Krieg in Syrien

Kein Frieden in Nordsyrien in Sicht

von Elke Dangeleit
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Während die Welt von der Corona-Pandemie in Atem gehalten wird, führt die Türkei in Nord- und Ostsyrien weiter Krieg. Dschihadistische Milizen, von der Türkei ausgebildet und finanziert, vertreiben die kurdische, christliche und ezidische Bevölkerung aus den von der Türkei besetzten Gebieten durch tägliche Angriffe mit Drohnen und Artillerie, der Sperrung eines Wasserwerks oder in Brand setzen von Ackerbauflächen. Sie sabotieren damit gleichzeitig die Bemühungen der Bevölkerung in der Corona-Prävention. Hilfen durch die internationale Gemeinschaft sind nicht in Sicht.
Die demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien versucht mit Aushängen, Fernsehbeiträgen und in den sozialen Netzwerken die Bevölkerung über die Corona-Pandemie aufzuklären. Hände waschen, Abstandsregeln einhalten, nur für das Nötigste das Haus verlassen, ist auch dort die Botschaft. Aber wie sollen die Regeln eingehalten werden, wenn es zum Beispiel an Wasser fehlt?

Seit Wochen hat die Türkei mit der von ihr finanzierten sogen. “Nationalen Syrischen Armee“ der Region rund um Hasaka den Wasserhahn abgedreht. In der türkisch besetzten Stadt Sere Kaniye befindet sich das Wasserwerk Alouk, das die ganze Region mit Wasser versorgt. In der Region leben tausende Binnenflüchtlinge aus dem seit 2018 von der Türkei besetzten Afrin im Nordwesten und den seit Oktober 2019 besetzen Gebieten um Sere Kaniye und Girê Spî in den Flüchtlingscamps Washokani und al-Arisha.  Betroffen seien rund 460.000 Menschen, berichtet al Monitor (1), darunter auch die christlichen Gebiete um Till Tamer. Die syrische Nachrichtenagentur Sana spricht von 600.000 Menschen.

Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Antje Leendertse, bestätigt in einer Antwort auf die Anfrage der Bundestagsabgeordneten Evrim Sommer (Linke): „Angesichts aktuell erhöhter Wasserbedarfe zur Sicherstellung angemessener Hygiene zur Infektionsprävention könnte eine reduzierte Wasserversorgung schwerwiegende humanitäre Folgen haben." (2)

Selbstverwaltung fordert Einhaltung des Waffenstillstands in Syrien
Angesichts der Corona-Pandemie appellierte die UN an alle Konfliktparteien weltweit, die Waffen ruhen zu lassen und sich auf die Bekämpfung der Pandemie zu konzentrieren (s. Blickpunkt in diesem Heft). Der Appell blieb in der Türkei ungehört. Im April gab es mehrere Angriffe auf christliche Dörfer im Nordosten Syriens bei der Stadt Tell Tamer und in der zur Selbstverwaltung gehörenden Region rund um den Habur-Fluss. Trotz Corona-Krise feierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu den Tod von vier Soldaten der SDF (Syrian Democratic Forces) und von zwei Soldaten der syrischen Armee. Das türkische Verteidigungsministerium berichtete von der „Eliminierung“ von 10 Mitgliedern der kurdischen Einheiten YPG in der Region durch türkische Einheiten.

Innerhalb der besetzten Gebiete gehen die Vertreibungen ebenfalls unvermindert weiter. Mitte April verschleppten türkische Soldaten einen einflussreichen arabischen Stammesführer aus seinem Dorf bei Tall Abyad (Girê Spî). Er war aufgrund der türkischen Invasion im Oktober 2019 aus seinem Dorf geflohen und kehrte erst im März 2020 wieder zurück. Die türkischen Invasoren vertrieben in der Region Tausende Kurd*innen, Araber*innen und Christ*innen und siedelten stattdessen Familien von Dschihadisten aus Ost-Ghouta, Homs und Idlib an. Das Gouverneursamt von Antep/Türkei bestätigte einen Konvoi von 137 Fahrzeugen und 14 Bussen, der über Karkamıs (Türkei) mit Angehörigen von Dschihadisten am 20. April Girê Spî (Nordostsyrien) erreichte. (3) Auch die symbolträchtige Stadt Kobane, die im Januar 2015 von den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ vom IS unter großen Verlusten der kurdischen Kämpfer*innen befreit wurde, wird immer wieder von türkischen Kampfdrohnen angegriffen.

Seit Anfang Mai werden, wie bereits im Vorjahr, Felder bei Ain Issa und Girê Spî mit Artillerie beschossen und in Brand gesetzt. Bei Girê Spî wurden die Weizendepots durch Granatenbeschuss in Brand gesetzt. Auch die ausgesandten Löschtrupps werden beschossen, so dass sich die Feuer ungehindert ausbreiten können. Mitte Mai wurden westlich von Kobane durch Artilleriebeschuss mehr als 82 Hektar Weizenanbaufläche durch die Brände zerstört. Damit wird versucht, der Bevölkerung, die mehrheitlich von der Landwirtschaft lebt, die Lebensgrundlage zu nehmen. Bauern, die in der Nähe der türkischen Mauer ihre Felder haben, werden von türkischen Grenzsoldaten davon abgehalten, ihre Felder zu bestellen. Zuletzt wurde am 17. Mai ein Bauer bei einer Kleinstadt in der Nähe von Dêrik beim Bestellen seiner Felder von türkischen Grenzsoldaten erschossen. Die Brände nehmen mittlerweile dramatische Ausmaße an. Am 20. Mai haben Artillerieangriffe auf die strategisch wichtige Verbindungsstraße M4 und umliegende Dörfer bei der Stadt Ain Issa Felder in der Region in Brand gesetzt. Das Feuer greift mittlerweile auf Wohngebiete über. Über Ain Issa kreisen türkische Kampfjets. Die Selbstverwaltung befürchtet einen Großangriff der Türkei auf das Gebiet der Selbstverwaltung, berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANF. (4)

Internationale Hilfe kommt in Nordsyrien nicht an
Noch scheinen Nord- und Ostsyrien von Covid-19 bis auf wenige Fälle verschont zu sein. Oder es ist nicht bekannt, weil es dort kaum Testmöglichkeiten gibt und das Gesundheitssystem der Selbstverwaltung durch das Rundum-Embargo am Rande des Kollapses ist. Was ihnen besonders Sorge bereitet: Keiner weiß, wie die Situation in den von der Türkei besetzten Gebieten Afrin, Sere Kaniye oder Girê Spî ist, denn die Präsenz der türkischen Soldaten und der rege Grenzverkehr der verbündeten Islamisten in die Türkei stellt eine große Gefahr dar, den Virus aus der Türkei einzuschleppen. Von der syrischen Zentralregierung ist keine Hilfe zu erwarten, denn der föderale Ansatz in Nordsyrien wird von der syrischen Zentralregierung eher als Bedrohung denn als Lösung betrachtet. Hilferufe angesichts der prekären Situation des Gesundheitswesens werden nicht erwidert, Warentransporte in den Norden mit zusätzlichen Wegezöllen belegt, internationale Hilfslieferungen für Syrien dem Norden vorenthalten. Daher appelliert die Selbstverwaltung an die Internationale Gemeinschaft, die Region Nordsyrien bei Hilfen gegen Corona nicht zu vergessen. Es sei wenig hilfreich, darauf zu vertrauen, dass internationale Hilfe für das syrische Regime auch in Nord- und Ostsyrien ankomme.

In Deutschland gibt es daher zahlreiche Initiativen wie Städtepartnerschaftsvereine und NGO‘s die mit Spendenkampagnen versuchen zu helfen: Die Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane e.V. sammelt Spenden für eine Mobile Klinik in Kobane, der Städtepartnerschaftsverein Friedrichshain-Kreuzberg-Dêrik e.V.  sammelt Spenden für eine Mobile Klinik für das dörfliche Umland von Dêrik, die Städtefreundschaft Oldenburg-Afrin sammelt Spenden für ein Krankenhaus in der benachbarten Sheba-Region, wo hunderttausende Flüchtlinge aus Afrin in Flüchtlingscamps leben.(7)

Anmerkungen
1 https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/turkey-backed-syrian-...
2 https://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkei-mit-verstoessen-gegen-das-vo...
3 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/tuerkischer-gouverneur-bestaetigt-k...
4 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/massive-angriffe-auf-rojava-19275?f...
5 https://frankfurt-kobane.org/, https://staepa-derik.org/2019/10/spendenaufruf-fuer-eine-mobile-klinik-i..., https://linkes-buendnis-oldenburg.de/index.php/2-uncategorised/52-das-av...

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Elke Dangeleit ist Ethnologin und Journalistin und befasst sich seit den 80er Jahren mit der Kurd*innenfrage. Aktuell schreibt sie darüber für die Internetzeitung ‚Telepolis‘, ist Kommunalpolitikerin für ‚Die Linke‘ im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Mitglied der Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V.