen: 23,-25. Juni 1995 in Budapest/Ungarn. Infos bei AG "KDV im Krieg", Franz Nadler, Querstr. 23, 63065 Offenbach, Tel.: 069-815128, Fax: 069-845016.

* Europäisches KDV-Treffen: 27.8.-3.9. in Griechenland. Infos bei IdK Berlin, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: 030-6938021, Fax: 030-7859501.

KDV und Asyl

Heinrich ("Heiner") Geißler schrieb 1960 in seiner Doktorarbeit: "An der Formulierung des Art 4 III ("Niemand") geht eindeutig hervor, daß dieses Grundrecht ein Menschenrecht ... ist, d.h. das Anspruchssubjekt des Art. 4 III 1 ist nicht auf Staatsangehörige, Inlän­der, Deutsche etc. beschränkt, sondern umfasst "jedermann"." (Zur Klarstellung: In der Schrift wird die Auffassung ver­treten, daß das Grundrecht auch von Frauen in Anspruch genommen werden kann. - fn) Wie weit die Praxis vom An­spruch entfernt ist und das deutsche KDV-Recht einer transnationalen Mili­tärraison unterliegt, macht die Begrün­dung eines bis heute wegweisenden Ur­teils des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahre 1985 deutlich, womit das Asylbe­gehren eines jugoslawischen Deserteurs abgelehnt wurde: "Die sowohl inner­staatlich als auch völkerrechtlich aus­drücklich anerkannte allgemeine Wehr­pflicht ist ein legitimer Ausfluss der je­dem Staat kraft seiner Souveränität zu­stehenden Wehrhoheit. Dies ... bean­sprucht Geltung auch für weltanschau­lich totalitäre Staaten." - und: "Jedem Staat steht ... die Befugnis zu, sich vor der eigenmächtigen Entfernung von der Truppe bewirkten Schwächung der Wehrkraft zu schützen."

KDV-Bewegung

Das Menschenrecht auf KDV ist nicht als Geschenk der Staaten zu erwarten, sondern muß von den Verweigerern und Verweigerinnen selbst erkämpft werden. KDVer und Deserteure sind eine An­klage gegen unsere militarisierten Ge­sellschaften, sie fordern die Abschaf­fung der Wehrpflicht und des Militärs. Dazu arbeiten das Internationale Deser­teurs-Netzwerk, welches sich in Kürze in Ungarn trifft und die Arbeit mit De­serteuren aus dem jugoslawischen, aber auch anderen Kriegen beraten wird. Das Internationale KDV-Treffen findet die­ses Jahr in Griechenland statt, wo der­zeit fast 400 KDVer, die zu jeweils 4 Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, einsitzen.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt