Klage der Kampagne erfolgreich

Kein Sondernutzungsrecht für Bundeswehrgelöbnisse

von Ralf Siemens

Seit Jahren überzieht die Bundeswehr die Republik mit Gelöbnissen. Allein 2005 wurden über 150 Gelöbnisse außerhalb von Kasernen durchgeführt. Damit diese zweifelhafte Traditionspflege protest- und störungsfrei stattfinden kann, lässt sich das Militär das Hausrecht für öffentliches Land um den Ort des Gelöbnisses übertragen. Gegen diese Praxis hat die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär geklagt und Anfang Mai vor dem Verwaltungsgericht Berlin Recht bekommen. Bei diesem Rechtsstreit geht es um nichts Geringeres als um die Verteidigung des Versammlungsrechts gegen die Machtansprüche staatlicher Institutionen. Darf der Bundeswehr für die Durchführung eines Gelöbnisses ein Sondernutzungsrecht eingeräumt und somit das Versammlungsrecht ausgehebelt werden?

 

Das zentrale Gelöbnis der Bundeswehr wird seit 1999 jeweils am 20. Juli am Bendlerblock, dem Berliner Sitz des Wehrministeriums, durchgeführt. Nach den Erfahrungen von 1996 und 1998, als die beiden ersten Gelöbnisse in Berlin zum Teil massiv gestört wurden, beantragte das Militär erstmals für 1999 ein „Sondernutzungsrecht". Grundlage ist das Straßenrecht. Danach kann die. zuständige Verwaltungsbehörde dem Antragsteller ein öffentliches Areal zur privaten Nutzung für einen bestimmten Zweck übertragen. Seither hat das Land Berlin der Bundeswehr in jedem Jahr ein weiträumiges Areal zur „Sondernutzung" übertragen. Feldjäger kontrollieren den Zugang und setzen das Hausrecht durch. Dennoch blieben diese Gelöbnisse nicht unbedingt störungsfrei. Erinnert sei an 1999, als etwa 20 AktivistInnen über den Gelöbnisplatz liefen und Schirme mit Aufschriften wie „Nie wieder Krieg" und „Tucholsky hat recht" zeigten, oder an 2001, als zwei Frauen, die sich als Töchter des damaligen Ministers Scharping ausgaben, in einer chauffierten Limousine sämtliche Feldjägersperren passieren und am Gelöbnisort Lärm machen konnten.

Das zuständige Berliner Bezirksamt erteilte der Bundeswehr 2004 ein großräumiges Sondernutzungsrecht nicht nur für das laufende Jahr, sondern „jeweils am 20.07. eines Jahres (...) bis auf Widerruf". Im Widerspruchsverfahren räumte die Behörde zwar ein, dass „der Sondernutzungsbereich sehr umfangreich ist, nur sporadisch tatsächlich und zeitlich genutzt wird". Doch weil das Gelöbnis „unmittelbar im öffentlichen Interesse" stehe, müssten die Rechte anderer zurückstehen. Außerdem sei der Sondernutzungsbereich zur „Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung erforderlich". Kundgebungen innerhalb des Sondernutzungsbereichs wurden untersagt, da es sich um „Privatgelände" handele, „auf dem die Bundeswehr das Hausrecht in bürgerlich-rechtlichem Sinne“ ausübt und das deshalb für andere Veranstaltungen „faktisch und rechtlich nicht zur Verfügung" steht (Auflagenbescheide der Polizei). Eine elegante Aushebelung des Versammlungsrechts.

Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hat am 3. Mai 2006 den Sondernutzungsbescheid des zuständigen Bezirksamtes von Juli 2004 aufgehoben und der Klage, vertreten durch Ralf Siemens und den Rechtsanwalt Sänke Hilbrans, stattgegeben. In der mündlichen Verhandlung - das Urteil liegt noch nicht schriftlich vor - machte das Gericht nicht nur juristische, sondern auch rechtspolitische Bedenken deutlich. Es sei fragwürdig, wenn „ein Hoheitsträger einem anderen Hoheitsträger zur Durchführung eines hoheitlichen Aktes" öffentliches Areal zur Nutzung übertrage. Wenn die Bundeswehr wirklich meine, ihre Gelöbnisse großräumig absichern zu müssen, stünde es ihr frei, einen „militärischen Sicherheitsbereich" einzurichten, so das Gericht. Durch Erteilung der Sondernutzungserlaubnis werde die Einrichtung eines „militärischen Sicherheitsbereichs" nur umgangen. Die von der Bundeswehr behauptete „Gefahrenabwehr" sei „keine Sondernutzung" im Sinne des Straßenrechts. Die Bundeswehrvertreter betonten vor Gericht, dass sie einen militärischen Sicherheitsbereich nie und nimmer einrichten würden, da sie schlechte Presse befürchteten. Ihre Vorschriften würden sie zwingen, einen solchen Bereich durch Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht! Schusswaffengebrauch!" zu kennzeichnen. Und, hierin ist der Bundeswehr zuzustimmen, das würde sich nicht gut machen. Es würde zeigen, worum es bei der Bundeswehr eigentlich geht.

Das Gericht hat die Berufung ausdrücklich zugelassen und den Streitwert von 5.000 auf 15.000 Euro erhöht. Einiges spricht dafür, dass Berufung eingelegt wird. Anderenfalls hätte das Urteil nicht nur Konsequenzen für die Berliner, sondern für alle Bundeswehrgelöbnisse. Das bequeme und „zivile" Mittel des Straßenrechts als Sperre gegen das Versammlungsrecht hätte ausgedient.

 

 

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Ralf Siemens ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung in Berlin. http://www.asfrab.de