Weißbuch 2016

„Kein Zugzwang – aber auch kein Tabu“?

von Marek Voigt

„Verteidigungs“ministerin Ursula von der Leyen steckte zum Start des Weißbuchprozesses den Rahmen für die künftige sicherheitspolitische Orientierung ab: „Aus den genannten Prinzipien leitet sich kein starres Handlungsmuster ab, das unseren Interessen unverrückbare geographische oder qualitative Grenzen setzt. Daraus leitet sich auch kein starrer Handlungskatalog ab, keine Checkliste für Auslandseinsätze, kein Zugzwang – aber auch kein Tabu.“ Keine geographischen Grenzen für Bundeswehreinsätze, keine qualitativen Grenzen und kein Tabu – das sind die Vorgaben für die Erstellung des neuen Weißbuchs 2016.

Weißbücher sind die wichtigsten sicherheitspolitschen Grundlagendokumente, wichtiger noch als die Verteidigungspolitischen Richtlinien. Nach einem analytischen Teil, der die allgemeine sicherheitspolitische Lage einschätzt, folgt ein programmatischer Teil, in dem ausbuchstabiert wird, welche Fähigkeiten diese Lage angeblich von der Bundeswehr erfordert („sicherheitspolitische Ableitung“).

Ausgangspunkt für die Erstellung dieses Weißbuchs sind die Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage im Vergleich zum letzten Weißbuch von 2006, der gescheiterte Afghanistankrieg, der militärische Erfolg des Islamischen Staats in Syrien und Irak und nicht zuletzt die Ukraine-Krise, aber auch die 2014 von Gauck, Steinmeier und von der Leyen ausgegebene Parole „Verantwortung“.

Die Weißbuch-Erstellung ist auch im Zusammenhang zu sehen mit den Strategie-Papieren des Entwicklungsministeriums („Zukunftscharta“) und des Auswärtigen Amts („Review“), der neuen, noch stärker gegen Russland gerichteten Aufrüstung der NATO („Readiness Action Plan“) sowie der Überarbeitung der Europäischen Sicherheitsstrategie, die ebenfalls 2016 abgeschlossen werden soll.

Über die Inhalte lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht viel sagen, denn der Prozess ist offener als in früheren Jahren, als Verantwortliche im Stab des Verteidigungsministeriums Entwürfe verfassten, die allenfalls von VertreterInnen anderer Ministerien kommentiert wurden. Aber durch die Themensetzung, die Auswahl der handverlesenen Gäste und durch einige ständig wiederholte Thesen lassen sich Rückschlüsse auf die Inhalte des Papiers ziehen.

Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Ukraine-Krise, denn in den Führungsebenen der beteiligten Ministerien geht man davon aus, dass es im Verhältnis zu Russland „keine nur vorübergehende Wetterverschlechterung, sondern einen Klimawandel“ gegeben hat. Dementsprechend soll die „kollektive Verteidigung“, also die aggressivere Politik der NATO gegenüber Russland, in diesem Weißbuch eine größere Rolle spielen als in den beiden vorherigen Ausgaben. Besonders besorgniserregend ist das vor dem Hintergrund, dass das Weißbuch für etwa zehn Jahre gültig bleiben soll, das heißt, die Konfrontationspolitik gegen Russland soll für eben diesen Zeitraum zementiert werden. Daneben wird vor allem die weitere Verschränkung von zivilen und militärischen Instrumenten unter dem Schlagwort „vernetzter Ansatz“ festgezogen werden, daran lassen die bisherigen Äußerungen der Beteiligten keinen Zweifel.

Die Erstellung des Weißbuchs spielt sich in zwei Phasen ab. Die erste Phase ist eine sogenannte Partizipationsphase, die am 20. Oktober abgeschlossen wird. Hier geht es darum, mit den von Verteidigungsministerium (BMVg) und  Auswärtigem Amt (AA) für wichtig gehaltenen GesprächspartnerInnen (VertreterInnen von Partnerstaaten, Bündnissen, anderen Ministerien, aus Politikberatung, Wissenschaft, Wirtschaft und ausgesuchten Teilen der Zivilgesellschaft) möglichst viel Input zu erhalten, der dann in einer zweiten Phase („ressortübergreifend“) in eine von der Bundesregierung zu verabschiedende Vorlage einfließen soll.

Von der Leyens Behauptung, die Diskussion werde „nicht im stillen Kämmerlein stattfinden“, man wolle „viele verschiedene Stimmen hören“, ist allerdings irreführend, denn kritische Organisationen aus der Zivilgesellschaft oder gar aus der Friedensbewegung hält man im Verteidigungsministerium für irrelevant. Zudem werden die im Zentrum der Partizipationsphase stehenden neun Workshops sämtlich nicht-öffentlich durchgeführt. Die Workshops bestehen jeweils aus zwei Teilen, einem ExpertInnengespräch mit etwa 50 geladenen TeilnehmerInnen und einem „Colloquium“, zu dem dann 50 weitere Personen, z. B. PressevertreterInnen eingeladen werden sollen.

Geplant ist, den Entwurf für den Text im März abzuschließen, dann wird noch innerhalb der Regierung gefeilt, für den Sommer 2016 ist die Fertigstellung anvisiert.

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