Buchbesprechung

Kein Brot für die Welt

von Jos Schnurer

Das Skandalon des Hungers in der Welt tönt lauter und vernehmlicher; wird es auch gehört? Die Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) der Vereinten Nationen hat den Alarmruf beim Gipfeltreffen im November 2009 in Rom in die Weltöffentlichkeit gebracht: Entgegen dem in der Millenniumserklärung feierlich proklamierten Versprechen, bis zum Jahr 2015 die Zahl der Hungernden auf der Erde zu halbieren – von 840 Millionen im Jahr 2000 auf 420 Millionen – hungerten 2009 mehr Menschen, rund 1 Milliarde, also jeder sechste Mensch, der auf der Erde lebt. Der humane Skandal wird noch greifbarer: Täglich sterben auf der Welt rund 25.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger. Zahlreiche Szenarien und Berichte weisen seit Jahrzehnten auf die Katastrophe hin; doch die Entwicklung der Menschheit scheint allen Warnrufen und konkreten Vorschlägen für eine menschenwürdige und gerechte Verteilung der Güter auf der Erde zuwider zu laufen: Die Wohlhabenden und Satten werden wohlhabender und satter, die Habenichtse ärmer und hungriger. Die Hungerschere öffnet sich immer weiter und schneller von Norden nach Süden. Die aristotelische Definition, dass der Mensch ein zôon politikon, ein politisches Lebewesen sei, vernunftbegabt und sozial, ist zur Farce verkommen. Während die FAO davon ausgeht, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts das Doppelte der Erträge von Nahrungsmittel von heute auf den Feldern der Welt geerntet werden müssen, um die wachsende Erdbevölkerung ernähren zu können, ist von einer neuen Welternährungspolitik weit und breit nichts zu sehen. Da geht es um die Verteidigung des status quo für die Satten, während die Hungernden immer mehr werden.

„Die Krise der Welternährung ist eine Frage der Politik“, stellt (auch) der Agrarwissenschaftler und WDR-Journalist Dr. Wilfried Bommert in seinem Buch „Kein Brot für die Welt“ fest. „Die Krise der Welternährung ist aber auch eine Frage der Zeit, und die läuft gegen uns“, ergänzt er. Dort reflektiert er die vielfältigen zusammenhängenden Aspekte einer verfehlten, turbo- und raubtierkapitalisierten Menschenpolitik der Reichen gegen die Armen; derjenigen im „Schlaraffenland“ gegen diejenigen in den Elendsländern der Erde. Aber die ursprünglich als Differenz gekennzeichnete Unterscheidung der Menschen in den Industrieländern gegen die in den Entwicklungsländern – Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer – hat längst diese Nord-Süd-Grenze überschritten; Armut und Hunger ist mittlerweile in den „satten“ Ländern angekommen und hat sich in den traditionellen Hunger-Ländern potenziert. In New York, in Tokio, Berlin…steigt die Zahl der Menschen, die in Suppenküchen und „Tafeln“ nach Essbarem anstehen; in den Elendsquartieren der Megastädte des Südens, in Haiti, auf den Philippinen, in Mexiko, Afrika…, sterben die Menschen wie die Fliegen, weil sie nichts zu essen haben.

Die Ursachenbeschreibungen dafür, auch die wissenschaftlichen Analysen, dass Hunger keine wirkliche Folge von Nahrungsmittelknappheit sei, sondern von Ignoranz und politischer Kurzsichtigkeit und Egoismus, liegen längst vor. Der rapide sich vollziehende, menschengemachte Klimawandel trägt zudem dazu bei, dass sich die Kluft zwischen dem wohlhabenden Norden und dem armen Süden weiter vertieft; aber auch, dass die bisherigen Ackerbaugebiete, etwa in Spanien und anderen Ländern Europas, zu Wüsten werden; in noch stärkerem Maße freilich die bereits heute unfruchtbaren Böden, etwa in Afrika, China, Australien und anderen Regionen der Erde. Die Weissagung, über die noch vor wenigen Jahren gelächelt wurde, dass nämlich künftig Kriege auf der Erde nicht mehr um Land und imperiale Macht geführt werden würden, sondern um Wasser, ist mittlerweile an vielen Stellen der Erde bereits drohende Wirklichkeit. Der Kampf ums Wasser wird, wenn er sich nicht zu weltweiten, gewaltsamen Auseinandersetzungen potenzieren soll, ungeheure erfinderische, technische und finanzielle Anstrengungen erforderlich machen, wie etwa Flussumleitungen, Meerwasserentsalzung und gerechte Wasserverteilungssysteme.

Für das Problem, das bisher weltpolitisch und ideologisch wie mit der Kneifzange angefasst wird, gibt es zwar theoretische Strategien, aber kaum wirkliche Lösungsansätze: Die Weltbevölkerungsentwicklung. Wie tragfähig ist die Erde, angesichts der zunehmenden Zahlen der Menschen? Wie lässt sich das ungleichgewichtige Verhältnis von Weltbevölkerung und Weltlandwirtschaft auf sustainable development, eine tragfähige Entwicklung bringen (vgl. dazu auch: Bericht der Brundtland-Kommission von 1987)? Es geht weiter mit „Lust auf Fleisch“, die die Menschheit gepackt hat. Der Zusammenhang von Trog und Teller lässt die Getreidepreise ins Unermessliche steigen und damit für diejenigen, die sich von Getreide ernähren, unbezahlbar werden. Gleichzeitig werden die Getreidemengen – für ein Hähnchen rund drei Kilo, für ein Kilo Schweinefleisch vier, ein Kilo Rindfleisch neun Kilogramm Getreide – zu Turboladern auf den Weltmärkten. Eine weitere Station auf dem Feld der globalen Unübersichtlichkeit stellt die neue Landflucht der Bevölkerung überall auf der Welt dar. Die Verheißungen, dass in den urbanen Zentren die Menschen bessere (und leichtere) Arbeits- und Überlebensmöglichkeiten fänden, sind längst in den Slums und menschlichen Überflutungsgebieten untergegangen. Dabei, so weisen die Berichte über die Landflucht nach, gäbe es genug Anbau- und damit auch Ernährungsgrundlagen in den Dörfern, würden nur die strukturellen Bedingungen verändert werden: Großgrundbesitz, Ausbeutung, Erbrecht, Anbaumethoden… . Derzeit bereits leben mehr Menschen auf der Erde in den urbanen Gebieten als auf dem Lande; und in weniger als zwei Jahrzehnten werden es mehr als zwei Drittel sein. Die Folgen, Unregierbarkeit, nicht mehr funktionierende soziale Systeme, Lebensfeindlichkeit usw. zeigen sich bereits heute in vielen Millionenzentren. Die Horrorentwicklung setzt sich fort mit dem „GAU der Artenvielfalt“.

Mit dem Hybridanbau und der vermeintlichen Steigerung von Ernteerträgen traten weltweit eine Verarmung der Böden und eine Reduzierung des Pflanzenreichtums auf der Erde ein. Die gentechnisch veränderten Samen und Pflanzen und die zwangsläufig damit verbundenen Monokulturen führen zur Abhängigkeit der Bauern von der Agroindustrie, zu vermehrtem Schädlingsbefall und – wen wundert`s – zu geringeren Erträgen. Die Selektionen bei Pflanzen und Tieren wiederum bewirken Krankheiten, Schädlingsbefall, BSE und damit auch gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Menschen. Die mit großen und euphorischen Erwartungen in den 1960er Jahren eingeläutete so genannte „Grüne Revolution“ mit dem Versprechen, Unterernährung und Hunger damit in der Welt besiegen zu können, wurde von den Agrarwissenschaftlern längst ad acta gelegt; das„big is efficient“ wurde, zumindest in der Theorie und bei lokalen Projekten, vom „small is beautiful“ abgelöst. „Die „Tortillarevolte“ 2007 in Mexiko steht für eine weitere Fehlentwicklung in der Nahrungsmittelproduktion: Wenn Mais nicht mehr für einen bezahlbaren Preis für die Ernährung der Menschen zur Verfügung steht, sondern mit höheren Renditen für die Biospritraffinerie eingesetzt wird, wächst die Konkurrenz zwischen „Tank und Teller“ – und die Menschen verlieren dabei.

Fazit
Ist die Menschheit von Sinnen? Wo bleiben der so viel gepriesene Verstand und das rationale Denken der Menschen? Sie bleiben auf der Strecke, wenn nicht endlich sich ein globaler Perspektivenwechsel vollzieht, der wegführt von den „Immer-mehr“– Erwartungen derjenigen, die genug und zu viel haben und hinführt zu einem Bewusstsein, dass die Menschen auf der Erde zu einer Menschheitsfamilie gehören, in der es ein gerechtes Leben geben muss, sollen die Mitglieder sich nicht durch Kampf ihren Anteil holen; denn dann wäre das Konzept der „Menschheitsfamilie“ gescheitert. Die Verhandlungen, die bei der FAO in Rom über die Verhinderung der Katastrophe geführt wurden, wurden abgebremst durch die Egoismen nicht zuletzt der Länder, die von der Krise der Welternährung noch nicht direkt betroffen sind.

Wer suchet, der findet – nämlich Konzepte und Alternativen, wie die Welternährungskrise überwunden werden könnte. Wilfried Bommert zeigt eine Reihe davon auf, in allen Kontinenten und Regionen unserer (Einen) Welt. So ist die Sammlung von Horroranzeigen gleichzeitig ein Aufrüttel-Buch für Politiker und alle Angehörigen in den Zivilgesellschaften unserer Erde, also auch für dich und mich. Weil aber die Hoffnung zuletzt stirbt und der Treibriemen für Hoffnung immer nur ein aufgeklärtes, humanes Bewusstsein der Menschen sein kann, deshalb ist das Buch von Wilfried Bommert wichtig, auch mit den zahlreichen Statistiken, Grafiken und Kartenmaterialien. Zusammen mit dem „Atlas der Globalisierung“ ist es Handwerkszeug und Argumentationshilfe für das notwendige Engagement: Eine bessere Welt ist möglich!

Die Besprechung wurde dem Rezensionsdienst „socialnet“ entnommen: Jos Schnurer. Rezension vom 29.12.2009 zu: Wilfried Bommert: Kein Brot für die Welt. Riemann Verlag (München) 2009. Orig.-Ausg., 1. Auflage. 351 Seiten. ISBN 978-3-570-50108-5, 19,95 €. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/8711.php, Datum des Zugriffs 29.01.2011.

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Hintergrund
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer ist ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim.